EuGH zum gesenkten Ruhestandsalter für Richter: Pol­ni­sches Jus­tiz­ge­setz rechts­widrig

24.06.2019

Mit seiner Entscheidung, das Ruhestandsalter für Richter am Obersten Gericht herabzusetzen, handelte sich die polnische Regierung viel Kritik ein. Nun spricht der EuGH deutlich aus: Diese Praxis ist rechtswidrig.

In einem der zahlreichen gegen Polen laufenden Verfahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die dortige Regierung nun zum ersten Mal für eine ihrer Justizreformen verurteilt. Im April vergangenen Jahres trat in Polen ein Gesetz in Kraft, welches das Ruhestandsalter für Richter am Obersten Gericht von 70 auf 65 Jahre herabsetzte. Dies sei europarechtswidrig und verletze die richterliche Unabhängigkeit, befanden die Luxemburger Richter am Montag (Urt. v. 24.06.2019, Az. C-619/18).

Die Regelung galt rückwirkend auch für Richter, die bereits am Gericht arbeiteten und das entsprechende Alter erreicht hatten. Diese hätten demnach sofort hätten gehen müssen. Es war ihnen nur möglich, nach Erreichen der Altersgrenze weiterzuarbeiten, wenn der polnische Präsident Andrzej Duda dies genehmigen sollte. Ob er das allerdings und aus welchen Gründen, bleibt allein dem Staatsoberhaupt anheimgestellt, niemand kann eine solche Entscheidung überprüfen. Wer die Billigung des Präsidenten nicht vorweisen konnte, wurde am 4. Juli in den Ruhestand versetzt. Beinahe ein Drittel der Richter des Obersten Gerichts waren von der Regelung betroffen, darunter auch Präsidentin Malgorzata Gersdorf, die sich aus politischen Motiven aus dem Gericht entfernt wähnte und aus Protest dennoch weiter zur Arbeit ging. Unterdessen arbeitete die polnische Regierung daran, die frei werdenden Stellen möglichst schnell mit neuen Richtern zu besetzen.

Doch nicht nur Gersdorf und ihre Kollegen, sondern auch zahlreiche weitere polnische und europäische Juristen sowie die EU-Kommission zeigten sich empört über das Vorgehen der von der Partei PiS gestellten polnischen Administration, welches verschiedenste Änderungen im Justizapparat umfasste. So leitete das EU-Parlament bereits 2017 wegen der bis dato bereits in Kraft getretenen und geplanten Reformen ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren ein, das in letzter Konsequenz mit dem Entzug des Stimmrechtes auf EU-Ebene enden könnte. Dass dies tatsächlich Konsequenzen haben wird, gilt aber derzeit als unwahrscheinlich, da Ungarn den Abschluss des Verfahrens im Rat blockieren dürfte. Gegenstand der umstrittenen Reformen waren u. a. auch eine Altersgrenzenabsenkung für Richter an normalen Gerichten und der Austausch von Richtern am Verfassungsgericht.

Effektiver als das politische Rechtsstaatlichkeitsverfahren scheint das Instrument der Vertragsverletzungsklage zu sein, welche die Komission im vergangenen September wegen der Zwangspensionierungen am Obersten Gericht erhob und über die nun in Luxemburg entschieden wurde. Das zeigte schon das bisherige Verfahren, in dem der Gerichtshof im vergangenen Oktober im Wege einer einstweiligen Anordnung entschieden hatte, dass Polen die Ruhestandsregelung aussetzen müsse. Dem kam die Regierung kurz darauf auch nach.

EuGH: Zweifel an den wahren Motiven für die Reform

Nun stellte der EuGH, nachdem bereits Generalanwalt Evgeni Tanchev deutliche Worte über die Rechtswidrigkeit der Maßnahme gefunden hatte, fest: Die Absenkung des Ruhestandsalters am polnischen Obersten Gericht war rechtswidrig. Weil es kein legitimes Ziel für die Reform gebe und dadurch der Grundsatz der Unabsetzbarkeit von Richtern tangiert werde, sei die richterliche Unabhängikeit verletzt, resümierte der EuGH.

Wenngleich das Gesetz schon nicht mehr in Kraft ist, hatte die Kommission in der mündlichen Verhandlung darauf gedrungen, dennoch über die Rechtmäßigkeit der Ruhestandsgrenzenabsenkung zu entscheiden, da nicht sicher sei, ob die gegenwärtige Regelung rechtskonform sei und wegen der Bedeutung der Angelegenheit Bedarf an einer Entscheidung des EuGH bestehe.

Der Gerichtshof erinnerte die polnische Regierung nun daran, dass jeder EU-Mitgliedstaat zwar frei sei, seinen Justizapparat selbst zu organisieren, dabei aber darauf achten müsse, wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Hierfür, betonten die Richter, sei die Unabhängigkeit der Gerichte von grundlegender Bedeutung. Unabhängigkeit bedeute dabei vor allem, dass Richter solange im Amt bleiben dürften, wie das Ruhestandsalter es vorsehe. Gerichte müssten unparteilich und autonom entscheiden können. Wenn die Amtszeit von Richtern von der freien Entscheidung des Präsidenten abhänge, sei dies nicht mehr gewährleistet, befand der EuGH.

Es gebe schließlich keine Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung des Präsidenten. Eine Klage sei in Polen nicht möglich und der Landesjustizrat nur befugt, Stellungnahmen abzugeben. Dies reicht nach Auffassung der Luxemburger Richter nicht aus, um den Eindruck von echter Unabhängigkeit zu erwecken.

Die Warschauer Regierung hatte eingewandt, man habe das Ruhestandsalter der Richter am Obersten Gericht lediglich an das allgemeine Ruhestandsalter in Polen angleichen wollen. Doch angesichts des beliebigen Ermessens bei der Amtszeitverlängerung durch den Präsidenten und der Tatsache, dass damit fast ein Drittel der Richter zwischenzeitlich in den Ruhestand geschickt werden sollte, wollte der EuGH das nicht so recht glauben und äußerte stattdessen Zweifel an den wahren Motiven hinter der Reform an.

mam/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH zum gesenkten Ruhestandsalter für Richter: . In: Legal Tribune Online, 24.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36065 (abgerufen am: 03.11.2024 )

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