Der EGMR stärkt erneut das Recht leiblicher Väter, ihre Kinder auch gegen den Willen der Mutter regelmäßig zu sehen. Im deutschen Familienrecht fehle es an Möglichkeiten, überlange Verfahren zu beschleunigen. Wird das Urteil rechtskräftig, muss der Gesetzgeber nachbessern.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einem am Donnerstag verkündeten Urteil die Rechte leiblicher Väter im Umgang mit ihren Kindern gestärkt. Der deutsche Gesetzgeber und die Justiz müssten effektivere Rechtsmittel und schnellere Verfahren bereithalten bzw. umsetzen, damit Väter ihr Umgangsrecht ausreichend durchsetzen können. Die Richter rügten die deutschen Gerichte als zu lasch und die Gesetze als lückenhaft (Urt. v. 15.01.2015, Beschwerdenummer 62198/11).
Dem Verfahren gegen Deutschland lag die Klage eines Vaters zugrunde. Die Mutter seines im Jahr 2003 geborenen nichtehelichen Sohnes hatte jahrelang ein Treffen zwischen ihm und dem Kind verhindert. Bereits kurz nach der Geburt hatten sich die Eltern zerstritten.
Im Mai 2005 klagte der Vater, es folgte ein Zug durch die Instanzen. Er erstritt zwar mehrfach Erfolge, wonach ihm zuletzt 2010 sehr begrenzte Besuchszeiten zugesprochen wurden. Dennoch verhinderte die Mutter insgesamt sechs Termine. Nach mehreren Anträgen an das Gericht, ein Strafgeld von mindestens 3.000 Euro gegen die Mutter zu verhängen, wurde diese schließlich nach über zehn Monaten zu einer Zahlung von lediglich 300 Euro verpflichtet, die sie im Juni 2011 bezahlte. Auch das weitere Verfahren lief schleppend und wurde immer wieder in die Länge gezogen. Der Vater hatte keine Chance, seinen Sohn in dieser Zeit aufwachsen zu sehen.
Der EGMR stellte in seinem Urteil von Donnerstag einstimmig eine Verletzung von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und eine Verletzung von Artikel 13, dem Recht auf wirksame Beschwerde, in Verbindung mit Artikel 8 EMRK fest. Sie sprachen dem Vater des heute zwölfjährigen Kindes nach Art. 41 EMRK 15.000 Euro Entschädigung zu.
Kein Mittel gegen überlange Verfahrensdauer
Das Verfahren habe viel zu lange gedauert, außerdem habe der 52 Jahre alte Mann aus Heidelberg keine rechtliche Möglichkeit gehabt, es zu beschleunigen, hieß es in dem Urteil von Donnerstag in Straßburg.
Das deutsche Gesetz gegen überlange Verfahren von 2011 sieht lediglich nachträgliche Entschädigungen vor, was jedoch nicht ausreichend sei. Es fehle in Deutschland ein Rechtsmittel, mit dem man sich wirksam gegen überlange Verfahren beim Familiengericht wehren könne, weshalb die Richter Art. 13 i.V.m. 8 EMRK verletzt sehen.
Schnelle Verfahren und leichter durchsetzbare Rechtsansprüche seien gerade im Umgang mit Kindern besonders wichtig, denn in solchen Verfahren ginge es nicht nur um den Anspruch als solchen, sondern darum, die Entwicklung des Kindes mitzuerleben. Wenn Kind und Vater sich am Ende entfremdet hätten, könne das dem Kindeswohl schaden.
Geringes Strafgeld zwingt Mutter nicht zum Nachgeben
Außerdem hätten die deutschen Gerichte keine zügigen und wirksamen Maßnahmen ergriffen, um dem Vater Umgang mit seinem Sohn zu ermöglichen. Insbesondere sei die gerichtliche Umgangsregelung vom September 2010 nicht resolut genug durchgesetzt worden. Auch hier hätte der Vater keine Möglichkeit gehabt, den ihm zugestandenen Anspruch tatsächlich zu realisieren, was zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führe.
Aus Sicht des Gerichtshofs sind 300 Euro Strafgeld bei Verstoß gegen richterliche Anordnungen bei Besuchsregelungen viel zu wenig, um die Mutter zum Nachgeben zu zwingen. Theoretisch hätten bis zu 25.000 Euro für jeden Fall der Missachtung richterlicher Anordnungen verhängt werden können.
Gesetzgeber muss Untätigkeitsbeschwerde ermöglichen
Allerdings kann gegen die Entscheidung des EGMR Berufung eingelegt werden. Diese kann der EGMR annehmen, aber auch zurückweisen. Sollte die Entscheidung rechtskräftig werden, könnte das Konsequenzen für den deutsche Gesetzgeber haben. Der Gerichtshof vermisst im nationalen Recht eine sogenannte Untätigkeitsbeschwerde, mit der ein Kläger sich an die nächste Instanz wenden kann, wenn ein Verfahren zu lange dauert. Bisher hatte der Gesetzgeber auf einen solchen Rechtsbehelf bewusst verzichtet, nun müsste er ihn zumindest im Familienrecht einführen.
Der EGMR hatte sich bereits zuvor mit dem Sorgerechtsstreit auseinandersetzen müssen. In einem früheren Urteil hatte er einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK, das Recht auf ein faires Verfahren, gerügt. Das Verfahren bei der Frankfurter Justiz zwischen den Jahren 2005 und 2010 habe zu lange gedauert (Urt. v. 21.04.2011, Beschwerdenummer 41599/09). Daher beschäftigte sich der Gerichtshof in seinem jetzigen Urteil nur noch mit den Vorkommnissen nach dieser Zeit.
Das Umgangsrecht leiblicher Väter ist in den vergangenen Jahren bereits mehrfach gestärkt worden. So trat im Jahr 2013 ein Gesetz in Kraft, wonach Väter den Umgang mit ihren Kindern gegen den Willen der Mutter bereits dann erzwingen können, wenn sie ein ernsthaftes Interesse an dem Nachwuchs zeigen und der Umgang dem Kindeswohl dient.
Hintergrund dieses Gesetzes waren ebenfalls zwei Entscheidungen des EGMR (Urt. v. 21.12.2010, Az. 20578/07 - Anayo ./. BRD und Urt. v. 15.09.2011, Az. 17080/07 - Schneider ./. BRD). Die Richter hatten damals entschieden, dass die Frage, ob der jeweilige biologische Vater ein Umgangs- und Auskunftsrecht beanspruchen kann, einen wichtigen Teil seiner Identität und folglich sein "Privatleben" im Sinne von Art. 8 EMRK darstelle.
ahe/LTO-Redaktion
EGMR zum Umgangsrecht leiblicher Väter: . In: Legal Tribune Online, 16.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14395 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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