BGH zur Tötung eines Polizisten: "Hell's Angel"-Mit­g­lied han­delte in irr­tüm­li­cher Not­wehr

03.11.2011

Der 2. Strafsenat hat mit Urteil von Mittwoch die Verurteilung eines Mannes wegen Totschlags an einem Polizeibeamten durch das LG Koblenz aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) war auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen ein Fall strafloser Putativnotwehr gegeben.

Nach ständiger Rechtsprechung sei die irrtümliche Annahme einer Notwehrlage im Ergebnis ebenso zu behandeln wie ein Fall tatsächlich gegebener Notwehr. Danach müsse der gezielte Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe zwar grundsätzlich stets zunächst angedroht und gegebenenfalls auch ein Warnschuss abgegeben werden. Ein rechtswidrig Angegriffener müsse aber nicht das Risiko des Fehlschlags einer Verteidigungshandlung eingehen (Urt. v. 02.11.2011, Az. 2 StR 375/11).

"Hell's Angel" dachte, er schieße auf "Bandidos"

Der Angeklagte, ein führendes Mitglied des Motorradclubs "Hell's Angels", hatte erfahren, dass er von Mitgliedern des konkurrierenden Clubs "Bandidos" ermordet werden solle. Zeitgleich erließ das Amtsgericht in einem gegen den Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren einen Durchsuchungsbefehl für seine Wohnung. Wegen der zu befürchtenden Gewaltbereitschaft des Angeklagten und seiner polizeibekannten Bewaffnung wurde zur Vollstreckung des Durchsuchungsbefehls ein Spezialeinsatzkommando (SEK) der Polizei hinzugezogen.

Am Tattag versuchte das SEK das Wohnhaus des Mannes zu stürmen. Dieser ging bei den Versuchen der Beamten, die Türverriegelungen zu öffnen, davon aus, es handle sich um schwerbewaffnete Mitglieder der "Bandidos", die ihn und seine Verlobte töten wollten. Er rief: "Verpisst Euch!" Nachdem die Beamten hierauf nicht reagierten, schoss der Rocker ohne weitere Warnung auf die Tür und tötete dabei einen Polizisten.

In höchster Lebensgefahr keine weiteren Drohungen notwendig

Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts (LG) hat den Mann wegen dieses Geschehens wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Richter hatten angenommen, der Angeklagte habe zwar irrtümlich die Voraussetzungen einer Notwehrlage angenommen, er habe aber auch unter diesen Voraussetzungen nicht ohne Vorwarnung die tödliche Waffe einsetzen dürfen. 

Dies sah der BGH anders. Wenn (weitere) Warnungen in der konkreten "Kampflage" keinen Erfolg versprechen oder die Gefahr für das angegriffene Rechtsgut sogar vergrößern, dürfe auch eine lebensgefährliche Waffe unmittelbar eingesetzt werden. Nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LG sei hier ein solcher Fall gegeben. Im Augenblick – irrtümlich angenommener – höchster Lebensgefahr sei dem Angeklagten nicht zuzumuten gewesen, zunächst noch durch weitere Drohungen oder die Abgabe eines Warnschusses auf sich aufmerksam zu machen und seine "Kampf-Position" unter Umständen zu schwächen.

Dass es durch die Verkettung unglücklicher Umstände zum Tod des Polizeibeamten kam, war dem Angeklagten nach dem BGH daher nicht anzulasten. Weil dieser seinen Irrtum auch nicht fahrlässig verursacht habe, könne er auch wegen fahrlässiger Tötung nicht verurteilt werden. 

tko/LTO-Redaktion

 

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Zitiervorschlag

BGH zur Tötung eines Polizisten: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4714 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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