Zwei Studentinnen, die wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall verurteilt wurden, ziehen vors BVerfG. Dass es strafbar sein soll, Lebensmittel aus dem Müll zu fischen, wollen sie nicht akzeptieren.
Die beiden Studentinnen, die am Freitagvormittag in Karlsruhe Verfassungbeschwerde einlegten, sind in zwei Instanzen des Diebstahls schuldig gesprochen worden, weil sie im Juni 2018 Obst, Gemüse und Joghurt aus dem Müllcontainer eines Supermarkts entnahmen. Mit dem Schritt vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wollen sie sich nicht nur gegen die Urteile wehren, sondern auch ihrer "Positionierung gegen Lebensmittelverschwendung und die Kriminalisierung des Containerns Nachdruck verleihen."
Sowohl das Amstgericht (AG) Fürstenfeldbruck als auch das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) sahen offenbar keine andere Möglichkeit, als die beiden jungen Frauen des Diebstahls schuldig zu sprechen. Wenn auch nicht, wie von der Staatsanwaltschaft mit der Anklage beabsichtigt, wegen eines besonders schweren Falles, sondern wegen einfachen Diebstahls. Auch eine Verurteilung im eigentlich Sinne gab es nicht, das AG beließ es bei acht Sozialstunden sowie einer Verwarnung mit Strafvorbehalt. Wären sie binnen zwei Jahren wiederholt beim Containern erwischt worden, hätte eine Strafe von 225 Euro gedroht.
Auf die Gerichtsentscheidungen folgte eine Welle der Solidarität. Was noch vor wenigen Jahren eher als Thema von Aktivisten wahrgenommen wurde, wurde nun zum Politikum in der gesellschaftlichen Mitte. Dass das Einsammeln von Lebensmitteln, die weggeworfen wurden, einen strafbaren Diebstahl darstellen soll, ist nicht nur kontraintuitiv; in Zeiten, in denen politisch zunehmend versucht wird, Lebensmittelverschwendung zu verhindern, ist es kaum mehr zu vermitteln. Und doch erfüllt das Containern bei streng juristischer Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale den Straftatbestand des § 242 Strafgesetzbuch (StGB) - wenn es aus einem geschlossenen Container geschieht, gegebenenfalls sogar in einem besonders schweren Fall.
BayObLG: Wegwerfen heißt nicht Eigentum aufgeben
Zu dem Verfahren vor dem AG war es letztlich nur gekommen, weil die Staatsanwaltschaft in Fällen des Containerns ein besonderes öffentliches Interesse sah. Einen Strafantrag hatte der Filialleiter des betroffenen Supermarktes nach einem Shitstorm im Internet nämlich nicht gestellt, weswegen die Studentinnen ursprünglich auf die Einstellung des Verfahrens gehofft hatten. Daraus wurde nichts, die Staatsanwaltschaft blieb hart.
Auch beim BayObLG hielt das Urteil aus Fürstenfeldbruck. Der Strafsenat bestätigte die Auffassung, dass die Studentinnen einen Diebstahl begangen hätten. Die Lebensmittel hätten sich im Eigentum des Supermarktes befunden und seien für sie "fremd" im Sinne des § 242 Abs. 1 StGB gewesen, als die beiden sie wegnahmen. "Der Umstand, dass die Lebensmittel zur Entsorgung in einen Abfallcontainer geworfen wurden, sagt darüber, ob dem Eigentümer damit auch deren weiteres Schicksal gleichgültig ist, nicht zwingend etwas aus", heißt es in dem Beschluss des BayObLG. Der Container habe auf Firmengelände gestanden und sei verschlossen gewesen.
Außerdem bezahle der Supermarkt eine Firma für die Entsorgung. Die Lebensmittel seien zwar nur ausgesondert worden, um sie von einem Entsorgungsunternehmen abholen zu lassen, so das BayObLG. Allerdings habe der Supermarkt sein Eigentum dadurch nicht aufgegeben, heißt es in dem Beschluss. Er habe nämlich für die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Lebensmittel einzustehen, die er in den Verkehr bringt - und deswegen ein Interesse daran, dass die Lebensmittel ordnungsgemäß entsorgt werden. Wenn der Supermarkt sein Eigentum aber nur zugunsten des Entsorgungsunternehmen aufgeben will, liege kein Verzichtswille vor, der die Sachen herrenlos werden ließe, entschieden die Münchner Richter.
"Wo ist die verfassungsrechtliche Grenze des Strafrechts?"
Die Anwälte der Beschwerdeführerinnen, Max Malkus und Susanne Keller, kritisierten das Urteil als "unverhältnismäßig und nicht mehr zeitgemäß". Der Staat sollte sich darauf konzentrieren, der Lebensmittelverschwendung Einhalt zu gebieten, und nicht diejenigen kriminalisieren, die entsorgte Lebensmittel weiterverwenden“, kommentierten die Anwälte. "Solange es keine klaren Gesetze gibt, müssen wir es über die Auslegung des Rechts versuchen", so Verteidiger Malkus weiter.
Die Verfassungsklage soll nunmehr mehr Menschen auf das Problem aufmerksam machen. Mittlerweile bekommen die jungen Frauen Unterstützung von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die es sich zum Ziel gesetzt hat, von ihr für relevant erachtete Grund- und Menschenrechtsfragen bis nach Karlsruhe zu bringen. Für die Nichtregierungsorganisation hat das Verfahren grundsätzliche Bedeutung. "Es geht um die Frage, wo die verfassungsrechtliche Grenze des Strafrechts ist", sagt GFF-Juristin Sarah Lincoln. Karlsruhe habe mehrfach klargemacht, dass das Strafrecht nur das letzte Mittel sein kann. Nach Ansicht von Lincoln wird es hier aber eingesetzt, "um etwas zu schützen, an dem niemand mehr ein Interesse hat". "Besonders sozialschädlich ist ja das Wegwerfen der Lebensmittel, nicht die Verwertung". Auch Malkus findet das widersprüchlich: "Faktisch kriminalisieren wir diejenigen, die im Kleinen etwas für den Klimaschutz tun, ohne dass jemandem geschadet wird."
In Deutschland landen nach Berechnungen der Universität Stuttgart jährlich fast 13 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Die Umweltorganisation WWF geht sogar von mehr als 18 Millionen Tonnen aus. Ein Vorstoß von Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne), das Containern zu legalisieren, scheiterte im Juni auf der Justizministerkonferenz in Lübeck am Widerstand der CDU-Länder.
Im Internet haben die Studentinnen ihren Fall öffentlich gemacht und informieren in einem Blog über die neuesten Entwicklungen. Von der Unterstützung ermutigt, haben sie auch eine Petition gestartet: Supermärkte sollen wie in Frankreich verpflichtet werden, noch genießbare Lebensmittel zu verteilen, zum Beispiel an soziale Einrichtungen. Inzwischen haben 150.000 Menschen unterschrieben. "Der Schutz unserer Lebensgrundlagen wird weiterhin als zweitrangig betrachtet", schreiben die Frauen in ihrem Blog. Sie hoffen auf den Erfolg ihrer Klage: "Neue Fragen fordern andere Antworten." Man darf gespannt sein, ob das BVerfG diese geben wird.
Mit Materialien von dpa
Pia Lorenz, Gegen die Strafbarkeit des Containerns: . In: Legal Tribune Online, 08.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38605 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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