Wirbel um ein angebliches BMI-Gutachten: In einem vom BKA koordinierten Papier haben die Innenminister der Länder massive Bedenken am Cannabisgesetz zusammengetragen. Nancy Faesers Haus weist die Verantwortung für den Inhalt von sich.
Im Juni 2023 hatten sich die Innenminister der Länder auf ihrer Konferenz (IMK) mit der Thematik "Folgen der Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken" befasst und waren dabei unter anderem zu dem Ergebnis gekommen, dass sie diverse Erwartungen nicht teilen, die die Ampel mit dem derzeit im Bundestag beratenen Cannabisgesetz (CanG) verbindet. Unter anderem geht es um die Prognose, die Strafverfolgungspraxis werde durch die "Legalisierung" entlastet.
Um daher die aus ihrer Sicht tatsächlich zu erwartenden Anforderungen und den Aufwand für die Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden sowie weitere für die Umsetzung und Überwachung des CanG zuständigen Behörden zu benennen, gaben die Innenminister ein vertrauliches Gutachten in Auftrag, das seit Dezember vorliegt und dessen Inhalte nunmehr teilweise an die Öffentlichkeit gelangt sind. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat dieses Gutachten koordiniert. Es liegt LTO vor und kann hier heruntergeladen werden. Viele der in dem Papier zusammengetragenen Kritikpunkte waren bereits vor geraumer Zeit im Bundesrat geäußert worden.
"Aufwendungen in Form von Personal- und Sachkosten"
Der BKA-Bericht kommt nach einer "Gesamtschau" zu dem Ergebnis, "dass auf die Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden der Länder zusätzliche Aufgaben und Aufwendungen in Form von Personal- und Sachkosten zukommen werden, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht im Detail beziffert werden können". Aufgelistet werden in dem Papier eine Reihe von Aspekten, die die Bundesregierung bei der Ausarbeitung des CanG nicht im Blick gehabt habe. Unter anderem warnen die Innenminister vor Auswirkungen auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität (OK) und fordern, dass in Bezug auf cannabisbezogene Delikte eine konsequente Bekämpfung der OK weiterhin gewährleistet sein müsse. Bei der Berechnung des Erfüllungsaufwandes durch das Bundesgesundheitsministerium sei dies nicht mit berücksichtigt worden.
Die Höhe der zusätzlichen Aufwendungen werde dabei zum einen davon abhängen, in welchem Umfang die Möglichkeit zum gemeinschaftlichen, nicht-kommerziellen Eigenanbau von Genusscannabis angenommen werde (Aufwand für Genehmigung und Überwachung von Anbauvereinigungen). Zum anderen werde "die Intensität, mit der polizeiliche Kontrollen bezüglich der im Konsumcannabisgesetz (KCanG) festgelegten Konsumverbote als auch Verkehrskontrollen zur Feststellung von Fahrten unter Einfluss von Cannabis sowie Aufklärungs- und Präventionskampagnen zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit durchgeführt werden, die Höhe der zusätzlich anfallenden Kosten beeinflussen."
"Zudem bleibt der Gesetzentwurf zum kontrollierten Umgang mit Konsumcannabisprodukten in vielen Punkten unscharf", heißt es in dem Papier. Da davon auszugehen sei, dass die Regelungen des KCanG in den Landesverordnungen konkretisiert werden müssten, sei überdies mit "umfangreichen Abstimmungsverfahren zwischen den Ländern" zu rechnen, um sicherzustellen, "dass möglichst einheitliche Verfahrensregelungen in den Ländern etabliert werden".
Bei den Auswirkungen auf die Verkehrsüberwachung empfiehlt der BKA-Bericht nach einer Freigabe von Cannabis vermehrte Kontrollen: "Es erscheint sinnvoll, die Kontrolltätigkeit durch den Polizeivollzugdienst zumindest vorübergehend zu intensivieren, auch um deutlich werden zu lassen, dass Fahren unter dem Einfluss von Cannabis (und anderen Drogen) weiterhin verboten ist."*
BMI betont: "Kein Gutachten des Ministeriums"
Gegenüber LTO weist das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) ausdrücklich darauf hin, dass es sich nicht um ein Gutachten des Ministeriums handelt. Es reagierte damit auf eine Veröffentlichung der tageszeitung (taz), die am Montag von einem "internen Gutachten des Ministeriums" sprach. "Das Dokument ist ausdrücklich kein Gutachten des BMI. Vielmehr handelt es sich um einen Bericht im Auftrag der IMK. Das BKA hat den Bericht koordinierend erstellt, er gibt jedoch in erster Linie die aus den Ländern zusammengetragenen Positionen wieder", so ein Sprecher. "Das BMI hat in der IMK darauf hingewiesen, dass durch dieses Vorhaben des Bundesgesundheitsministeriums ein Auftrag aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt wird."
Die Befürchtungen und Bedenken der Länder allerdings nehme das BMI ernst, so der Sprecher. "Es hat sich im Gesetzgebungsverfahren dafür eingesetzt, dass Sicherheitsaspekten und dem Jugendschutz Rechnung getragen wird. So sollen durch das Vorhaben für die Organisierte Kriminalität keine vermeidbaren Einfallstore eröffnet werden und freiwerdende Kapazitäten bei Polizei und Justiz zugunsten der Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt werden können. Daher sieht der Entwurf u. a. eine hohe Kontrolldichte und Überwachung sowie Abstandsregelungen zu Schulen und anderen Einrichtungen vor."
In der sog. Cannabis-Community wächst die Sorge, dass sich angesichts des Widerstandes einiger SPD-Politiker der Zeitplan der Cannabisfreigabe weiter verzögert. Im Bundestag war die Verabschiedung des CanG zuletzt von der SPD-Bundestagsfraktion gebremst worden. Die drogenpoltische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion erklärte am Montag auf X, vormals Twitter, dass sie "diese irritierende Vielstimmigkeit innerhalb der SPD" nicht nachvollziehen könne. "Alle hatten lange genug Zeit, um Bedenken zu äußern. Ein guter und geeinter Entwurf liegt längst vor. Änderungsbedarf sehe ich nicht mehr. Wir sollten das CanG schnellstmöglich verabschieden."
*ergänzt am Tag des Erscheinens, 15:05 Uhr
BKA-Bericht im Auftrag der Innenminister: . In: Legal Tribune Online, 15.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53636 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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