BVerwG zu Legasthenie-Vermerk: Keine Bevorteilung ohne Gesetz

29.07.2015

Ein legasthener Schüler hatte gegen den Hinweis in seinem Abiturzeugnis, dass seine schriftliche Leistung abweichend beurteilt wurde, geklagt. Die Vorinstanz hielt den Vermerk für rechtswidrig. Das BVerwG auch – mit ganz anderen Folgen.

Schüler mit ärztlich anerkannter Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) erhalten in Bayern aufgrund eines Erlasses des Kultusministeriums während der schriftlichen Klausuren in der Oberstufe sowie im Abitur eine Schreibzeitverlängerung von 10%. Außerdem werden ihre Lese- und Rechtschreibleistungen nicht berücksichtigt. So auch beim Kläger, dessen Zeugnis den Vermerk enthielt:

Aufgrund einer fachärztlich festgestellten Legasthenie wurden Rechtschreibleistungen nicht bewertet. In den Fremdsprachen wurden die schriftlichen und mündlichen Prüfungen im Verhältnis 1:1 bewertet.

Dagegen erhob er Klage, die vor dem Verwaltungsgericht (VG) München aber nur insofern Erfolg hatte, als der Hinweis auf die fachärztlich festgestellte Legasthenie gestrichen werden, der Vermerk im Übrigen aber bestehen bleiben sollte. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) München entsprach dem Wunsch des Klägers sodann: Der Verzicht auf die Bewertung der Rechtschreibleistung sowie der Hinweis darauf im Zeugnis bedürften einer gesetzlichen Grundlage, an der es hier fehle. Der Erlass der Schulverwaltung in Gestalt des Kultusministeriums reiche dafür nicht aus.

BVerwG: Nicht nur Vermerk, sondern auch Bevorteilung rechtswidrig

Dieses Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am Mittwoch aufgehoben und jenes der 1. Instanz wiederhergestellt; das gleiche tat es zudem in einem weiteren Verfahren, in dem der Schüler einer Privatschule geklagt hatte (Urtt. v. 29.07.2015, Az. 6 C 33.14 und 6 C 35.14). Nach seiner Entscheidung bedarf nicht nur der Vermerk, sondern auch – und vor allem – die ihm zugrundeliegende, tatsächliche Einräumung von Vorteilen für legasthene Schüler einer gesetzlichen Grundlage.

Dabei unterscheidet das BVerwG zwischen der Schreibzeitverlängerung und der Nichtberücksichtigung der Rechtschreibleistung. Erstere solle den in der Legasthenie liegenden Nachteil lediglich insoweit kompensieren, als Legastheniker gemeinhin länger zum Lesen und Schreiben brauchen; sie solle also gerade einen fairen Vergleich zwischen ihnen und anderen Schülern ermöglichen. Die Nichtbeachtung der Rechtschreibleistung hingegen führe zu einer grundlegend anderen Aussagekraft der Note, bei der von einer Vergleichbarkeit nicht mehr gesprochen werden könne.

Dieser sogenannte "Notenschutz" bedürfe daher einer gesetzlichen Grundlage, an der es fehle. Selbiges gelte auch für den Vermerk. Der Schüler könne aber nicht die Streichung des einen unter Beibehaltung des anderen verlangen.

cvl/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerwG zu Legasthenie-Vermerk: . In: Legal Tribune Online, 29.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16417 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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