Seit Jahren werden Grenzwerte für Stickstoffoxide in deutschen Ballungsräumen deutlich überschritten – überwiegend durch Dieselfahrzeuge. Das BVerwG prüft am Donnerstag, ob Fahrverbote eine rechtmäßige Lösung wären.
Millionen von Dieselfahrern sollten diese Woche nach Leipzig schauen. Denn vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) könnte ein wegweisendes Urteil fallen. Die obersten Verwaltungsrichter werden darüber verhandeln und möglicherweise bereits am Donnerstag entscheiden, ob Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in besonders belasteten deutschen Städten ein rechtlich zulässiges Mittel und in die jeweiligen Luftreinhaltepläne aufzunehmen sind.
Seit Jahren werden in vielen Städten Schadstoff-Grenzwerte nicht eingehalten – am stärksten in München, Stuttgart und Köln. Dabei geht es um Stickoxide. Das sind Gase, die in höherer Konzentration giftig sind. Als Hauptquelle für die Grenzwertüberschreitung gelten Diesel-Pkw. Für die Einhaltung von Grenzwerten laufen seit Jahren Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die EU-Kommission macht auch Druck, es droht eine Klage am Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Konkret geht es in Leipzig um die Luftreinhaltepläne der Städte Düsseldorf und Stuttgart (Az. 7 C 26.16 und 7 C 30.17). Die zuständigen Verwaltungsgerichte (VG) hatten nach Klagen der DUH die Behörden verpflichtet, ihre Pläne so zu verschärfen, dass Grenzwerte möglichst schnell eingehalten werden.
Urteil mit deutschlandweiter Signalwirkung
Das Stuttgarter Gericht nannte Fahrverbote dabei die "effektivste" Maßnahme. Der Gesundheitsschutz in der Stadt sei höher zu bewerten als Interessen von Dieselfahrern. Das Düsseldorfer Gericht urteilte, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge müssten "ernstlich geprüft" werden.
Auch wenn das Bundesgericht konkret nur über die beiden Fälle in NRW und Baden-Württemberg verhandelt - die Entscheidung hat eine deutschlandweite Signalwirkung. Vor allem dann, wenn die Leipziger Richter zu dem Schluss kämen, dass Fahrverbote rechtlich zulässig sind.
Für jede Stadt, in der Grenzwerte überschritten werden, wäre es dann möglich, Fahrverbote für ältere Diesel als Option in den jeweiligen Luftreinhalteplan aufzunehmen - und aus Sicht nicht nur der DUH sind Fahrverbote das effektivste Mittel für saubere Luft. Die DUH hat insgesamt rund 60 Rechtsverfahren eingeleitet.
Fahrverbote wären aber immer eine Einzelfall-Entscheidung und könnten von Stadt zu Stadt unterschiedlich ausfallen. Sie könnten zeitlich auf bestimmte Strecken und Stadtzonen begrenzt sein, in denen die Grenzwerte am stärksten überschritten werden.
Massive Auswirkungen auf das städtische Leben
Die Auswirkungen für Deutschland mit Millionen von zugelassenen Diesel-Fahrzeugen könnten immens sein. Kommunale Spitzenverbände und die Wirtschaft warnen davor, bei Fahrverboten könnte das städtische Leben lahmgelegt werden. Zum Beispiel könnten Läden in Innenstädten nicht beliefert werden oder Handwerker nicht mehr zu Kunden kommen. Dafür könnte es aber Ausnahmeregelungen geben, wie auch für Fahrzeuge von Polizei, Feuerwehr oder Apotheken. Betroffen wären aber auf jeden Fall zahlreiche Pendler. Fahrverbote hätten außerdem massive Folgen für die Autohersteller. Die Diesel-Neuzulassungen sind seit Monaten sowieso schon auf Talfahrt.
Deswegen will die Politik Fahrverbote unbedingt vermeiden. Sie hat ein Milliardenprogramm "Saubere Luft" für Kommunen auf den Weg gebracht. Dabei geht es etwa um eine bessere Taktung des ÖPNV oder die Umrüstung von Bussen und Taxen. Mit Software-Updates für Millionen von Fahrzeugen wollen die Hersteller die Emissionen senken.
Umweltverbände kritisieren, das reiche nicht aus. Umbauten direkt am Motor wären aus Sicht vieler Experten wirksamer. Die Autoindustrie lehnt dies unter anderem mit Verweis auf hohe Kosten ab. Hält Leipzig Fahrverbote für rechtlich zulässig, steigt der Druck auf Politik und Hersteller, Hardware-Nachrüstungen auf den Weg zu bringen.
Kommt die "blaue Plakette"?
Falls das BVerwG den Weg für Fahrverbote ebnet, dürfte sofort eine breite politische Debatte nicht nur über wirksamere Nachrüstungen von Dieselautos einsetzen - sondern auch über die Einführung einer "blauen Plakette". Umweltverbände, aber auch Länder fordern diese seit langem.
Damit wären Unterscheidungen möglich - es käme nicht zu pauschalen Fahrverboten für Dieselautos in Stadtgebieten, die stark belastet sind. Die Plakette würden moderne Wagen mit der Abgasnorm Euro 6 bekommen, sie wären von Fahrverboten ausgenommen. Mit einer bundesweiten blauen Plakette könnte ein Flickenteppich vieler unterschiedlicher Regeln verhindert werden.
Die Bundesregierung lehnt eine blaue Plakette bisher ab. Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt sagte, eine solche bedeute "nichts anderes als die kalte Enteignung von Millionen von Diesel-Besitzern". Denn nur wenige Dieselautos erfüllen die neueste Abgasnorm - Millionen andere dagegen nicht. Diese Autofahrer müssten sich dann entweder ein neues Auto kaufen oder ihren Wagen nachrüsten lassen. Kritik musste sich die Bundesregierung für diese Position von der Gewerkschaft gefallen lassen, die ebenfalls die Einführung einer blauen Plakette fordert. "Die Bundesregierung darf sich nicht weiter verstecken. Sie muss endlich handeln" sagte Jörg Hofmann, der Erste Vorsitzende der IG Metall, der dpa.
dpa/mgö/LTO-Redaktion
BVerwG prüft Maßnahmen zur Luftreinheit: . In: Legal Tribune Online, 19.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27095 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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