Bei der Reform des Flensburger Punktesystems hat der Gesetzgeber das Warn- und Erziehungssystem hinter den Schutz der Verkehrssicherheit zurücktreten lassen. Bei der Entziehung der Fahrerlaubnis gelten nun neue Regeln, so das BVerwG.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat entschieden, dass eine Fahrerlaubnis bei Erreichen von acht oder mehr Punkten auch dann zu entziehen ist, wenn dieser Punktestand bereits bei der Verwarnung des Fahrerlaubnisinhabers bestanden habe, der Fahrerlaubnisbehörde aber noch nicht bekannt gewesen sei. Eine Verringerung des Punktestandes auf sieben Punkte, die vorgesehen ist, wenn die Fahrerlaubnisbehörde einen Fahrerlaubnisinhaber trotz Erreichens von acht oder mehr Punkten erst noch verwarnen muss, kann in einem solchen Fall nicht beansprucht werden (Urt. v. 26.01.2016, Az. 3 C 21.15).
Der Kläger hatte am 10. März 2014 einen Geschwindigkeitsverstoß begangen; sein Punktekonto im Fahreignungsregister stieg damit auf 9. Am 21. Januar 2015 verwarnte die Fahrerlaubnisbehörde, die von dem Verstoß aus März 2014 zu diesem Zeitpunkt noch nichts wusste, den Kläger wegen des Erreichens von sieben Punkten. Mit Bescheid vom 13. Februar 2015 entzog sie ihm sodann die Fahrerlaubnis. Er habe mit einer am 10. März 2014 begangenen und mittlerweile auch rechtskräftig geahndeten Geschwindigkeitsüberschreitung neun Punkte erreicht und damit die Schwelle von acht Punkten überschritten, ab der er gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Straßenverkehrsgesetz (StVG) als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gelte.
Der Mann klagte daraufhin – in seinem Fall seien die in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG vorgesehenen Stufen des Maßnahmenkatalogs (Ermahnung - Verwarnung - Fahrerlaubnisentziehung) nicht ordnungsgemäß durchlaufen worden. Das Verwaltungsgericht Regensburg gab dem Autofahrer recht: Der zur Fahrerlaubnisentziehung führende Verkehrsverstoß sei zum Zeitpunkt der Verwarnung bereits begangen, rechtskräftig geahndet und auch im Fahrerlaubnisregister eingetragen gewesen. Deshalb verringere sich sein Punktestand auf sieben Punkte.
Systemwechsel: Kenntnisstand der Behörde entscheidend
Das BVerwG schloss sich dem nicht an. Der Gesetzgeber habe mit der Reform des Punktesystems und den dazu im Dezember 2014 in Kraft getretenen Änderungen die Warn- und Erziehungsfunktion des gestuften Maßnahmensystems des § 4 Abs. 5 StVG hinter den Schutz der Verkehrssicherheit vor Mehrfachtätern zurücktreten lassen. Ein Fahrerlaubnisinhaber könne nicht mehr mit Erfolg geltend machen, er habe den weiteren Verkehrsverstoß, der zum Überschreiten der Acht-Punkte-Grenze führe, bereits vor der Erteilung der Verwarnung begangen, sodass ihn deren Warnfunktion nicht mehr habe erreichen können.
Maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Verwarnung und einer nachfolgenden Entziehung der Fahrerlaubnis sei nach der geänderten gesetzgeberischen Konzeption - in bewusster Abkehr vom sogenannten Tattagprinzip - der Kenntnistand, den die Fahrerlaubnisbehörde bei Ergreifen der jeweiligen Maßnahme hat. Gleiches gelte für die Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG. Auch sie trete nur ein, wenn der Fahrerlaubnisbehörde die weiteren, zum Erreichen von acht oder mehr Punkten führenden Verkehrsverstöße bereits bei der Verwarnung bekannt waren. Der vom Gesetzgeber vorgenommene "Systemwechsel" sei verfassungsrechtlich im Hinblick auf das Rückwirkungsverbot und den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu beanstanden, entschied das Gericht.
acr/LTO-Redaktion
BVerwG zu neuem Punktesystem: . In: Legal Tribune Online, 26.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21911 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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