BGH zur gerichtlichen Überprüfung von Schiedssprüchen: Umfas­sende Kon­trolle an Ver­botsnormen des Kar­tell­rechts

von Lorenz Menkhoff

19.12.2022

Ein Schiedsspruch muss sich vollumfänglich an den zwingenden Verbotsnormen des Kartellrechts messen lassen – das entschied der BGH. Damit klärt er eine zwischen OLG-Senaten umstrittene Frage.

Ein Schiedsspruch unterliegt hinsichtlich der zwingenden Verbotsnormen des Kartellrechts vollständiger gerichtlicher Kontrolle. Prüfungstiefe und -breite sind nicht eingeschränkt. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden und damit einer Rechtsbeschwerde gegen einen vom OLG bestätigten Schiedsspruch stattgegeben. Den Beschluss und Schiedsspruch hat er teilweise aufgehoben (Beschl v. 27.09.2022 - KZB 75/21). Die Entscheidung ist wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BGHZ vorgesehen.

Dem Beschluss des Kartellsenats lag dabei folgender Sachverhalt zugrunde: Die Antragstellerin, eine Pächterin, betrieb einen von zwei Steinbrüchen im Büdinger Wald. Ebendiesen Pachtvertrag kündigte die Eigentümerin vor Ende der Laufzeit. Ziel der Kündigung war es, die Pächterin zur Veräußerung ihrer Anlagen im Steinbruch an ihre Konkurrentin zu bringen. Durch das Ausscheiden der Pächterin aus dem Wettbewerb sollte ein Preiskampf zwischen den Steinbrüchen verhindert und eine höhere Pacht erzielt werden.

Gestützt auf kartellrechtliche Erwägungen erwirkte die Pächterin zunächst ein Bußgeld gegen die Eigentümerin beim Bundeskartellamt. Das daraufhin von der Eigentümerin angerufene Schiedsgericht verwarf diese Einwände und bestätigte die Kündigung mit Endschiedsspruch vom 27. April 2020.

OLG Frankfurt bestätigt Schiedsspruch

Das OLG Frankfurt hat diesen Schiedsspruch dann bestätigt. Die §§ 19 - 21 GWB, die das Verbot einseitiger, missbräuchlicher Verhaltensweisen normieren, seien zwar – soweit noch auf der Linie des BGH – Teil des ordre public (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO). Allerdings seien diese jedenfalls bei zurückgenommener Prüfungsdichte nicht verletzt.

Dass Prüfungsmaßstab lediglich die "in den kartellrechtlichen Normen zum Ausdruck gekommenen grundlegenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers" seien, ergebe sich bereits aus dem Wesen der Schiedsgerichtsbarkeit als privatautonome Streitentscheidung. Nicht einmal für eine summarische Prüfung oder kartellrechtliche Plausibilitätskontrolle sei Raum, so die Richter des OLG.

BGH widerspricht: Auch nach neuer Rechtslage kartellrechtlicher Schiedsspruch voll überprüfbar

Der BGH erteilt dieser Auffassung des OLG Frankfurt nun eine Absage. "Keine Rechtsordnung kann es hinnehmen, dass Verstöße gegen ihre grundlegendsten Normen durch ihre eigenen Gerichte bestätigt werden, unabhängig davon, ob diese Verstöße offenkundig oder offensichtlich sind oder nicht", so der BGH. An dieser bereits zum Recht alter Fassung geäußerten Meinung hält der BGH nun ausdrücklich fest.

Die Auffassung des BGH ist dabei nicht ohne Kritik geblieben. So hat sich beispielsweise der französische Cour de Cassation auf eine bloße Evidenzkontrolle kartellrechtlicher Schiedssprüche beschränkt. Auch in Deutschland war das Meinungsbild zwischen den Schiedssenaten der Oberlandesgerichte bislang gespalten.

Faktisch gliedere der BGH Schiedssprüche mit kartellrechtlichem Bezug vollständig in die deutsche Gerichtsbarkeit ein. Damit entfielen spezifische Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit, wie kurze Verfahrensdauer und Besetzung mit Spezialisten, fasst Dr. Kim Manuel Künstner, Kartellrechtler und Partner bei Schulte Rechtsanwälte,  die Kritik auf der Kanzleiwebsite zusammen.

Öffentliches Interesse und Gesetzgebungshistorie

Der BGH macht indes für die vollumfängliche Überprüfbarkeit neben dem Interesse der Schiedsparteien auch das öffentliche Interesse an einem funktionierenden Wettbewerb geltend. Schließlich seien lediglich vor staatlichen Gerichten umfassende Beteiligungsbefugnisse des Bundeskartellamts vorgesehen. Hinzu komme im Anwendungsbereich der Art. 101, 102 AEUV, dass staatliche Gerichte vorlageberechtigt an den EuGH seien. Schiedsgerichte seien regelmäßig nicht zur Vorlage berechtigt.

Die Richter stellten darüber hinaus klar, eine bloße Evidenzkontrolle werde den häufig rechtlich und tatsächlich komplexen kartellrechtlichen Sachverhalten nicht gerecht. Letztlich spreche auch die Gesetzgebungshistorie gegen eine zurückgenommene Kontrolldichte. Der Gesetzgeber habe § 91 I 1 GWB, der noch ein zwingendes Wahlrecht auch zugunsten der staatlichen Gerichte vorsah, nur deshalb gestrichen, weil die Schiedsgerichte gleichermaßen die zwingenden Vorschriften des Kartellrechts zu beachten hätten und eine Kontrolle der Schiedssprüche durch ordentliche Gerichte gewährleistet sei.

Schiedsspruch verstößt gegen ordre public

Auf Grundlage dieser rechtlich und tatsächlich umfassenden Prüfung sahen die Karlsruher Richter in der Kündigung des Pachtvertrages unzulässigen Zwang nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 GWB. Indem die Eigentümerin der Pächterin nur die Wahl zwischen der wirtschaftlichen Zusammenführung mit der Konkurrentin oder der Existenzaufgabe ließ, sei das Verhalten wettbewerbswidrig gewesen und die Kündigung gem. § 134 BGB nichtig.

Damit verstoße der Schiedsspruch gegen den ordre public und sei gem. § 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO aufzuheben.

Zitiervorschlag

BGH zur gerichtlichen Überprüfung von Schiedssprüchen: . In: Legal Tribune Online, 19.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50516 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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