Können Fluggäste eines mehrgliedrigen Flugs auch dann in Deutschland klagen, wenn der verspätete Anschlussflug weder im Bundesgebiet startet noch landet? Auch wenn der BGH davon ausgeht, will er das ohne den EuGH nicht entscheiden.
Der Bundesgerichtshof (BGH) muss klären, ob Passagiere eines internationalen, mehrgliedrigen Fluges auch in Deutschland klagen dürfen, wenn sie Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung wegen der zweiten Flugverbindung geltend machen wollen. An der Entscheidung mitwirken soll der Europäische Gerichtshof (EuGH), dem die Karlsruher Richter am Dienstag Fragen zu dieser umstrittenen Fallkonstellation vorgelegt haben (Beschl. v. 18.08.2015, Az. X ZR 2/15).
Klarheit herrscht bereits darüber, wo der Gerichtsstand ist für Ausgleichsansprüche von Fluggästen einer eingliedrigen Flugverbindung, die vom Vertragspartner der Passagiere selbst durchgeführt wird. Hierzu hatte der EuGH 2009 entschieden, dass Klägern ein Wahlrecht zwischen Abflugs- und Ankunftsort zustehe. Fliegt ein Gast etwa von Frankfurt nach Paris, kann er in beiden Ländern klagen.
Der Sachverhalt, mit dem sich der BGH aktuell beschäftigt, weicht hiervon allerdings wesentlich ab. Denn der klagende Passagier hatte bei der Airline Air France eine Verbindung von Stuttgart nach Helsinki gebucht mit Zwischenstopp in Paris. Die zweite Teilstrecke, der Flug von der französischen in die finnische Hauptstadt, erfolgte im Wege des sog. Codesharing durch die Fluggesellschaft Finnair. Durch dieses Verfahren teilen sich Fluggesellschaften einen Linienflug unter einer jeweils eigenen Flugnummer. Der Flug der Finnair hatte eine Verspätung von über drei Stunden und damit grundsätzlich lang genug, um Ausgleichsansprüche nach der Fluggastrechteverordnung geltend zu machen.
BGH tendiert zu Erfüllungsort in Deutschland
Es stellte sich allein die Frage, welches Gericht für die Klage des Mannes zuständig ist. Das angerufene Amtsgericht (AG) Nürtingen, in dessen Bezirk der Stuttgarter Flughafen liegt, sah sich selbst und auch jedes andere deutsche Gericht als nicht verantwortlich und wies die Klage ab. So auch das Landgericht (LG) Stuttgart in zweiter Instanz. Im Inland, so hieß es, liege kein Erfüllungsort, denn dem Fluggast gehe es allein um die Verbindung von Paris nach Helsinki.
Der X. Zivilsenat des BGH tendiert dagegen dazu, einen Gerichtsstand auch in Stuttgart, also am Abflugort der ersten Teilstrecke anzunehmen. Auch wenn das nach der Fluggastrechteverordnung verpflichtete "ausführende Luftfahrtunternehmen" der zweiten Teilstrecke nicht zugleich Vertragspartner sei, dürfte eine Klage auch im Gerichtsstand des zugrundeliegenden Vertrags erhoben werden können, so formuliert es Karlsruhe. Es entspräche einer konsequenten Anknüpfung an die vertragliche Grundlage der Beförderungsleistung, den Abflugort als Erfüllungsort anzusehen.
Da sich diese Ansicht aber nicht aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ableiten lässt – hierzu wurde noch nicht entschieden –, legt der Senat den Luxemburger Richtern diese Überlegungen als Fragen vor. Nämlich zum einen, ob die Fluggastrechteverordnung mit dem Begriff "Ansprüche aus einem Vertrag" in Art. 5 Nr. 1a) auch solche Ausgleichszahlungen gegenüber einer ausführenden Fluggesellschaft meint, die nicht Vertragspartnerin ist. Und zweitens, ob in diesem Fall der Abflugort der ersten Teilstrecke als Erfüllungsort angesehen werden kann, wenn zugleich der Aufenthalt auf dem Umsteigeflughafen laut Flugplan nicht nennenswert sei.
una/LTO-Redaktion
Ausgleichsansprüche wegen Flugverspätung: . In: Legal Tribune Online, 19.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16649 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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