Jahresbilanz des Bundesarbeitsgerichts: Pro­fi­fuß­ball, Min­dest­lohn und Über­wa­chung

16.02.2017

2.376 von jährlich rund 400.000 arbeitsgerichtlichen Verfahren schafften es 2016 bis zum BAG. Für 2017 wird mit ähnlich vielen gerechnet. Es wird u.a. um Vertragsbefristung im Profifußball und Arbeitnehmerüberwachung per Keylogger gehen.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt ist die höchste Instanz im deutschen Arbeitsrecht. Den Richtern in den dunkelroten Roben geht die Arbeit nicht aus: Exakt 2.376 Fälle landeten 2016 auf ihren Schreibtischen, wie aus der am Mittwoch vorgelegten Bilanz hervorgeht – eine Steigerung um drei Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Den Eingängen stehen 2.195 Erledigungen mit einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von sieben Monaten gegenüber. Sie setzen sich zu knapp 60 Prozent aus Nichtzulassungsbeschwerden und im Übrigen größtenteils aus Revisionen beziehungsweise Rechtsbeschwerden zusammen. Mehr als jede vierte Revision beziehungsweise Rechtsbeschwerde verlief auch erfolgreich; bei den Nichtzulassungsbeschwerden war es hingegen nicht einmal jede zehnte. Zum Ende des Berichtsjahres anhängig waren noch 1.639 Verfahren.

Im Folgenden ein Überblick, welche relevanten Sachverhalte die Richter beschäftigen werden beziehungsweise beschäftigt haben.

Arbeitsverträge für Viel- und Geringverdiener

So soll das BAG entscheiden, ob Fußballvereine ihren Profis weiterhin befristete Verträge geben können. Anlass für die brisante Entscheidung, die Auswirkungen auf viele Vereine haben dürfte, ist ein Rechtsstreit zwischen dem FSV Mainz 05 und seinem früheren Torwart Heinz Müller.

Müller hatte 2014 nach Ablauf eines Zweijahresvertrages auf Feststellung des Fortbestandes als unbefristetes Arbeitsverhältnis geklagt. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz ließ befristete Verträge wegen der "Eigenart der Arbeitsleistung" von Profifußballern zu, machte aber den Weg für eine Revision beim BAG  frei. Der Fall könnte im vierten Quartal 2017 verhandelt werden, spätestens aber Anfang 2018, sagte Gerichtspräsidentin Ingrid Schmidt.

Nicht um die Verlängerung, aber die Bezahlung geht es im Bereich Mindestlohn. Mehr als zwei Jahre nach der Mindestlohneinführung landen immer weitere Streitfälle in Erfurt, bei denen es um Details der Ausgestaltung geht. Die häufigste Frage lautet dabei, welche Leistungen Arbeitgeber anrechnen können, um auf die aktuelle Lohnuntergrenze von 8,84 Euro pro Stunde zu kommen. Unter anderem soll es um die Anrechenbarkeit einer Treueprämie gehen.

Ein Grundsatzurteil zum Mindestlohn hatte das Bundesarbeitsgericht bereits 2016 gefällt. Zur Enttäuschung vieler Geringverdiener können danach Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld angerechnet werden, wenn der Arbeitnehmer darauf einen Rechtsanspruch hat und die Zahlungen monatlich erfolgen. Das gilt allerdings nicht für Zahlungen, die einen bestimmten Zweck erfüllen sollen wie Nachtarbeitszuschläge. In einem anderen Verfahren entschieden die Richter, dass der Mindestlohn auch für Bereitschaftszeiten fällig wird.

Der Computer am Arbeitsplatz

Noch ist die Zahl von arbeitsgerichtlichen Verfahren zu möglichen Pflichtverletzungen von Arbeitnehmern bei der Internetnutzung oder zur Protokollierung von Nutzungsverhalten durch den Arbeitgeber überschaubar. Aber einige Verfahren zur Digitalisierung haben es in die letzte Instanz geschafft und werden 2017 vor dem BAG verhandelt.

Ein Fall, der voraussichtlich im Juli an die Reihe kommt, dreht sich um den Einsatz sogenannter Keylogger, die sämtliche Tastaturanschläge des Nutzers speichern. Es gehe darum, ob Informationen aus den Tastatureingabeprotokollen in einem Kündigungsschutzverfahren eine Rolle spielen dürften, sagte Richterin Stephanie Rachor. In einem anderen Verfahren beschäftigen sich die Bundesarbeitsrichter damit, ob die Aufzeichnung der Internetseiten, die ein Angestellter während seiner Arbeitszeit besuchte, zur Begründung von Pflichtverletzungen bei einer Kündigung dienen könnte.

2016 fällten die Erfurter Richter eine historische Entscheidung zum Streikrecht. Erstmals wurde eine Gewerkschaft zu Schadenersatz für die Folgen eines Streiks verurteilt. Es traf die Gewerkschaft der Flugsicherung, der die Richter in einer Detailfrage einen Verstoß gegen die Friedenspflicht bei einem mehrtägigen Arbeitskampf am Frankfurter Flughafen anlasteten.

Der Schaden hat sich laut Flughafengesellschaft auf einen Millionenbetrag summiert. Das BAG wertete den Streik der Vorfeldlotsen als rechtswidrig und ließ auch nicht den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens gelten, demzufolge der Schaden bei rechtlich sauberer Durchführung des Streiks ebenso entstanden wäre.

"Manchmal versteht das Internet die Justiz nicht"

Facebook-Auftritte gehören zum Standard vieler Unternehmen. Doch sollen Betriebsräte bei deren Gestaltung mitreden dürfen? Ja, sagten die Bundesarbeitsrichter in einem Urteil im vergangenen Jahr. Dies gelte, wenn Nutzer auf der Facebook-Seite auch Kommentare über Mitarbeiter des Unternehmens abgeben können. Es handelte sich um das erste höchstrichterliche Urteil zu den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates in Bezug auf die sozialen Netzwerke.

Dem Vorwurf mangelnder digitaler Kompetenz trat die BAG-Präsidentin am Mittwoch entgegen: "Es ist nicht so, dass die Justiz das Internet nicht versteht. Manchmal versteht das Internet die Justiz nicht."

cvl/dpa/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Jahresbilanz des Bundesarbeitsgerichts: . In: Legal Tribune Online, 16.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22121 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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