Fenstersturz-Fall beim BGH: Kein zwin­gender Töt­ungs­vor­satz bei Stoß aus dem zweiten Stock

25.09.2024

Kann ein Tötungsvorsatz angenommen werden, wenn der Täter das Opfer aus dem Fenster im zweiten Stock stößt? Allein aus der objektiven Gefährlichkeit darf nicht auf den Vorsatz geschlossen werden, so der BGH. Er hob ein Urteil des LG Halle auf. 

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat ein Urteil wegen versuchten Totschlags u.a. durch einen Stoß aus dem 2. Obergeschoss aufgehoben, weil der entsprechende notwendige bedingte Tötungsvorsatz rechtsfehlerhaft angenommen wurde (Urt. v. 05.09.2024, Az. 6 StR 340/24).

Der Fall aus dem Jahr 2013 beginnt mit einer Party, die Stimmung ist laut dem Urteil "infolge Alkohol- und Kokainkonsums gelöst". Der Angeklagte, das Tatopfer sowie zwei weitere Personen (X und Y) feiern ausgelassen in einer Wohnung. Die Person X fühlt sich wie auch der Angeklagte zu Y hingezogen, der wegen transsexueller Neigungen als Frau auftritt und den beiden als attraktive Frau erscheint. Motiviert durch Eifersucht wies das homosexuelle Tatopfer sodann darauf hin, dass es sich bei Y in Wahrheit um einen Mann handele.

Das machte den Angeklagten so wütend, dass er das ihm körperlich unterlegene Tatopfer an dessen Hemd griff und ihn in Richtung eines geöffneten Fensters gegen den teilweise herabgelassenen Rollladen stieß. Der Rollladen ging dabei zu Bruch, sodass es zu einem Sturz aus gut sechs Metern Höhe kam. Durch den Aufprall auf den Kopf ist das Tatopfer nachhaltig stark geschädigt.

Mit dem Stoß wollte der Angeklagte das Tatopfer verletzen, um dieses so "für die Täuschung über das Geschlecht [des Y] und dessen vorhergehende Annäherungsversuche ihm gegenüber zu bestrafen". Dabei war ihm laut Urteil des Landgerichts Halle bewusst und er nahm billigend in Kauf, dass Y einen Sturz wenn überhaupt nur schwerverletzt bzw. wahrscheinlich gar nicht überleben würde. Deshalb erfolgte die Verurteilung wegen versuchten Totschlags (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Strafgesetzbuch, StGB) in Tateinheit gemäß § 52 StGB mit schwerer und mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 226, 224 StGB) unter Einbeziehung einer anderen Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren.

BGH: Subjektive Tatseite unzureichend begründet

In der Revision ging es sodann einzig um die Frage, ob der Angeklagte den nötigen bedingten Tötungsvorsatz hatte. Dazu stellt der 6. Strafsenat zunächst noch einmal die in ständiger Rechtsprechung geltenden Voraussetzungen hierfür dar. Demzufolge hat bedingten Tötungsvorsatz, "wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement)". Die beiden Elemente seien jeweils für sich genommen einzeln zu prüfen, wobei eine Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Tatumstände vorzunehmen sei, so der BGH. Als relevante Umstände für diese Gesamtbetrachtung nennt der Senat konkret die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung und die konkrete Angriffsweise des Täters sowie auch dessen psychische Verfassung bei Tatbegehung und seine Motivationslage.

Dem Urteil des Landgerichts Halle vermochte der Senat hier schon nicht zu entnehmen, auf welche Indizien die Strafkammer die Annahme des Vorsatzes gestützt hat. In ihrem Gesamtzusammenhang würden die Urteilsgründe zwar andeuten, dass die Strafkammer "die Gefährlichkeit der Tathandlung und den Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts im Blick hatte", so der Senat. Allerdings fehle die "gebotene Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände".

Alkohol kann auch bei Schuldfähigkeit gegen Vorsatz sprechen

Soweit die Tat – wie hier – spontan, unüberlegt oder im Affekt erfolgt, reiche es für die Annahme des bedingten Tötungsvorsatzes nicht aus, dass der Täter die Gefahr des möglichen Todeseintritts kennt. Insbesondere fordert der Senat zusätzlich eine "Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten". Vorliegend wäre das etwa die alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten, welche auch bei festgestellter uneingeschränkter Schuldfähigkeit dem Tötungsvorsatz entgegenstehen könnte.

Zuletzt äußert sich der Senat noch zum Handlungsantrieb des Angeklagten. Er hatte hier das Tatopfer für dessen Annäherungsversuche und die vermeintliche Täuschung bestrafen wollen. Das sei nur von Bedeutung, soweit daraus "Rückschlüsse auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen" möglich sind. Denn, so der Hinweis des Senats, "mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter verfügen regelmäßig über kein Tötungsmotiv".

Der Senat hat das Urteil folglich unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufgehoben und die Sache an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Dabei ließ der Senat diese Kammer noch wissen, dass die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes hier "nicht fernliegt".

Der BGH verdeutlicht, dass hohe Anforderungen an die Begründung des bedingten Tötungsvorsatzes gestellt werden. Gerade bei affektiven Taten oder unter Alkoholeinfluss ist eine differenzierte Prüfung der subjektiven Tatseite notwendig.

jb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Fenstersturz-Fall beim BGH: . In: Legal Tribune Online, 25.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55492 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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