BVerfG zur Zwangsbehandlung trotz Patientenverfügung: Es gibt eine "Frei­heit zur Krank­heit"

30.07.2021

Ein Straftäter im Maßregelvollzug hat das Recht, Zwangsbehandlungen abzulehnen, es gibt eine "Freiheit zur Krankheit", so das BVerfG. Diese ende aber, wenn zum Beispiel das Personal der Anstalt geschützt werden muss.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zwei Verfassungsbeschwerden eines im Maßregelvollzug untergebrachten Mannes teilweise stattgebeben. Der Mann richtete sich vor dem Zweiten Senat gegen Zwangsbehandlungen mit Medikamenten, die man ihm trotz einer bestehenden Erklärung verabreicht hatte (Beschl. v. 08.06.2021, Az. 2 BvR 1866/17 und 2 BvR 1314/18). Bei der Entscheidung hätten die Fachgerichte den Grundrechten des Mannes unzureichend Rechnung getragen, so das BVerfG.

Seit 2015 befindet sich der Mann im Maßregelvollzug in einem entsprechenden Krankenhaus. Schon zehn Jahre zuvor hatte er in einem Formular erklärt, er habe eine Verfügung getroffen und wolle diese mit dem Formular bekräftigen. Zu seiner 2015 erneut schriftlich festgehaltenen Verfügung gehörte insbesondere, dass er nicht gegen seinen Willen mit Neuroleptika (Psychopharmaka) behandelt werden wolle. Das Krankenhaus diagnostizierte eine Schizophrenie und beantragte eine entsprechende Behandlung mit Neuroleptika, um den Mann vor irreversiblen hirnorganischen Gesundheitsschäden zu bewahren. Das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth bewilligte dies auf Grundlage des damals geltenden einschlägigen Landesgesetzes (BayMRVG).

In der Folgezeit ergingen weitere Beschlüsse des LG sowie des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg, welche die fortdauernde Zwangsmedikation ermöglichten. Mit den Verfassungsbeschwerden rügt der Mann eine Verletzung seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 Grundgesetz (GG)) und seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Mittelbar richtete er sich zudem gegen die entsprechende Rechtsgrundlage im BayMRVG.

Rechtfertigung einer Zwangsbehandlung ist möglich, es gibt aber hohe Hürden dafür

Die Verfassungsbeschwerden waren nun teilweise erfolgreich. Der Schutz gegen eine staatliche Zwangsbehandlung gehöre zum traditionellen Gehalt des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit, so der Zweite Senat. Ein Eingriff wie der hier vorliegende wiege dabei besonders schwer, könne aber im Einzelfall gerechtfertigt sein, so das BVerfG.

Die Richterinnen und Richter führen in ihrer Entscheidung aus, dass der Schutz der Allgemeinheit vor von einer psychischen Erkrankung herrührenden Straftaten der untergebrachten Person keinen Rechtfertigungsgrund für eine Zwangsbehandlung darstellt. In Betracht komme vielmehr der Grundrechtsschutz anderer Personen innerhalb der Einrichtung. Eine Zwangsbehandlung kann zur Ausfüllung der staatlichen Schutzpflicht nach Auffassung des BVerfG aber nur dann gerechtfertigt sein, wenn mildere Mittel nicht in Betracht kommen. Dabei seien hohe Anforderungen an den Ablauf (Dokumentation, Überwachung durch medizinisches Personal) zu stellen und der ernsthafte Versuch unerlässlich, die Zustimmung des Betroffenen zu erlangen.

Ausgeschlossen sei eine Rechtfertigung der Zwangsbehandlung zum vermeintlichen Schutz des Betroffenen vor sich selbst aber dann, wenn er im Zustand der Einsichtsfähigkeit diese hinreichend bestimmt ausgeschlossen hat. In Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG liege auch die "Freiheit zur Krankheit"; ein Ausdruck, den das BVerfG bereits im Jahre 1981 geprägt hat. Die Schutzpflicht des Staates tritt hier gegenüber der Freiheit des Betroffenen insoweit zurück. Gleichwohl betont der Zweite Senat, dass die Freiheit des Betroffenen nur so weit reicht, wie seine eigenen Rechte betroffen sind. Das heißt, dass der Schutz von anderen Personen in der Einrichtung, zum Beispiel der des Personals oder anderen Mitinsassen, gleichwohl ein möglicher Rechtfertigungsgrund für eine Zwangsbehandlung sein kann.

Unzureichende fachgerichtliche Entscheidungen

Sodann kam das BVerfG zu dem Ergebnis, dass die Fachgerichte den Grundrechten des Mannes unzureichend Rechnung getragen haben. Zwar seien die Gerichte von einer wirksamen Verfügung ausgegangen. Jedoch hätten sie es versäumt, zu ermessen, inwieweit die Schutzpflicht zur Gesundheit des Mannes ihre Grenzen in dessen Selbstbestimmungsrecht findet.

Insbesondere hätten die Gerichte bei der Begründung ihrer Entscheidungen auch nicht auf die Rechte Dritter abgestellt, so das BVerfG. Der Zweite Senat betonte entsprechend, dass eine Zwangsbehandlung, die allein dem Schutz des Betroffenen dient, bei einer entgegenstehenden wirksamen Patientenverfügung von vornherein verboten ist.

Die ebenfalls angegriffene Vorschrift der Art. 6 Abs. 3 und Abs. 4 BayMRVG a. F. genüge dagegen den grundgesetzlichen Anforderungen, so das BVerfG. In dieser Hinsicht blieben die Verfassungsbeschwerden des Mannes erfolglos.

Das BVerfG hat die Sache nunmehr an das LG Regensburg zurückverwiesen.

jb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zur Zwangsbehandlung trotz Patientenverfügung: . In: Legal Tribune Online, 30.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45603 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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