Eine Umweltaktivistin, die von der Bundespolizei zur Fahndung ausgeschrieben und observiert wurde, hat sich erfolgreich gegen die Maßnahmen gewehrt. Eine der angewendeten Rechtsgrundlagen sei sogar verfassungswidrig, so das VG Hannover.
Die Bundespolizei dufte nicht nach einer Umweltaktivistin fahnden und sie observieren, entschied das Verwaltungsgericht (VG) Hannover am Mittwoch (Urt. v. 06.09.2023, Az. 10 A 5471/21 und 10 A 602/22). Zum einen sei bereits die Rechtsgrundlage, auf die eine der Maßnahmen gestützt worden war, verfassungswidrig. Im Übrigen lägen auch die Voraussetzungen der zugrundegelegten Normen nicht vor.
Die klagende Umweltaktivistin hat bereits an einer Vielzahl von politischen Protestaktion teilgenommen, insbesondere an Kletter- und Abseilaktionen. Daneben berichtet sie auch über die Aktionen anderer Aktivisten und Aktivistinnen. Ihr Wissen über das Protestklettern vermittelt sie in Form von Vorträgen, Kursen und Beiträgen in den sozialen Medien und stellt hierzu Videobeiträge und schriftliche Erläuterungen bereit.
Aufgrund dieser Kletter- und Abseilaktionen schrieb die Bundespolizei die Aktivistin über zwei Jahre, beginnend im Januar 2020, zum Zwecke der Personenkontrolle zur Fahndung aus (gemäß § 30 Abs. 5 Bundespolizeigesetz (BPolG)). Dies führte dazu, dass sie in das polizeiliche Informationssystem INPOL eingetragen und nach eigenen Angaben bei polizeilichen Kontrollen stets sehr viel gründlicher und länger als ihre Begleitpersonen kontrolliert wurde.
Verdeckte Überwachung wurde auf verfassungswidrige Norm gestützt
Anlass für die zweite Maßnahme – eine zweiwöchige verdeckte Observation der Umweltaktivistin, gestützt auf § 28 BPolG – war ein geplanter Nukleartransport. Die Klägerin hatte über diesen Transport auf ihrer Homepage berichtet und darauf hingewiesen, dass Aktionen in Planung seien. Aufgrund ihrer mehrfachen Beteiligung bei Protestaktionen im Bahnbereich war die Bundespolizei davon ausgegangen, dass sie auch in diesem Fall eine Blockadeaktion vorbereite.
Das VG Hannover gab den Klagen der Aktivistin nun statt und stellte die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen fest. In Bezug auf die angeordnete Observation sei bereits der zugrundegelegte § 28 BPolG verfassungswidrig. Für eine längerfristige Observation ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wegen der Schwere des Eingriffs ein Richtervorbehalt notwendig. Ein solcher ist für die Observationsregelung in dem neuen Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat aus Mai 2023 auch bereits vorgesehen.
Die Voraussetzungen der Norm hätten dem Gericht zufolge aber ohnehin nicht vorgelegen. Dass eine konkrete Gefahr für Leib und Leben bestanden habe, sei angesichts der Kletterfertigkeiten der Aktivistin äußerst zweifelhaft. Außerdem habe die Klägerin auch bei vergangenen Protestaktionen Bereiche in der Nähe von elektrifizierten Oberleitungen stets gemieden. Letztlich sei die verdeckte Überwachung zumindest nicht erforderlich gewesen, da auch eine offene Observation ausgereicht hätte, um die Klägerin rechtzeitig von ihren Aktionen abzuhalten.
Die Ausschreibung zur Fahndung erlaubt kein Bewegungsprofil
Auch die Fahndungsausschreibungen waren rechtswidrig, urteilte die Kammer. Die Bundespolizei sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass § 30 Abs. 5 BPolG sie auch dazu ermächtige, eine Rückmeldung von Beamten zu verlangen, die die Umweltaktivistin antreffen. Mithin habe die Bundespolizei die Reichweite der Norm verkannt. Für die Erstellung eines Bewegungsprofils sei die Vorschrift nämlich keine taugliche Rechtsgrundlage.
Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Es kann noch die Zulassung der Berufung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg beantragt werden.
lmb/LTO-Redaktion
Observation und Fahndung waren rechtswidrig: . In: Legal Tribune Online, 07.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52655 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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