Leserbriefe an LTO: Zum Staats­examen 2.0, zur Palandt-Umben­nung und zu Rüs­tungs­ex­porten

02.11.2018

LG Gießen zur Werbung für Schwangerschaftsabbruch: Berufung von Ärztin Hänel abgewiesen

Die Ärtzin Kristina Hänel bleibt auch in zweiter Instanz erfolglos. Ihre Berufung gegen das Urteil der Erstinstanz, die wegen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche eine Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro verhängte, wies das LG Gießen ab.

Von Dr. Wolfgang Vorhoff, Gynäkologe

Ich bin niedergelassener Frauenarzt in Bayern, kein Abtreibungsgegner, obwohl ich selbst keine Abtreibungen mehr durchführen kann. Ich habe das früher gemacht, bis irgendwann der Punkt kann, wo ich das nicht mehr konnte. Die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht dafür aufgestellt hat, sind, aufmerksam gelesen und ohne ideologische Brille, richtig. Auch dass der Schwangerschaftsabbruch im Abschnitt 16 des StGB steht – Taten gegen das Leben –, ist richtig. Denn der Schwangerschaftsabbruch beendet ein Leben. Nicht mehr und auch nicht weniger. Es wird ein Leben vor der Geburt beendet.

In Deutschland gibt es einen sehr ausgewogenen Kompromiss zwischen dem Lebensrecht des Ungeborenen und dem der ungewollt Schwangeren.

Wer in Deutschland einen Schwangerschaftsabbruch machen muss (oder will), dem wird es nicht schwer gemacht. Es sind nur ein paar wirklich einfache Spielregeln zu beachten. Schwangerschaft von einem Arzt feststellen und Schwangerschaftsalter bestimmen und schriftlich oder mit Ultraschallbild bestätigen lassen. Danach zur Beratungsstelle. Da kann man die Ohren auf Durchzug stellen oder zuhören. In jedem Fall erhält man dort den Beratungsschein. Mit dem kann drei Tage später der Abbruch von einem Arzt durchgeführt werden. Ohne Wenn und Aber geht das in den 12 Wochen nach der Empfängnis, also 14 Wochen nach der letzten Regel.

In der derzeitigen Diskussion um den §219a 8Strafgesetzbuch, Anm. d. Red.] wird ständig behauptet, dass Frauen sich wegen des §219a nicht richtig informieren könnten. Und dass Ärzte, die einfach nur objektiv informieren, kriminalisiert würden. Das stimmt natürlich nicht. Der Gesetzgeber will einfach nicht, dass derjenige "informiert", welcher dann beim Abbruch auch ein finanzielles Eigeninteresse durch Anbieten und Ausführen der "Dienstleistung" hat. Gesetzesbegründung 1974: "Sie will verhindern, daß der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird.“

Was mich in der derzeitigen Diskussion um den §219a wirklich besorgt macht um unsere Demokratie, ist die Tatsache, wie hier glatter Unsinn vom gesamten Mainstream der Berichterstattung als Wahrheit übernommen und instrumentalisiert wird. Alle glauben das Märchen und laufen in dieselbe Richtung.

Wirklich kein Mensch benötigt Werbung für die Abtreibung oder Werbung von Abtreibungskliniken, wie sie in anderen Ländern gang und gäbe sind. [Beispiel von der Redaktion entfernt]

In vielen Artikeln zum Thema wird beklagt, dass "Die Debatte tobt, seit eine Ärztin dafür verurteilt wurde, auf ihrer Webseite über Schwangerschaftsabbrüche in ihrer Praxis informiert zu haben.“

Schauen Sie sich mal die Webseite der mittlerweile als Ikone der Frauenbewegung mehrfach ausgezeichneten Ärztin Kristina Hänel an. Das ist da keine reine, selbstlose Information für Frauen in Notlage, die sonst überhaupt nicht wüssten, wohin sie sich zu wenden haben, wenn sie einen Abbruch machen.

Da steht klar "Ich biete an", "in unserer Praxis" und der (kostenpflichtige) Schwangerschaftsabbruch ("Was müssen Sie mitbringen: …Bargeld…") steht direkt neben der IGEL-Leistung Blutegeltherapie und Reitherapie. Tut mir leid, das ist Werbung. Aber die Werbebranche nennt ihre Maßnahmen ja auch Informationskampagnen, nicht wahr?

Nach meinem Dafürhalten ist die Homepage eines Dachdeckers, Steuerberaters, Architekten oder eines Arztes immer ein Werbeinstrument.  Meine ist das auch. Ich "informiere" die Öffentlichkeit, was ich anbiete. Ich würde damit auch für Schwangerschaftsabbrüche werben, wenn ich dort schriebe: Leistungsspektrum Schwangerschaftsabbrüche. Das ist allen klar, die das machen. Leute wie Kristina Hänel oder N. S. [Name von der Redaktion abgekürzt] wissen das auch. Sie geben es nur nicht zu. 

Und es ist schlicht nicht wahr, wenn stereotyp nunmehr in allen Medien behauptet wird, wegen des §219a könnten die Ärzte nicht sachgerecht und objektiv über Schwangerschaftsabbrüche informieren und die Schwangeren wüssten deshalb nicht, wo sie den Abbruch machen lassen können. Das ist kompletter Unsinn. Jede schwangere Frau geht mit positivem Schwangerschaftstest umgehend zum Frauenarzt und die im Schwangerschaftskonflikt erst recht (die bekommen übrigens auch ohne Terminservicestelle schnelle Termine!). Dort wird (und muss!) sie nach der "Richtlinie zur Empfängnisregelung und zum Schwangerschaftsabbruch" umfassend beraten werden. Keine Patientin mit Schwangerschaftskonflikt  verlässt meine Praxis ohne die Adressen der Beratungsstellen und die Adresse der Ärzte, von deren Behandlungsqualität beim Abbruch ich mich überzeugt habe. Dann gehen die zur (Zwangs-)beratung und auch dort wird den Schwangeren im Bedarfsfall mitgeteilt, wo der Abbruch gemacht werden kann. Wenn sie sich nicht doch in nicht allzu wenigen Fällen nach der Beratung zum Austragen der Schwangerschaft entscheiden. Die Beratungsstellen machen nämlich wirklich Sinn. So wird aus mancher zunächst ausweg- und alternativlos erscheinenden Lage doch noch eine glückliche Zukunft mit Kind. (Ich betreue die Frauen dann ja in der Schwangerschaft und danach und das ist kein "Lebensschützergerede" oder paternalistischer Unsinn.)

Was allerdings auch richtig ist: Durch Werbung mit dem Schwangerschaftsabbruch wird keine Abtreibung gefördert oder durch Nicht-Werbung verhindert.  Aber vielleicht wird  sie durch die "Information" auf der Homepage dessen, der das veröffentlicht, dorthin gelenkt, während die Ärzte, die korrekt den Weg über die Beratungsstellen oder die Information anderer Ärzte gehen, "leer" ausgehen. Eine Abschaffung des Werbeverbotes wird zu einem Wettbewerb um die beste Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch führen. Die Modifizierung des Werbeverbotes wird zu einem Wettbewerb um die beste, rechtlich grade noch zulässige Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch führen.

In manchen Ländern ist das Vorgehen seitens der Regierung etwas seltsam, so auch hier in Bayern. Die Beratungsstellen erhalten hier keine Listen von Abtreibungsärzten. Diese von der Bezirksregierung angelegten Listen sind im Gesundheitsamt hinterlegt, wo die Schwangeren sie einsehen (nicht kopieren!) dürfen(*). Aber glauben Sie mir: Auch ohne offizielle Listen lassen die Beratungsstellen keine Frau "im Regen stehen". Die guten Beratungsstellen sind nicht blöde, die beschaffen sich die Information anders. Die haben sich ja damals bei Einführung der staatlichen Beratungsstellen ordentlich mit dem Papst angelegt und haben auch so genug Selbstbewusstsein für die Diskussion mit der Staatsregierung.

[Hinweis von der Redaktion entfernt]

Also bitte: Nicht schreiben, dass wegen des §219a Schwangere von Informationen abgeschnitten sind. Sie bekommen die Information. Neutral und nicht von Eigeninteresse geleitet.

Zitiervorschlag

Leserbriefe an LTO: . In: Legal Tribune Online, 02.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31845 (abgerufen am: 07.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
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