Leserbriefe an LTO: Zum Staats­examen 2.0, zur Palandt-Umben­nung und zu Rüs­tungs­ex­porten

02.11.2018

Hamburg will Examensklausuren am Computer: Kommt das Staatsexamen 2.0 - jetzt endlich?

Was in anderen Fächern schon Realität ist, soll auch bei den Juristen Einzug halten: digitale Prüfungen. Nun haben SPD und Grüne in Hamburg einen neuen Vorstoß gewagt. Kommt bald das Examen am Computer?

 

Von Philipp Takjas, LL.M. (UCLA)

Bereits 2009 war es an law schools in den USA absolut gängig, Klausuren auf Laptops zu schreiben. Es gibt spezielle Software, beispielsweise ExamSoft, die alle anderen Applikationen während der Klausur blockiert. Auch die Anwaltszulassungsprüfungen (bar exam) können seit vielen Jahren auf Laptops geschrieben werden. Und die Hardware bringt jeder selbst mit.

Natürlich ist keine Software fehlerfrei und es gab schon Skandälchen um "betrunkene" Examenssoftware (beispielsweise beim Bar Exam in Kalifornien). Aber 100 %-ige Sicherheit gibt es nun einmal nicht – es gibt bekanntlich auch Richter, die vorab Klausuren verkaufen…

Die Studenten werden nicht gezwungen, Laptops zu nutzen. Eine Professorin regte sogar ausdrücklich an, per Hand zu schreiben unter Hinweis darauf, dass handgeschriebene Klausuren im Schnitt besser seien. Es sei zwar bequemer für die Korrekturen, getippte Essays zu prüfen, aber im Ergebnis mache es mehr Freude, einen guten Essay zu lesen. Auch Studien bestätigen, dass handgeschriebene Prüfungen besser ausfallen. Dennoch sollte es den Prüflingen selbst überlassen werden.

Ich schrieb alle Klausuren per Hand und fuhr gut damit. Aber im Jahr 2018 gezwungen zu sein, 40 Stunden per Hand zu schreiben, ist doch sehr antiquiert.

 

Von Lasse Gielsdorf, Student an der Bucerius Law School und Vorsitzender der Juso HSG dort, der einen Antrag zur Digitalisierung des juristischen Staatsexamens in Hamburg verfasst hat 

Es ist mittlerweile schon einige Jahrzehnte her, dass die Digitalisierung Einzug in unser Leben genommen hat. Solange, dass sich auch die Jurisprudenz, mithin wohl eine der konservativeren Geisteswissenschaften, sich ihrer nicht länger verwehren kann.

E-learning, Legal Tech und andere digitale Innovationen sind dabei, die juristische Arbeitsweise nachhaltig zu verändern. Daneben gehört es mittlerweile jetzt schon zum Alltag, dass juristische Schriftsätze (seien sie akademischer oder praktischer Natur) am Computer verfasst werden. Undenkbar ist die Vorstellung, dass Jurist*innen von heute wertvolle Arbeitszeit damit verschwenden, mühselig an der Schreibmaschine zu tippen oder gar ihre Texte handschriftlich zu verfassen. Und doch scheint hier in Bezug auf die Ausbildung von Jurist*innen die Zeit stehen geblieben zu sein.

Trotz mehrfacher Grundsatzdiskussionen über das Thema gibt es für Jurastudierende auch heute immer noch keine Alternative dazu, ihre Klausuren nicht in handschriftlicher Form abzuleisten, obwohl wichtige Gründe dafür sprächen, dies endlich zu ändern.

Ein erster Grund findet sich in der schon lange digital gestalteten Arbeitswelt von Jurist*innen. Die universitäre Ausbildung dient nicht zuletzt dazu, Studierende optimal auf ein späteres Arbeitsleben vorzubereiten. Ein Arbeitsleben, das voraussetzt, dass Jurist*innen Texte sicher und schnell an der Tastatur verfassen. Während Studierende also über Jahre darauf getrimmt werden, lesbar und gleichzeitig schnell per Hand schreiben zu können und dafür mit besseren Noten belohnt werden, wird diese Fähigkeit nach dem Studium nutzlos, wenn es darauf ankommt, im Zehnfingersystem Schriftsätze am Computer zu schreiben. Es erscheint sinnvoller, Studierende von Anfang an konsequent im Umgang mit Textverarbeitungsprogrammen zu trainieren und ihre Fähigkeiten dahingehend zu stärken, um die Realität nach der Ausbildung schon im Studium abzubilden.

Ferner hat man sich den Anspruch gestellt, Prüfungsleistungen im Jurastudium so objektiv zu bewerten wie irgend möglich. Anstelle von Namen auf den Klausurheften greift man auf Prüfungsnummern zurück, um zu gewährleisten, dass die Identität des Prüflings keinen Einfluss auf die Bewertung der Leistung nimmt. Grundsätzlich ein löblicher Ansatz, der jedoch noch weit hinter seinem Anspruch zurückbleibt, da gerade die Handschrift unterbewusst mehr über den*die Träger*in aussagt und ihren Leser*innen vermittelt als manch ein*e Korrektor*in sich vermutlich in seiner Korrektur kritisch bewusstmacht.

Wer hat nicht Szenen seiner Schulzeit im Kopf, in denen besonders ordentlich schreibende männliche Schüler wegen ihrer "Mädchenschrift" gelobt wurden? Wer kennt nicht das Vorurteil der chaotischen Arzthandschrift? Klar ist, alleine durch die traditionell gesellschaftliche Wertung, fällt es schwer auszuschließen, dass der*die Leser*in nicht für sich eine Verbindung herzuleiten versucht zwischen Schriftbild und seinem*r Träger*in.

Für die Anfertigung von Klausurleistungen heißt das, dass sofern wir den Grundsatz ernst nehmen, dass die Identität und dabei insbesondere das Geschlecht des Prüflings keine Rolle für die Korrektur der Klausur spielen soll, wir langfristig eine Abkehr von der Handschrift anstreben müssen.

Klar sollte sein, dass sich diese Entwicklung nicht von heute auf morgen vollziehen lässt. Dieser Umstand kann jedoch nicht als Entschuldigung begriffen werden, sich nicht offensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen.

In der Vergangenheit wurden oft zahlreiche Vorwände konstruiert, um einer Umsetzung aus dem Weg zu gehen. Demnach wäre die Schaffung der nötigen Infrastruktur von vorneherein zu komplex, die Wahrung der Handschrift als elementares Kulturgut zu wichtig und sowieso haben wir das doch schon immer so gemacht! Dadurch sollten wir uns aber nicht leiten lassen.

Gelegentlich neigen wir dazu, das Selbstbild des konservativen Juristen vor uns herzuschieben. Nicht immer geschieht das jedoch auch aus Überzeugung. Sondern oftmals vielmehr aus Bequemlichkeit. Dem gegenüber steht für mich ein anderer Wert: "Mutig sein!"

Zitiervorschlag

Leserbriefe an LTO: . In: Legal Tribune Online, 02.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31845 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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