Vor sechs Jahren wurde das deutsche Insolvenzrecht modernisiert – Zeit für eine Bilanz. Sanierungs- und Insolvenzexperten halten die neuen Regelungen für besser als vorher, aber längst nicht optimal, ergab eine Studie.
2012 wurde das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) eingeführt, mit dem es insolvenzbedrohten Unternehmen erleichtert werden sollte, sich zu restrukturieren. Zudem wollte der Gesetzgeber das deutsche Insolvenzrecht international wettbewerbsfähiger machen, weil gerade bei grenzüberschreitenden Insolvenzen die Unternehmen oft wählen können, in welchem Land sie ihren Fall juristisch ansiedeln.
Im Großen und Ganzen scheint das gelungen zu sein, ergibt eine nicht-repräsentative Studie der Unternehmensberatung McKinsey und der Wirtschaftskanzlei Noerr, die nun veröffentlicht wurde. Zwischen September und November 2017 wurden knapp 350 Insolvenzexperten befragt, darunter Anwälte, Richter und Rechtspfleger, aber auch Insolvenzverwalter, Gläubiger und Mitarbeiter von Banken.
Demnach stellen die Studienteilnehmer dem reformierten Insolvenzrecht ein "gutes" Zeugnis aus, wenn auch kein "sehr gutes". Ein Großteil der Befragten ist der Ansicht, dass durch das ESUG das deutsche Insolvenzrecht attraktiver geworden sei. 47 Prozent sagen, dass dies "voll und ganz" bzw. "größtenteils" zutrifft, weitere 46 Prozent stimmen dieser Aussage "eher zu". Eine Mehrheit von 70 Prozent glaubt außerdem, dass die Neuerungen der Insolvenzordnung auch einen Mentalitätswechsel herbeigeführt hätten: Eine Insolvenz werde jetzt auch als Chance verstanden.
Überforderte Gerichte
Allerdings machen die befragten Insolvenzexperten auch eine ganze Reihe von Schwachpunkten aus. "Die Studie bestätigt den Eindruck der Überforderung mancher Amtsgerichte bei Unternehmensinsolvenzen", drückt sich Dr. Thomas Hoffmann, Co-Leiter der Praxisgruppe Restrukturierung und Insolvenz und bei Noerr für die Studie verantwortlich, recht vorsichtig aus. Denn immerhin 88 Prozent der Befragten stimmen der These zu, dass die Insolvenzgerichte in Deutschland professionalisiert werden müssen. 50 Prozent halten das für "erforderlich", weitere 38 Prozent für "sinnvoll".
"Weniger Gerichte, aber mehr Richter für die Betreuung von komplexen Verfahren wünschen sich die befragten Experten", sagt Klaus Kremers, für die Studie bei McKinsey zuständiger Partner. 60 Prozent der Teilnehmer halten es für erforderlich, dass die Anzahl der Insolvenzgerichte mindestens halbiert wird. Komplexe Verfahren sollten nach Meinung von 53 Prozent aller Befragten von mehr als einem Richter betreut werden – eine Aussage, der sogar 61 Prozent der befragten Richter zustimmen.
Forderung nach vorinsolvenzlicher Sanierung
Eine deutliche Mehrheit der Studienteilnehmer (70 Prozent) sprach sich auch dafür aus, ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren in Deutschland einzuführen, in dem ein angenommener Restrukturierungsplan auf eine Gläubigergruppe begrenzt werden kann. Das Verfahren sollte von einer unabhängigen Person überwacht werden, die vom Gericht eingesetzt wird und aktiv eingreifen kann, meint die Mehrheit der Befragten.
Viele ausländische Rechtsordnungen ermöglichen eine solche vorinsolvenzliche Sanierung, was in der Vergangenheit auch deutsche Unternehmen oft genutzt haben. McKinsey-Partner Kremers bezeichnet die Tatsache, dass Unternehmen hierzulande Finanzverbindlichkeiten nicht präventiv restrukturieren können, um erst gar nicht in die Gefahr einer Krise zu geraten, denn auch als "strukturellen Nachteil des Sanierungsstandorts Deutschland".
Das könnte sich aber bald ändern, denn vor einem Jahr schon hat die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf für ein präventives Sanierungsverfahren vorgelegt. Mit dem Erlass ist nach Einschätzung von Noerr-Partner Hoffmann jedoch nicht vor Ende 2018 zu rechnen.
Viel Kritik übten die Studienteilnehmer an dem bei seiner Einführung vor sechs Jahren zunächst hochgelobten Instrument der Eigenverwaltung. Dabei behält der Schuldner die Verfügungsgewalt über die Insolvenzmasse, wird aber durch einen Sachwalter beaufsichtigt. 87 Prozent der Befragten sind der Auffassung, dass eigenverwaltende Organe haften sollten wie ein Insolvenzverwalter, und 88 Prozent befürworten eine Beschränkung der Eigenverwaltung: Sie sollte nur solchen Schuldnern offenstehen, die ihre Zuverlässigkeit nach objektiven Kriterien unter Beweis gestellt haben.
ah/LTO-Redaktion
Sechs Jahre nach der Insolvenzrechtsreform: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28471 (abgerufen am: 13.11.2024 )
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