Legal Tech wird in den nächsten Jahren zur massiven Herausforderung für Rechtsanwälte und Rechtsabteilungen. Gut darauf vorbereitet sind allerdings nur wenige, wie eine aktuelle Studie von Wolters Kluwer belegt.
Sind Juristen in Unternehmen, Anwälte und Rechtsdienstleister fit für den Rechtsmarkt der Zukunft? Nicht wirklich, zeigen Ergebnisse der aktuellen Future Ready Lawyer Studie 2020. Die weltweite und unabhängige Untersuchung zur Zukunftsfähigkeit und Widerstandskraft von Organisationen im Rechtsmarkt, die vom Informationsdienstleister Wolters Kluwer (WK), zu dem auch LTO gehört, nach 2019 nun bereits zum zweiten Mal in Auftrag gegeben wurde, beinhaltet Erkenntnisse von 700 Juristen aus den USA und neun europäischen Ländern.
Untersucht wurden dabei aktuelle Branchentrends und die Frage, wie gut Kanzleien, Rechtsabteilungen und Rechtsdienstleister darauf vorbereitet sind, effizienter für ihre Kunden zu arbeiten. Eines der wichtigsten Ergebnisse lautet: Die Bedeutung von Legal Tech wird in den nächsten Jahren rasant zu nehmen – verstärkt infolge der Coronakrise. Aber obwohl die "Steigende Bedeutung von Legal Technology" für 76 Prozent der befragten Juristen der Top-Trend ist, geben nur 28 Prozent der Befragten an, dass sie sehr gut darauf vorbereitet sind.
Kanzleien werden den Kundenerwartungen nicht gerecht
Der Untersuchung zufolge hakt es offenbar im Zusammenspiel zwischen Rechtsabteilungen und den von ihnen beauftragten Kanzleien gewaltig. So offenbart die Future Ready Lawyer-Studie erhebliche Diskrepanzen zwischen den Erwartungen von Rechtsabteilungen und der Fähigkeit auf Seiten der Kanzleien, diesen gerecht zu werden. 79 Prozent der Unternehmensjuristen sahen als wichtig an, dass die von ihnen beauftragten Kanzleien Effizienz und Produktivität unter Beweis stellen, aber nur 28 Prozent von ihnen glauben, dass dies voll und ganz auf ihre derzeitige Kanzlei zutrifft.
Diese Abweichungen wirken sich anscheinend auch auf die Zufriedenheitswerte der Kunden aus: Lediglich 26 Prozent der Unternehmensjuristen geben an, "sehr zufrieden" mit ihrer aktuellen Kanzlei zu sein. 82 Prozent der Unternehmensjuristen halten es für wichtig, dass die von ihnen beauftragten Sozietäten Technologien einsetzen.
Die Studie belegt, dass der Einsatz von Technologie immer entscheidender dafür wird, wie gut Kanzleien in der Lage sein werden, Kundenerwartungen zu erfüllen. Rechtsabteilungen, die sich bereits mit der Notwendigkeit auseinandersetzen müssen, ihre Produktivität und Effizienz zu steigern, haben offensiver auf neue Technologien gesetzt und geben diesen Druck nun an Kanzleien weiter. 81 Prozent der Rechtsabteilungen wollen in den kommenden drei Jahren von Kanzleien Angaben darüber verlangen, wie sie Technologie einsetzen, um produktiver und effizienter zu arbeiten – das sind beinahe doppelt so viele wie heute (41 Prozent).
Defizite auch in den Rechtsabteilungen
Dass sich die Kanzleien dringend auf den an sie herangetragenen Wandel einstellen müssen, hat laut WK-Studie auch mit dem Konkurrenzdruck zu tun, dem sie durch alternative Anbieter von Rechtsdienstleistungen zunehmend ausgesetzt sind.
Viele Kanzleien haben allerdings die Zeichen der Zeit bereits erkannt: Um sicherzustellen, dass sie den Erwartungen ihrer Kunden gerecht werden, investieren der Studie zufolge bereits heute 67 Prozent der befragten Sozietäten in neue Technologien zur Unterstützung der Kanzleiabläufe und der Kundenservices. 39 Prozent formalisierten ihren Prozess für Kunden-Feedback, 36 Prozent führten Projekte zur Prozessoptimierung durch.
Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Legal Technology ist es laut WK-Studie nicht verwunderlich, dass Kanzleien weitere Investitionen planen: So hätten 60 Prozent der befragten Einheiten vor, ihr Technologiebudget in den kommenden drei Jahren zu erhöhen. Allerdings: Nur 29 Prozent der Kanzleien glauben, in Bezug auf das Verständnis der vorhandenen Technologielösungen sehr gut vorbereitet zu sein.
Gut auf den technologischen Wandel vorbereitet sind aber nach den Befragungen im Rahmen der Future Ready Lawyer-Studie auch viele Rechtsabteilungen in den Unternehmen nicht. Auf die Frage, welches die größten Veränderungen seien, die sie erwarten, antworten 82 Prozent der Befragten mit "Gesteigerter Einsatz von Technologie zur Verbesserung der Produktivität".
Big Data und Predictive Analytics seien die transformativen Technologien, von denen 67 Prozent der Rechtsabteilungen glauben, sie würden innerhalb der kommenden drei Jahre zu Veränderungen führen, heißt es in der Studie weiter. Allerdings herrscht auch hier in puncto angemessener Vorbereitung eher Ernüchterung: So gab nur ein Viertel der befragten Rechtsabteilungen an, auf diese wichtigen Technologien sehr gut vorbereitet zu sein und sie zu verstehen.
Größtes Hindernis: die Geschäftsleitung
Obwohl die Interviews mit 700 Juristen in Kanzleien, Rechtsabteilungen und Rechtsdienstleistern in den USA und neun europäischen Ländern - Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden, Italien, Frankreich, Spanien, Polen, Belgien und Ungarn – bereits im Januar 2020 durchgeführt wurden, geht Studienauftraggeber Wolter Kluwer davon aus, dass sich der Veränderungsprozess auf dem Rechtsmarkt durch die Coronakrise beschleunigen wird.
"Angesichts der durch die Krise hervorgerufenen finanziellen Drucksituation für Unternehmen in allen Wirtschaftsbereichen wird in Zukunft die Leistung von Rechtsexperten und ihre Fähigkeit, einen Mehrwert zu liefern, noch mehr im Blickpunkt stehen", glaubt Martin O’Malley, Executive Vice President und Managing Director von Wolters Kluwer Legal & Regulatory.
Und Martina Bruder, CEO von Wolters Kluwer Deutschland, sieht die Future Ready Lawyer Studie 2020 als Verpflichtung und Auftrag: "Als führender Anbieter im digitalen Legal Ecosystem sehen wir es als unserer Aufgabe an, unsere Kunden in Kanzleien, Rechtsabteilungen und in der Öffentlichen Verwaltung in diese Zukunft zu begleiten."
Dass die Organisationen aus der Rechtsbranche im Hinblick auf den Rechtsmarkt der Zukunft so schlecht vorbereitet sind, liegt übrigens nur selten an den Mitarbeitenden selbst. Laut Angaben der Befragten sind die "Schwierigkeiten im Change-Management" und der "Widerstand der Geschäftsleitung gegen Veränderungen" das größte Hindernis bei der Umsetzung von Veränderungen, sowohl für Rechtsabteilungen als auch für Kanzleien.
Studie zur Entwicklung des Rechtsmarkts: . In: Legal Tribune Online, 09.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41853 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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