Das BAG hat die EuGH-Vorgaben zum Urlaubsrecht umgesetzt. Damit verfallen Ansprüche nicht mehr automatisch. Die Entscheidung könnte auch für vermeintlich verfallene Urlaubstage gelten, meint Alexander Willemsen.
Drei Monate nach einem wegweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH Urt. v. 06.11.2018, Az. C-684/16) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 19. Februar 2019 die Vorgaben der europäischen Richter umgesetzt: Der automatische Verfall von Urlaubsansprüchen ist passé. Für die Personalabteilungen bedeutet das Urteil zusätzliche Arbeit – und einige Arbeitnehmer haben 2019 vielleicht mehr Urlaubstage als gedacht.
Der Leitsatz "Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung" hat zumindest im Hinblick auf das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) nur noch eingeschränkte Bedeutung. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG sieht zwar vor, dass Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen und gewährt werden muss. Bislang wurde daraus geschlossen, dass Urlaub, der bis zum Jahresende nicht gewährt und genommen wird, verfällt. Das galt nach bisheriger Rechtsprechung selbst für den Fall, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber rechtzeitig, aber erfolglos aufgefordert hatte, ihm Urlaub zu gewähren.
Keine einseitige Gewährung durch Arbeitgeber
Der EuGH war jedoch der Meinung, dass Urlaubsansprüche nur dann automatisch verfallen, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dies sei aber nur dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer erforderlichenfalls sogar dazu auffordert, den Urlaub zu nehmen und ihm mitteilt, dass der nicht genommene Urlaub am Ende des zulässigen Übertragungszeitraums oder am Ende des Arbeitsverhältnisses verfallen wird.
Diese Rechtsprechung hat das BAG nun übernommen. Bei dieser Gelegenheit hat es auch einige Fragen für die betriebliche Praxis geklärt, die der EuGH offengelassen hatte.
Klar ist nach dem Urteil des BAG, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren, um die Voraussetzungen für einen automatischen Verfall von Urlaubsansprüchen zum Jahresende oder spätestens zum 31. März des Folgejahres zu schaffen. Nach der neuen Formel der Erfurter Richter kann der Verfall von Urlaub allerdings in der Regel nur dann eintreten, "wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt."
Hieraus lassen sich für die betriebliche Praxis Anforderungen ableiten, die für einen automatischen Verfall von Urlaubsansprüchen am Ende des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums einzuhalten sind.
Dokumentieren, auffordern, hinweisen
Um sich auf einen automatischen Verfall von Urlaubsansprüchen berufen zu können, werden die Unternehmen in Zukunft nachweisen müssen, dass sie die vom BAG aufgestellten Anforderungen eingehalten haben. Deshalb sollten entsprechende Mitteilungen an die Arbeitnehmer zumindest in Textform erfolgen und in geeigneter Weise archiviert werden.
Nach den Vorstellungen des BAG soll jeder Arbeitnehmer "konkret aufgefordert" werden, den Urlaub zu nehmen. Dass in vielen monatlichen Lohnabrechnungen bereits jetzt die restlichen Urlaubstage ausgewiesen werden, ist nach der Rechtsprechung wahrscheinlich nicht ausreichend. Ob indes eine individuelle Ansprache jedes einzelnen Arbeitnehmers zu erfolgen hat oder auch eine einheitliche Aufforderung – etwa durch Rundmail oder einen Hinweis auf dem "Schwarzen Brett" – erfolgen kann, ließ das Gericht offen. Wer sichergehen will, sollte jeden Arbeitnehmer einzeln unter Mitteilung des jeweiligen Resturlaubsanspruches auffordern, den Urlaub zu nehmen.
Künftig werden die Unternehmen ihre Arbeitnehmer nach Maßgabe des BAG "klar" auf die Möglichkeit und den Zeitpunkt des Verfalls ihrer Urlaubsansprüche hinzuweisen haben. Im Regelfall handelt es sich jedoch um einheitliche Zeitpunkte (Jahresende bzw. 31. März des Folgejahres), so dass diesbezüglich lediglich ein einheitlicher Textblock in das Anschreiben aufgenommen werden muss.
Nach den Vorstellungen der Erfurter Richter hat der Hinweis auf den drohenden Verfall des Urlaubsanspruches "rechtzeitig" zu erfolgen. Was dies konkret bedeutet, hat das BAG bislang nicht erläutert. Es erscheint aber sinnvoll, umso früher auf den Resturlaub und seinen Verfall hinzuweisen, je höher der Resturlaubsanspruch tatsächlich ist. Ob auch eine entsprechende Belehrung direkt zu Beginn des Urlaubsjahres – also zum frühesten denkbaren Zeitpunkt – "rechtzeitig" im Sinne der neuen Rechtsprechung sein kann, ist noch offen.
Geltung offenbar auch für vermeintlich verfallene Tage
Völlig unklar ist derzeit, welche Folgen das Urteil für vermeintlich verfallene Urlaubsansprüche aus den Vorjahren hat. Die derzeit nur als Pressemitteilung vorliegende Entscheidung vom Dienstag trifft keine Aussagen zu einem etwaigen Vertrauensschutz. Der Hinweis von Oliver Klose, Sprecher beim BAG, wonach "Arbeitnehmer jetzt prüfen [können], ob sie vielleicht doch noch Anspruch auf Urlaub haben, von dem sie dachten, er sei verfallen" lässt allerdings erahnen, dass es sich lohnen könnte, verfallene Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2018 vor die Arbeitsgerichte zu bringen.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Gerichte vermeintlich verfallene Resturlaubsansprüche aus dem Jahr 2018 zusprechen werden, wenn sich der Arbeitgeber in diesen Fällen auf den bisherigen Automatismus beruft. Die Arbeitsgerichte werden voraussichtlich urteilen, dass die neuen Anforderungen, die an den Verfall von Urlaubsansprüchen zu stellen sind, mit dem Urteil des EuGH vom 6. November 2018 feststanden. Dies hätte den Unternehmen genug Zeit gelassen, die Arbeitnehmer entsprechend zu belehren.
Unternehmen, die damals nicht unverzüglich gehandelt und ihre Arbeitnehmer zur Wahrnehmung des Resturlaubes aufgefordert haben, müssen sich also warm anziehen. Umgekehrt können nicht wenige Arbeitnehmer schon mal die Badehose einpacken, weil sie doch noch in den Genuss des ein oder anderen "verfallenen" Urlaubstages aus 2018 kommen.
Der Autor Dr. Alexander Willemsen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er ist Partner bei der Kanzlei Oppenhoff & Partner in Köln.
BAG setzt EuGH-Urteil zum Verfall von Urlaub um: . In: Legal Tribune Online, 20.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33947 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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