2/2: Spannungsfeld zwischen Mandanten und Mitarbeitern
Für die Kanzlei ist das der Versuch, neue Zielgruppen zu erschließen: Gute Juristen, die Interesse daran haben, an Mandaten mitzuarbeiten, mit denen man durchaus Wirtschaftsgeschichte schreiben kann. Die aber gleichzeitig auf ihre Work-Life-Balance bedacht sind und bisher aus diesem Grund den Weg in den Staatsdienst, zu kleineren Kanzleien oder Unternehmen gewählt haben. "Wir möchten aber auch Mitarbeiter an uns binden, die schon länger bei uns sind und nicht mehr in gleichem Ausmaß erreichbar sein möchten", so Schmidt. "Denn es ist unbestritten, dass es viel Flexibilität und einen erheblichen zeitlichen Einsatz bedeutet, bei Linklaters zu arbeiten."
"Wir stehen als Arbeitgeber in einem doppelten Spannungsfeld", sagt Kristina Klaaßen-Kaiser, selbst Partnerin im Bereich Gesellschaftsrecht/M&A und bei Linklaters zuständige HR-Partnerin."Auf der einen Seite stehen die Mandanten mit ihrem Wunsch nach Erreichbarkeit der Anwälte, auf der anderen die veränderte Bewerberkultur. Bisher verlieren wir viele hochqualifizierte Leute als Bewerber sehr früh, weil sie sich verlässliche Arbeitszeiten in einer Wirtschaftskanzlei wie der unseren nicht vorstellen konnten", so die Partnerin. Das Prinzip 'höher, schneller, weiter' funktioniere bei diesen Mitarbeitern nicht mehr. "Wir machen das neue Angebot also nicht aus einem Idealismus heraus, sondern aus der Überlegung, wie wir weiterhin die besten Leute bekommen." Herauskommen werde keine B-Klasse an Anwälten. "Wir werden weiterhin eine A-Klasse haben, aber mit anderen Arbeitszeiten", sagt Schmidt.
Partnerschaft in einer Kanzlei bedeute allerdings auch, dass die Anwälte dann Miteigentümer der Kanzlei seien, dafür bedürfe es eines gewissen Unternehmergeistes. "Als Partner ist es meine Aufgabe, die Kanzlei voranzutreiben, neue Tätigkeitsgebiete zu entwickeln", sagt Klaaßen-Kaiser.
Die Crux mit den billables
Die Zeit für die Entwicklung neuer Tätigkeitsgebiete steht auf keinem Stundenzettel. Sehr wohl darauf stehen allerdings die billable hours, und damit fast ablesbar die Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz. Für diese Stunden, welche die Kanzleien den Mandanten in Rechnung stellen können, gibt es in den Großkanzleien Vorgaben.
Nur wenige Kanzleien gehen mit diesen Zahlen offen um, doch Umfragen und Gespräche zeigen deutlich: Die Zahlen liegen bei internationalen Großkanzleien bei 1.600 bis 2.000 Stunden abrechenbaren Stunden jährlich, die Associates erbringen müssen. Nun haben auch Associates Urlaubsansprüche und werden mal krank, schon bleiben von den 52 Wochen im Jahr nur noch grob überschlagen 46 Wochen. Diesen 46 Wochen mal der Durchschnitt von 1.800 billables zugrunde gelegt, ergeben sich im Schnitt rund 39 abrechenbare Wochenstunden*. So kann mit realistischem Blick schon rein rechnerisch das Arbeitszeitgesetz nicht eingehalten werden – die gesetzlich erlaubte Wochenarbeitszeit muss zwangsläufig durch über die abrechenbaren Stunden hinausgehende Meetings, Fortbildungen etc. bei Weitem überschritten werden. "Die Großkanzleien argumentieren regelmäßig, sie könnten dem Mandanten ja auch Stunden in Rechnung stellen, die keine Arbeitszeit sind, wie etwa Fahrzeiten", sagt ein versierter Arbeitsrechtler, "aber den Mandanten möchte ich sehen, der das heute noch akzeptiert."
Andere argumentieren für ihre Gesetzestreue in punkto Arbeitszeit mit der Einhaltung der Normen im Jahresdurchschnitt– schließlich gewährten die Kanzleien in der Regel sechs statt der gesetzlich vorgeschriebenen vier Wochen Urlaub. "So darf aber natürlich nicht argumentiert werden", sagt der Arbeitsrechtler, denn Urlaub sei Urlaub und habe mit der Arbeitszeit nichts zu tun. Hinzu kommt die grundlegende Frage, welche Mitarbeiter es schaffen, ihren Jahresurlaub auch vollständig zu nehmen.
Nicht nur Häuptlinge
§ 18 ArbZG hilft den Kanzleien nicht. Danach gilt das Arbeitszeitgesetz nicht für leitende Angestellte. Professor Dr. Gregor Thüsing hält die Vorschrift jedoch für unpassend: "Der Begriff des leitenden Angestellten umfasst die meisten Mitarbeiter in den Wirtschaftskanzleien nicht", sagt der Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn. "Es kann kein Unternehmen mit fast ausschließlich leitenden Angestellten geben".
Thüsing sieht auch in den Unterbrechungen der Ruhezeiten durchaus ein Problem: Nach § 5 Abs. 1 ArbZG müssen Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben. "Es kann im Einzelfall natürlich im Interesse des Arbeitnehmers liegen, ein kurzes Telefonat oder eine Email nach der Arbeitszeit zu beantworten", sagt Thüsing. Rein rechtlich beginnt aber seiner Meinung nach mit der Unterbrechung der Ruhezeit diese stets neu zu laufen. "Das kann man aber auch anders sehen, eine Klärung durch den Gesetzgeber ist insofern überfällig."
Bisher sind die Kanzleien mit ihren Anforderungen an die Mitarbeiter auch ohne ein YourLink-Programm durchgekommen. Dabei gab es etwa in NRW durchaus Überprüfungen durch die Bezirksregierung als Aufsichtsbehörde über das ArbZG, teilte die Bezirksregierung Düsseldorf auf LTO-Anfrage mit. "Informationen über tatsächlich festgestellte erfasste Arbeitszeiten bzw. hieraus abzuleitende Verstöße würden gesetzes- und erlasswidrig in die Rechtsposition des betroffenen Arbeitgebers eingreifen", so die Bezirksregierung. Das Ergebnis könne sie daher nicht mitteilen.
"Die großen Kanzleien müssen diese Stundenvorgaben und die damit zwangsläufig einhergehende Überschreitung der erlaubten Arbeitszeiten nicht einmal heimlich machen, sondern werben sogar damit", sagt Bernfried Rose. "Dabei gibt es für die damit einhergehenden Arbeitszeiten regelmäßig keine betriebliche Notwendigkeit. Dass man im Transaktionsgeschäft nicht jeden Tag um 17 Uhr Feierabend machen kann, ist klar, so der Namenspartner der Kanzlei Rose & Partner in Hamburg. "Wenn aber ein Anwalt für einen Deal vier Wochen durchgearbeitet hat, muss er halt anschließend zwei Wochen frei bekommen. Das geht natürlich nur, wenn die Teams personell gut bestückt sind. Das entscheiden allein die Partner, die aber scheinbar nicht bereit sind, solche Personal-Investitionen zu Lasten ihres persönlichen Gewinns zu tätigen."
Zumindest von den verlässlichen Arbeitszeiten profitieren künftig zusätzlich noch diejenigen Mitarbeiter, die sich auf das neue Programm von Linklaters einlassen. Zumindest sie werden bei einem immer noch soliden Gehalt das Arbeitszeitgesetz einhalten. Nur für eine Partnerschaft reicht es dann halt nicht mehr. Aber den Begriff Karriere definieren viele Berufseinsteiger ja ohnehin schon anders.
Korrekturen am 18.5.2017, 14 Uhr:
* hier stand zunächst: auf 50 Prozent des sonst üblichen Gehaltes verzichtet.
* hier stand zunächst: grob überschlagen 50 Wochen. Diesen 50 Wochen mal der Durchschnitt von 1.800 billables zugrunde gelegt, ergeben sich im Schnitt 38 abrechenbare Wochenstunden.
Tanja Podolski, Arbeitszeit in der Großkanzlei: . In: Legal Tribune Online, 18.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22963 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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