Die Berliner Senatsjustizverwaltung muss Richterdaten nur herausgeben, wenn eine Einwilligung vorliegt. Dies hat das VG Berlin entschieden. Für das Richterbewertungsportal Richterscore ist das ein Rückschlag.
"Erfahren Sie mehr über Ihren Richter" – so wirbt das Portal Richterscore auf seiner Homepage. Die Idee: Registrierte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte tauschen sich mit Bewertungen und Kommentaren über Kammern, Senate und Einzelrichter aus und können sich so auf eine anstehende Verhandlung vorbereiten. Das Problem: Die Daten. Je mehr davon über die Richterinnen und Richter vorliegen, desto besser kann das Modell funktionieren.
An die Daten zu kommen, ist aber gar nicht so einfach. Zwar veröffentlichen die meisten Gerichte Geschäftsverteilungspläne auf ihren Internetseiten, aber dort finden sich in der Regel nicht mal die Vornamen. Zudem ist es aufwendig, die Daten aus allen Gerichten zusammenzutragen und aktuell zu halten. Für Richterscore wären außerdem weitere Informationen interessant, etwa wie alt eine Richterin ist oder ob jemand in Teilzeit oder Vollzeit arbeitet.
Die advolytics UG, die das Portal betreibt, wandte sich deshalb an die Berliner Senatsverwaltung für Justiz. Sie solle Richterscore die Daten der Berliner Richterinnen und Richter herausgeben, insbesondere Name, Vorname, Titel, Geburtsdatum, Amtsbezeichnung und Beschäftigungsumfang.
Naheliegend war das vor allem deshalb, weil die Senatsverwaltung ohnehin alle zwei Jahre Daten von Richterinnen und Richtern mitteilt – und zwar an den C.F. Müller Verlag, bei dem der Deutsche Richterbund das "Handbuch der Justiz" herausgibt. Das Handbuch gibt es schon seit Jahrzehnten, es enthält ganz ähnliche Daten, mehr als 30.000 Einträge, ein "vollständiger Überblick über die Strukturen und personelle Besetzung der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Justizverwaltungen in Bund und Ländern", so wirbt der Verlag.
Senatsverwaltung warnt vor "gläsernem Richter"
Gegen die Anfrage von Richterscore sperrte sich die Senatsverwaltung jedoch. Es folgte ein jahrelanger Streit über die Frage, ob und wie Daten herausgegeben werden müssen. Ein Vergleich scheiterte, inzwischen ist die Stimmung einigermaßen eisig, das wurde bei der Verhandlung am Donnerstag vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin deutlich.
Richterscore wolle den "gläsernen Richter", warnte die Vertreterin des Landes Berlin. Wenn Vor-und Zuname bekannt seien, drohe Stalking, der Beschäftigungsumfang lasse Rückschlüsse auf das Privatleben zu, etwa ob jemand Familie habe. "Kein Berliner Richter kann sich dann noch frei im Internet bewegen, das ist ein massiver Eingriff in das Privatleben", so die Vertreterin.
Richterscore, vertreten durch den Geschäftsführer und den Berliner Rechtsanwalt Dr. Martin Delhey wehrte sich gegen die Vorwürfe. Die Namen von Richterinnen und Richtern ließen sich ohnehin schon herausfinden – entweder im Netz, in veröffentlichten Urteilen oder eben auch im Handbuch der Justiz. Das Richterscore-Portal sei nur für registrierte Anwältinnen und Anwälte zugänglich, eine Weitergabe der Daten erfolge nicht und vor allem gehe es um einen sachlichen Austausch, dafür sorge z.B. ein Schimpfwortfilter. Richterinnen und Richter könnten auch jederzeit abfragen, welche Daten über sie vorliegen.
Richterscore sieht sich im Nachteil gegenüber dem Deutschen Richterbund – beim Handbuch der Justiz arbeite die Senatsverwaltung bereitwillig mit Herausgeber und Verlag zusammen, Richterscore werde dagegen hingehalten, so der Vorwurf.
Eingewilligt haben bisher nur zwanzig Richter
Für das VG ist die Sache jedoch klar: Sowohl der C.F. Müller-Verlag wie auch Richterscore bekommen die gewünschten Daten nur mit einer Einwilligung der Richterinnen und Richter. Und die gilt nun mal nur zweckgebunden, das heißt: Es steht den Richterinnen und Richtern frei, sich etwa für das eine und gegen das andere zu entscheiden, die Senatsverwaltung ist daran gebunden.
Und da liegt der Haken für Richterscore: Das Handbuch der Justiz ist schon lange etabliert. Die Senatsverwaltung gibt die Daten schon seit Jahrzehnten regelmäßig an den Verlag. Während früher eine Mitarbeiterin der Senatsverwaltung händisch die Angaben auf Druckfahnen des Handbuchs korrigierte, müssen mittlerweile – auf Anweisung des Justizsenators – die Gerichte selbst die Daten in elektronischer Form übermitteln.
Lange genügte eine Widerspruchslösung, damals sprach datenschutzrechtlich nichts dagegen. Ungefähr seit 1998 erhalte jede Richterin und jeder Richter bei der Einstellung ein Formular, in dem angegeben werden kann, ob man der Datenherausgabe zustimmt oder nicht, so schildert es die Vertreterin der Senatsverwaltung. Die Einwilligung gilt für alle weiteren Ausgaben des Handbuchs, kann aber jederzeit widerrufen werden. Das Handbuch der Justiz konnte so einen großen Datensatz aufbauen.
Auch für die Datenherausgabe an Richterscore wurde nun ebenfalls die Einwilligung abgefragt. Die Senatsverwaltung für Justiz schickte dazu ein Schreiben an alle Berliner Gerichte. Allerdings kamen lediglich zwanzig Einwilligungen zurück.
Vorteile für das "Handbuch der Justiz"?
Richterscore wirft der Senatsverwaltung vor, das Schreiben sei tendenziös gewesen, weil auf das anstehende Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Bezug genommen wurde. Das VG zeigte sich davon wenig beeindruckt. Vorsitzende der Kammer war die Präsidentin des VG, Erna Viktoria Xalter. Sie habe das Schreiben ebenfalls erhalten und weitergegeben – reagiert darauf habe sie persönlich nicht: "Ich muss schließlich erstmal dieses Verfahren führen."
Eine unfaire Behandlung konnte das VG aber nicht erkennen, einen Anspruch auf Herausgabe der Daten nach dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz (IFG Berlin) ohne Einwilligung der Richterinnen und Richter auch nicht. Richterscore verfolge überwiegend Privatinteressen, wolle mit den begehrten Daten das Bewertungsportal ausbauen und damit ein Geschäftsmodell verwirklichen.
Das von Richterscore ebenfalls betonte Interesse, die Gerichtsbarkeiten transparenter zu machen, sei nicht vom Zweck des IFG Berlin erfasst. Mit den begehrten Daten könne weder staatliches Verwaltungshandeln kontrolliert, noch die demokratische Meinungs- und Willensbildung gefördert werden. Darüber hinaus stünden auch bundesrechtliche Geheimhaltungspflichten der beantragten Datenübermittlung entgegen, da es sich um Daten aus Personalakten handele, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts. Gegen das Urteil kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gestellt werden (VG Berlin, Urt. v. 18.11.2021, VG 2 K 6.19).
Mehr Sensibilität beim Datenschutz
Wollen die Richterinnen und Richter bei Richterscore also einfach nicht mitmachen? Gut möglich, dass die Skepsis in der Justiz bei einem Internetportal, das auch Bewertungen mit den Daten verknüpfen will, einfach größer ist als beim althergebrachten Handbuch der Justiz, das zudem vom größten Berufsverband herausgegeben wird, dem viele Berliner Richterinnen und Richter angehören.
Allerdings: Auch das Handbuch der Justiz bekommt längst nicht mehr alle Daten. "Im Umgang mit Daten herrscht heute einfach eine andere Sensibilität", sagt die Vertreterin der Senatsverwaltung. Im Handbuch finden sich deshalb auch immer mehr Lücken, gerade auch in der Berliner Justiz "Zum AG Lichtenberg steht zum Beispiel fast nichts drin, da wollte kaum jemand einwilligen."
Advolytics-Anwalt Dr. Delhey erklärte nach der Entscheidung, man wolle die Urteilsbegründung abwarten und dann entscheiden, ob man die Zulassung der Berufung beantragt. Richterscore will in jedem Fall weitermachen – immerhin habe man dennoch schon einen großen Datensatz zusammen und auch mehrere tausend Bewertungen und Kommentare im System. Außerdem muss die Senatsverwaltung bei einem neuen Antrag die zwischenzeitlich neu eingestellten Richterinnen und Richter befragen. Vielleicht kommt also doch noch die ein oder andere Einwilligung dazu.
VG Berlin weist Klage ab: . In: Legal Tribune Online, 19.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46706 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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