Nach der eskalierten Demo in Leipzig: Corona-skep­ti­sche Richter am OVG Bautzen?

von Dr. Markus Sehl

12.11.2020

Nach der OVG-Entscheidung gab es viel Kritik und Spekulationen. Lässt sich aus der Veröffentlichung eines Fachaufsatzes in den Sächsischen Verwaltungsblättern ablesen, dass die zuständigen OVG-Richter Corona-Skeptiker sind?

Die Entscheidung fiel in der Nacht vom 6. auf den 7. November. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen erlaubte für den Samstag eine Versammlung des Bündnisses "Querdenken" in der Leipziger Innenstadt, an der schließlich so viele Demonstrierende, viele von ihnen ohne Mund-Nasen-Schutz, teilnahmen, dass die Polizei nicht einmal in der Lage war, die von der Stadt angeordnete Auflösung durchzusetzen. Dafür musste das OVG in den vergangenen Tagen viel Kritik einstecken – und sieht sich Spekulationen ausgesetzt. Kurz nachdem das OVG am Samstag gegen 10 Uhr am Vormittag seine Pressemitteilung zu der Entscheidung verschickt hatte, tauchten auf der Social Media Plattform Twitter erste Vermutungen auf. 

"Im OVG sitzen Richter aus der Redaktion des Sächsischen Verwaltungsblatts, das Desinformation zu #Covid19 veröffentlicht", schrieb ein Journalist des gemeinnützigen Recherchezentrums Correctiv auf Twitter. Damit war der Verdacht im Raum: Gibt es bei den zuständigen Richtern am OVG Bautzen, die die chaotische Querdenker-Demo in Leipzig erlaubten selbst eine Corona-skeptische Einstellung? Und vor allem: Lässt sich das aus der Veröffentlichung eines Fachaufsatzes in den Sächsischen Verwaltungsblättern ablesen?

Beteiligter OVG-Richter ist auch Redaktionsmitglied 

Es geht um einen Aufsatz in der aktuellsten Ausgabe der Sächsischen Verwaltungsblätter von November unter  dem Titel "Nächste Epidemie Grippe? – Zum Ausstieg aus der Corona-Pandemie". Geschrieben hat ihn kein Richter des Sächsischen OVG, sondern der Rechtsanwalt Dirk Wüstenberg, aus Offenbach am Main, spezialisiert auf Wettbewerbsrecht, Tier- und Naturschutzrecht.

Wie bei Fachzeitschriften üblich, gibt es auch bei den Sächsischen Verwaltungsblättern eine Runde von Herausgebern und die Redaktion. Während die Herausgeber, meist hochrangige Justizvertreter, vor allem ihren Namen leihen und Kontakte anbahnen, übernimmt die Redaktion die eigentliche Arbeit an den Texten. Bei den Sächsischen Verwaltungsblättern sind drei Redaktionsmitglieder tätig. Einer von den ihnen ist Matthias Dehoust, er ist Vorsitzender Richter am OVG Bautzen im 6. Senat, und er hat den Beschluss zur Demo in Leipzig unterzeichnet. Dehoust selbst wollte sich auf eine LTO-Anfrage nicht zu dem Vorgang äußern.

Am 6. August schickte der Autor Wüstenberg seinen Text an die Redaktion. Ihm sei von Dehoust noch am selben Tag mitgeteilt worden, dass die Annahme auch noch von der Einschätzung der anderen beiden Redaktionsmitglieder abhänge, so erzählt es der Offenbacher Anwalt am Telefon. Er habe dann, so Wüstenberg, aber nichts mehr gehört. Mitte September seien die Druckfahnen gekommen, im November erschien sein Beitrag.

Ein juristischer Aufsatz, der nicht ohne medizinische Annahmen auskommt

Der Autor Wüstenberg zeigt sich überrascht von der nun entstandenen Aufregung. Und eine Schlussfolgerung hin zu der OVG-Entscheidung erklärte er für "an den Haaren herbeigezogen". Wüstenberg sieht sich nicht als Corona-Leugner.  

Die Grundannahme seines Textes in den Sächsischen Verwaltungsblättern lautet: "Die Krankheit COVID-19 ist im Vergleich mit der gewöhnlichen Grippe keine wesentlich schlimmere". Den wesentlichen Unterschied zwischen den Krankheiten sieht der Aufsatz in der "unterschiedlichen Übertragungsgeschwindigkeit". Autor Wüstenberg betont auf Nachfrage, dass es "sich um einen rechtlichen, nicht um einen medizinischen oder politischen Beitrag" handelt. 

Trotzdem kommt der Text ohne medizinische Annahmen nicht aus, um rechtliche Kritik an den getroffenen Maßnahmen zu üben und seinen zentralen Punkt zu machen: "Könnte allein die Ausbreitungsgeschwindigkeit jeden Eingriff rechtfertigen, stünden wegen lokaler Grippe-Epidemie in fast jedem Herbst und Frühling Schutzmaßnahmen nach § 28 IfSG an". Mit diesem Satz endet der Aufsatz. 

Redaktionsmitglied sieht Veröffentlichung nachträglich kritisch

Der Präsident des OVG Sachsen, Erich Künzler, der zugleich auch zum Herausgeberkreis der Sächsischen Verwaltungsblätter gehört, teilte dem MDR mit: "Nachdem ich den Aufsatz gelesen hatte, habe ich sofort die Schriftleiter der Verwaltungsblätter angeschrieben und mitgeteilt, dass ich über den Aufsatz, der mehrere falsche Behauptungen enthält, sehr erschrocken sei." Künzler soll den Beitrag "in die Nähe von Fake News" gerückt haben. Er habe den Schriftleitern mitgeteilt, dass nach seiner Auffassung der Aufsatz nicht hätte aufgenommen werden dürfen.

In der Redaktion haben alle drei Richter den Text in den Händen gehabt – stoppen wollte ihn damals keiner. Das bestätigt Jürgen Meng, der neben Dehoust Teil der Redaktion ist. Auch er ist Vorsitzender Richter am OVG Bautzen, allerdings nicht im 6. Senat wie Dehoust, sondern im 1. Senat. "Wir sind davon ausgegangen, dass es sich um einen seriösen Autor handelt, da er bereits zahlreiche Fachbeiträge in namhaften juristischen Zeitschriften unterschiedlicher Verlage publiziert hat". In der juris-Datenbank finden sich zum Autor Wüstenberg rund 140 Fachbeiträge, allein in 2020 sind es 15 Veröffentlichungen. 

Rückblickend sagt Meng zu LTO: "In dem Beitrag sind Formulierungen enthalten, die man so nicht hätte veröffentlichen sollen. Insbesondere was die zugrunde gelegten Tatsachen angeht, hätte man genauer hinschauen und mit dem Autor in Kontakt treten müssen." 

Das dritte Redaktionsmitglied, der Vorsitzende Richter am VG Leipzig, Dr. Dirk Tolkmitt, sagte gegenüber dem MDR: "Der Text von Dirk Wüstenberg mag in der Einleitung provokant sein, aber der weitere Inhalt und die Zusammenfassung zeigen, dass der Beitrag nichts mit Corona-Leugnung zu tun hat." Einen Zusammenhang zwischen dem Artikel in den Verwaltungsblättern und der Entscheidung des OVG hält auch Tolkmitt wörtlich für "an den Haaren herbeigezogen." 

Alles, was sich zu dem Vorgang aus der Redaktion erfahren lässt, klingt nach einem Fehler im Betriebsablauf einer Zeitschrift, nach einer knappen Deadline und zu wenig Zeit für die Redaktionsarbeit. Nach einem Hinweis darauf, dass am OVG Bautzen ein Corona-skeptischer Richter vorsätzlich eine Demonstration der sog. "Querdenker" hätte eskalieren lassen wollen, klingt es nicht.  

Zitiervorschlag

Nach der eskalierten Demo in Leipzig: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43401 (abgerufen am: 18.11.2024 )

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