Ungewöhnlich deutliche Worte fand ein OVG-Richter im Streit um die Rückholung von deutschen IS-Anhängern. Er empfahl dem Auswärtigen Amt, verfassungsrechtlichen Rat beim BMJV zu suchen – nun wurde er aus Sorge vor Befangenheit ausgeschlossen.
Wegen zu deutlicher Aussagen muss in einem Rechtsstreit um die Rückholung einer deutschen IS-Anhängerin und ihrer drei Kinder durch die Bundesregierung nun der berichterstattende Richter am Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg ausgewechselt werden. Das geht aus einem Beschluss des OVG von Anfang September hervor, der LTO vorliegt (Beschl. v. 03.09.2019, Az. 10 S 43.19). Die Richter des 10. Senats haben den Richterkollegen wegen der Besorgnis der Befangenheit ausgeschlossen. Sein rechtlicher Hinweis hätte den Eindruck erwecken können, er habe sich in der Sache schon abschließend festgelegt.
Vor allem einen Satz in dem rechtlichen Hinweis an das Auswärtige Amt (AA) beanstandeten die Richterkollegen am OVG. So habe der Berichterstatter den Diplomaten geschrieben: "(n)ach alledem rege ich weiterhin die Rücknahme der wohl unter keinem erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkt begründbaren Beschwerde an".
OVG-Richter hatte dem AA Rücksprache mit BMJV empfohlen
Anfang August hatten mehrere Medien über ein Schreiben des OVG in einem Rechtsstreit um die Rückholung einer deutschen IS-Anhängerin und ihrer drei Kinder aus Syrien berichtet. In Regierungskreisen soll der Hinweis als "regelrechte Klatsche" aufgefasst worden sein. Auf der einen Seite steht die Mutter der Kinder, vertreten durch den Hannoveraner Rechtsanwalt Dirk Schoenian, auf der anderen Seite die Bundesregierung und das Auswärtige Amt. Der Anwalt argumentiert mit einer prekären humanitären Lage in dem nordsyrischen Flüchtlingslager und fordert die Rückholung.
Vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin hatte er mit seiner Klage gegen die Bundesregierung Erfolg. Zwar sah das VG in erster Linie eine Rückholpflicht für die Kinder, eine Trennung von der Mutter sei aber nicht zumutbar. Das AA erklärte sich bereit, die Kinder zurückzuholen, aber nicht die Mutter. Das AA legte Beschwerde ein, das Verfahren beschäftigt nun das OVG.
NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung hatten berichtet, in dem Schreiben an das AA heiße es, man möge doch einmal Rücksprache mit den Referaten Grundrechte und Menschenrechte des Bundesjustizministeriums (BMJV) halten. Diese seien, so zitieren die Medien aus dem Schreiben, "zumindest mit den hier einschlägigen Grundlagen des Verfassungs- und Völkerrechts vertraut".
Aus dem AA heißt es auf Anfrage von LTO zu dem Fall nur, unabhängig vom Einzelfall stimme sich das Auswärtige Amt in allen Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung eng mit allen beteiligten Ressorts in der Bundesregierung ab.
Rechtsanwalt Schoenian hat Anfragen von LTO bis zum Erscheinen dieses Beitrags nicht beantwortet. Der HAZ hatte er nach dem OVG-Hinweis ans AA gesagt: "Es wird eng für das Auswärtige Amt." Nun wird der Senat jedenfalls mit einem anderen Berichterstatter den Fall entscheiden – über dessen Auffassung wird so schnell wohl nichts nach außen dringen.
Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters
Ein Richter kann wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, das Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen, das ergibt sich aus § 54 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 42 Zivilprozessordnung (ZPO). Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist, sondern bereits die begründeten Zweifel an der Unparteilichkeit reichen aus, wie die Richter des 10. Senats betonen. In zwei Hinweisen aus Ende Juli und Anfang August habe der Richter "auf die seiner Ansicht nach gegebene Erfolglosigkeit der Beschwerde hingewiesen und wiederholt die Rücknahme der Beschwerde angeregt".
Ein solcher Hinweis zur Rücknahme eines Rechtsmittels deute zunächst nicht auf Befangenheit hin, so der Senat. "Richterliche Hinweise müssen aber hinreichend neutral abgefasst sein […] und dürfen bei vernünftiger Betrachtung nicht die Befürchtung wecken, der Richter habe sich in der Sache bereits unverrückbar bzw. abschließend festgelegt."
Die Entscheidung des Senats ist unanfechtbar. Eine Pressesprecherin des OVG teilte auf Anfrage von LTO mit, dass für den abgelehnten Richter nun sein Vertreter nachrückt.
Zu deutliche Ansage ans Auswärtige Amt: . In: Legal Tribune Online, 17.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37669 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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