Die Vertrauenskrise des Rechtsstaats beschäftigt auch die 89. Herbstkonferenz der Justizminister nächste Woche in Berlin. Außerdem geht es um schärfere Gesetze gegen Doping und mehr Kündigungsschutz für Väter in der Elternzeit.
Reformen im Zivilprozess, die eindringliche Mahnung an den Bund, für eine Finanzierung des Paktes für den Rechtsstaat zu sorgen sowie ein mahnender Appell an Bund und Länder für mehr Akzeptanz und Vertrauen von Gerichtsentscheidungen zu stärken: Das sind nur einige von mehr als 30 Themen, mit denen sich nächste Woche die Justizminister auf ihrer Herbstkonferenz (JuMiKo) in Berlin befassen werden. Auch die Abschaffung der Altershöchstgrenze bei Schöffen oder ein gleichwertiger Kündigungsschutz für Väter in Elternzeit stehen auf der umfangreichen Tagesordnung, Stand 31.Oktober 2018, die LTO vorliegt. Ausrichter der Konferenz ist der Freistaat Thüringen, die Tagung findet in der Landesvertretung Thüringens beim Bund statt.
Sami A. in NRW, Dieselfahrverbote in München, die Stadthalle in Wetzlar – in letzter Zeit häuften sich die Fälle, in denen Behörden und Politik gezielt die Entscheidungen der Justiz ignoriert haben. Nach dem Willen des Landes Hamburg soll deshalb von der JuMiKo ein starkes Signal für mehr Akzeptanz und Autorität der Judikative ausgehen.
In einer Beschlussvorlage, die LTO vorliegt, werden sämtliche Ressorts in Bund und Ländern von der JuMiKo aufgefordert, sich "mit größtmöglichem Bemühen dafür einzusetzen, dass sich das Handeln der exekutiven Gewalt in Bund und Ländern stets an der im Einzelfall durch die Gerichte verbindlich erfolgten Auslegung von Recht und Gesetz orientiert". In der von Hamburg eingebrachten Vorlage heißt es weiter, dass in der jüngeren Vergangenheit vermehrt der Eindruck entstanden sei, "dass sich die Exekutive nicht ausnahmslos an die durch Gerichte erlassenen Entscheidungen gebunden fühlt".
Bund soll Pakt für den Rechtsstaat mitfinanzieren
Das bestehende Gleichgewicht zwischen den verfassungsmäßigen Staatsgewalten könne, so die Befürchtung Hamburgs, in eine Schieflage geraten und dadurch die öffentliche Akzeptanz und das Vertrauen der Bevölkerung in die Autorität der Judikative in Mitleidenschaft gezogen werden. Einem solchen Erosionsprozess müsse entschieden entgegengetreten werden, "um den Rechtsstaat und seine Institutionen zu schützen und seine Funktionsfähigkeit zu erhalten". Das Verwaltungshandeln dürfe vorangegangenen Gerichtsentscheidungen niemals zuwiderlaufen, heißt es.
Auch der augenblickliche Stillstand beim "Pakt für den Rechtstaat" steht auf der Tagesordnung der Justizminister: Im Koalitionsvertrag hat die GroKo eigentlich 2.000 neue Stellen bei Gerichten von Bund und Ländern sowie eine bessere Ausstattung angekündigt. Voran geht aber offenbar nichts. Insbesondere die Finanzierung scheint immer noch unklar.
In einer Beschlussvorlage der JuMiKo wird Bundesjustizministerin Katarina Barley daher aufgefordert, die notwendigen Schritte zu unternehmen, damit der Bund die Länder bei der Umsetzung des Paktes finanziell unterstützen kann. Der "Pakt für den Rechtsstaat" könne nur gelingen, "wenn der Bund einen wesentlichen Teil der Finanzierung übernimmt". Hamburg wirft der Bundesjustizministerin bei diesem Thema offenbar Schlafmützigkeit vor: Obwohl die Zeit dränge, habe der Bund bislang nicht erkennen lassen, auf welche Weise er diese erforderliche finanzielle Unterstützung der Länder leisten will. Nordrhein-Westfalen hatte seinerzeit eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen, die den Ländern Finanzmittel durch den Bund ermöglichen würde.
Kronzeugenregelung im Dopingstrafrecht gefordert
Auf Wunsch des Freistaats Bayern soll sich die JuMiKo auch mit der Verschärfung des Dopingstrafrechts befassen. Nach Ansicht Bayerns seien die derzeitigen Regelungen "offensichtlich ungenügend", um Doping im Spitzensport effektiv zu bekämpfen. Der Freistaat fordert daher von Justizministerin Barley die Ausarbeitung einer Kronzeugenregelung – ähnlich wie der im Betäubungsmittelstrafrecht (§ 31 BtMG).
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) soll eine (bereichsspezifische) Kronzeugenregelung vorlegen, die nachhaltige Anreize schafft, um "die in einigen Bereichen des Spitzensports organisierten Strukturen hochprofessionellen Dopings aufzubrechen." Außerdem fordert Bayern die Einführung einer Versuchsstrafbarkeit für den Besitz auch geringer Mengen an Dopingmitteln sowie die Streichung des Strafaufhebungsgrundes "tätige Reue" (§ 4 Abs. 8 Anti-Doping-Gesetz).
Verschärft soll nach dem Willen des Freistaats auch das geltende Gewaltschutzgesetz (GewSchG), nach dem Personen polizeilich der Wohnung verwiesen werden können und das Opfer häuslicher Gewalt nicht Zuflucht suchen muss. Nachdem bereits in § 184i Strafgesetzbuch (StGB) sexuelle Belästigung strafbar ist, soll nun unter anderem auch der Tatbestand des § 1 GewSchG um den Begriff der sexuellen Selbstbestimmung erweitert werden. Begründet wird dies damit, dass bestimmte Fälle aktuell nicht vom Schutzbereich der Norm erfasst seien. Beispielhaft wird der Fall eines 18-jährigen Teilnehmers eines Zeltlagers genannt, der aufwache, "weil ihm der Betreuer die Hand auf den Penis legt". Oder aber der Fall, "wenn der Nachbar die Nachbarin völlig unvermittelt auf den Mund küsst". Nötig sei nach den Vorstellungen Bayerns auch eine Erhöhung des Strafrahmens von § 4 GewSchG von maximal einem Jahr Freiheitsstrafe auf maximal zwei Jahre Freiheitsstrafe. Damit werde "nicht nur die Bedeutung des Straftatbestandes verbessert, es könnte auch der in der Praxis häufig zu beobachtenden Einstellung nach § 154 StPO entgegengewirkt werden", heißt es.
Mehr Kündigungsschutz für Väter in Elternzeit
An einem Strang ziehen Bayern und Hamburg bei einem Aspekt im Zusammenhang mit einer Reform des Zivilprozesses: Um eine effiziente, moderne und zukunftsoffene Ziviljustiz zu gewährleisten, müsse die streitwertmäßige Beschränkung der Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) dauerhaft im Gesetz festgeschrieben werden. § 26 Nr. 8 EGZPO, wonach die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht nur dann zulässig ist, wenn der Wert der Beschwer 20.000 Euro übersteigt, wurde zwar seit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2002 in seiner Gültigkeit fünf Mal verlängert, gilt aber auch derzeit nur befristet, nämlich bis zum 31. Dezember 2019. Hamburg und Bayern wollen mit der Entfristung sicherstellen, dass der BGH seine Aufgabe als Revisionsinstanz dauerhaft erfüllen könne.
Überzeugen möchte Bayern die übrigen Justizminister auch davon, die Altershöchstgrenze für die Berufung von Schöffen aufzuheben. Derzeit sollen nach § 33 Nr. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) Personen zum Amt des Schöffen nicht berufen werden, die das 70. Lebensjahr vollendet haben oder es bis zum Beginn der Amtsperiode vollendet haben würden. Hintergrund hierfür ist, dass das Amt des Schöffen an das individuelle geistige und körperliche Leistungsvermögen des Betroffenen hohe Ansprüche stellt. Bayern hält diese Altershöchstgrenze nicht nur angesichts der demografischen Entwicklung für zeitlich überholt. Sie sei auch wegen des grundgesetzlich verankerten Verbotes der Altersdiskriminierung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG problematisch, heißt es in der Vorlage des Freistaats für die JuMiKo.
Schließlich steht auch das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf der Tagesordnung der JuMiKo. Gestärkt werden soll konkret der Kündigungsschutz nach Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) von Vätern in der Elternzeit. Ziel der Initiative Hamburgs ist es, dass "für Elternzeit beanspruchende Väter ein arbeitsrechtliches Schutzniveau zu erzielen, das dem der Mütter angenähert ist". De lege lata dürfe der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt worden ist, nicht kündigen (§ 18 Abs. 1 S. 1 BEEG). Der Kündigungsschutz beginne jedoch nach § 18 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BEEG bei einer Elternzeit bis zum vollendeten dritten Lebensjahr des Kindes frühestens acht Wochen vor Beginn der Elternzeit. Aufgrund der kurzen Kündigungsschutzfristen stünden Väter, die Elternzeit nehmen möchten, vor der Wahl, entweder bewusst auf ihren Kündigungsschutz zu verzichten oder die Mitteilung gegenüber dem Arbeitgeber so lange hinauszuzögern, dass eine geordnete Übergabe (z.B. Abstimmung geeigneter Zeiträume, Organisation und Einweisung eines Vertreters) kaum noch möglich ist. Es bestehe eine Schutzlücke zum Nachteil gleichermaßen familiär und beruflich engagierter Väter, die sich die Kinderbetreuung mit ihrer Partnerin teilen wollen, jedoch im Interesse ihres beruflichen Umfelds frühzeitig den Dialog mit dem Arbeitgeber suchen – auf Kosten ihres Kündigungsschutzes. Mütter seien in den meisten Fällen aufgrund des gesetzlichen Mutterschutzes vor Kündigungen sicher.
Herbstkonferenz der Justizminister am 14./15. November: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31883 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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