Rückschlag für Justizreformen: Bun­desrat blo­ckiert Doku­men­ta­tion der Haupt­ver­hand­lung

15.12.2023

Der Bundesrat hat den Reformplänen zur Dokumentation der Hauptverhandlung eine Absage erteilt. Auch das Gesetz zur virtuellen Justiz hat er ausgebremst. Jetzt soll es der Vermittlungsausschuss regeln.

Der Beschluss des Bundestags zur digitalen Dokumentation der Hauptverhandlung im Strafverfahren hat es nicht durch den Bundesrat geschafft. Wegen "erheblicher und tiefgreifender fachlicher Bedenken" wurde er zur grundlegenden Überarbeitung in den Vermittlungsausschuss überwiesen. Der Widerstand gegen die Digitalisierungspläne von Bundesjustizminister Marco Buschmann hatte sich bereits angekündigt.

Der Bundestag hatte Mitte November beschlossen, dass Hauptverhandlungen vor Strafgerichten künftig standardmäßig per Ton aufgezeichnet werden sollen. Eine bundesweite Pflicht für die Tondokumentation an Land- und Oberlandesgerichten soll ab 2030 gelten. Der Bundesrat lehnt diesen Vorstoß sehr deutlich ab. Es gebe bereits keinen Bedarf für Änderungen, die bisher praktizierte Dokumentation habe sich bewährt.

Sollte die Tonaufzeichnung eingeführt werden, sieht der Bundesrat zudem die Wahrheitsfindung in Gefahr und den Opferschutz beeinträchtigt. Auch Verfahrensverzögerungen seien zu befürchten. Zweifel an dem Beschluss äußert der Bundesrat außerdem aufgrund des Verhältnisses von personellem, technischen, organisatorischen und finanziellen Aufwand zum Mehrwert der Reform.

Auch Gesetz zur virtuellen Justiz blockiert

Ebenfalls am Freitag hat der Bundesrat ein weiteres Vorhaben ausgebremst: Auch das Gesetz zur virtuellen Justiz, das den verstärkten Einsatz von Videokonferenztechnik in Zivil-, Verwaltungs-, Arbeits-, Finanz- und Sozialgerichten regelt, soll im Vermittlungsausschuss überarbeitet werden. Durch das Gesetz soll die physische Präsenz an einem bestimmten Ort künftig entbehrlich gemacht werden. 

Zwar unterstützen die Länder das grundlegende Vorhaben, die Durchführung mündlicher Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung zu erleichtern. Allerdings würden einzelne Vorgaben des Gesetzes den Kern des richterlichen Selbstverständnisses berühren und die Verfahrensleitung der Vorsitzenden unangemessen einschränken.

Die mündliche Verhandlung als Herzstück eines jeden Gerichtsprozesses sei von herausragender Bedeutung für die Wahrheitsfindung, betont der Bundesrat. Die Vorsitzenden müssten daher nach eigenem Ermessen entscheiden können, ob sie Videokonferenz einsetzen wollen. Dies stehe nicht zur Disposition der Parteien. Der Bundesrat kritisiert zudem die vorgesehene Begründungspflicht, wenn ein Gericht den Einsatz von Videotechnik ablehnt.

Auch die Erprobung rein virtueller Verhandlungen, bei denen nicht nur die Verfahrensbeteiligten, sondern auch das Gericht selbst per Video zugeschaltet ist, lehnen die Länder ab. Sie fordern, am Grundsatz der Saalöffentlichkeit festzuhalten. Sonst sei weder sicher festzustellen, wer an einer Verhandlung teilnimmt, noch seien wirksame sitzungspolizeiliche Maßnahmen möglich. 

Der Bundesrat sieht in der Durchführung von virtuellen Verhandlungen außerdem die Gefahr, dass Video-Verhandlungen abgefilmt und weiterverarbeitet oder veröffentlicht würden, um Äußerungen aus dem Zusammenhang zu reißen und zu missbräuchlichen Zwecken zu verwenden. Wenn die Beteiligten und das Gericht befürchten müssen, dass ihre Äußerungen im Internet für eine unbeschränkte Personenanzahl und einen unbegrenzten Zeitraum verfälscht dargestellt würden, bestehe die Gefahr, dass sich Verfahrensbeteiligte nicht mehr unbefangen verhielten. 

Beteiligte zeigen sich zuversichtlich und gelassen

Im Vermittlungsausschuss muss der Bund nun auf die Bedenken der Länder eingehen. Trotz der Blockade durch den Bundesrat scheinen die Beteiligten aber zuversichtlich. "Ich bin mir sicher, dass die Länder der konsequenten Digitalisierung nicht entgegen stehen wollen. Deswegen habe ich keine Probleme damit, dass wir noch mal über die Details des Gesetzes sprechen", sagt zum Beispiel Till Steffen, Bundestagsabgeordneter der Grünen.

Der hessische Justizminister Roman Poseck bestätigt diese Auffassung. "Wir wollen eine digitale und moderne Justiz, aber dieses Gesetz ist der falsche Weg. Es ist unausgewogen, unpraktikabel, bedeutet einmal mehr einen Misstrauensbeweis gegenüber der Richterschaft sowie eine Mehrbelastung für die Justiz.", sagt er in Bezug auf das Gesetz zur virtuellen Justiz. Sollte keine Einigung gefunden werden, könnte der Bundesrat Einspruch gegen die Gesetze einlegen.

lmb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Rückschlag für Justizreformen: . In: Legal Tribune Online, 15.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53430 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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