Eckpunkte zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder: Straf­rechtler kri­ti­sieren "Sym­bol­po­litik"

von Hasso Suliak und Manuel Göken

01.07.2020

In der Politik war man sich letztlich einig: Kinder sollen vor Sexualstraftaten besser geschützt sein. Justizministerin Christine Lambrecht hat dazu ein Reformpaket vorgestellt: Geben soll es schärfere Strafen und eine qualifiziertere Justiz.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat ihre Reformpläne zur Verschärfung des Strafrechts bei Gewalt gegen Kinder und Kinderpornografie vorgestellt. Danach soll nicht nur sexualisierte Gewalt gegen Kinder grundsätzlich mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr belegt, sondern auch die Verbreitung und der Besitz von kinderpornografischen Material zum Verbrechenstatbestand hochgestuft werden. Auf gewerbs- oder bandenmäßige Verbreitung sollen mindestens zwei Jahre Gefängnis stehen, wie die Ministerin am Mittwoch erklärte.

"Ich will, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Wenn und Aber ein Verbrechen ist", erklärte Lambrecht zur Vorstellung ihrer Pläne in Berlin. "Gleiches gilt für Kinderpornografie, mit der diese widerlichen Taten gefilmt und verbreitet werden. Wer mit der Grausamkeit gegen Kinder Geschäfte macht, soll künftig mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden können."

Missbrauchstatbestände werden umbenannt

Wenn die Ministerin von "sexualisierter Gewalt gegen Kinder" spricht, meint sie die §§ 176 bis 176b des Strafgesetzesbuches (StGB). Die zurzeit noch mit "sexueller Missbrauch von Kindern" überschriebenen Tatbestände sollen mit der neuen Begrifflichkeit das Unrecht der Taten klar beschreiben, wie das Bundesjustizministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) die Mitteilung Lambrechts ergänzte.

Die Umbenennung begrüßt Prof. Dr. Michael Kubiciel gegenüber LTO. Recht lebe nicht nur durch die Zwangswirkung, die von Strafandrohung und Strafvollstreckung ausgehe, sondern in hohem Maße auch von seiner expressiv-kommunikativen Symbolik, zu der auch die Bezeichnung eines Tatbestandes gehöre, so der Augsburger Strafrechtsprofessor.  

Der Grundtatbestand der sexualisierten Gewalt gegen Kinder sieht nach Lambrechts Vorschlag eine Freiheitsstrafe von einem bis 15 Jahren vor. Taten ohne Körperkontakt, wie sexuelle Handlungen vor den Augen eines Kindes, sollen hingegen in einem eigenen Tatbestand geregelt werden und den bisherigen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe enthalten. Schwerere Fälle sexualisierter Gewalt bleiben in § 176a StGB normiert, wobei der minderschwere Fall gestrichen werden soll.

"Untergrenze des Strafrahmens für ganz anderes gelagerte Fälle vorgesehen"

Die Direktorin am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Prof. Dr. Tatjana Hörnle, hatte die Diskussionen um die Strafverschärfungen bereits im Vorfeld gegenüber LTO kritisiert, weil das materielle Strafrecht und die Strafrahmen im StGB keine Lücken enthielten. Für die schweren Missbrauchsfälle, die das öffentliche Interesse besonders auf sich ziehen, komme es auf die oberen Teile des gesetzlichen Strafrahmens an. Diese lägen schon beim einfachen sexuellen Missbrauch bei zehn Jahren, bei allen schweren Fällen bei 15 Jahren, begründete die Juristin ihre Kritik.

Aus der Abscheu über schwere Fälle könne nicht hergleitet werden, dass sich an der Untergrenze des Strafrahmens etwas ändern müsse. Diese Untergrenze nämlich sei "für ganz anders gelagerte Sachverhalte vorgesehen", so Hörnle, die auch auf das Sexualstrafrecht spezialisiert ist, kürzlich.

Strafverschärfung auch bei Kinderpornografie

Nach dem am Montag vorgelegten Eckpunktepapier aus dem BMJV sollen auch die Verbreitung und der Besitz von der Kinderpornografie, die sexualisierte Gewalt an Kindern zeigt, zukünftig als Verbrechen angesehen werden, also mindestens mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bestraft werden. Für die Verbreitung von Bildern und Videos bedeutet das in § 184b StGB einen Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (bisher ein Vergehen mit drei Monaten bis fünf Jahren Strafmaß) und für den Besitz eine Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren (bisher ebenfalls nur ein Vergehen mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe). Wer kinderpornografisches Material gewerbs- oder bandenmäßig verbreitet, soll künftig mit einer Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren belangt werden können.  

Kritik an Lambrechts Plänen folgte sogleich aus Kreisen der Strafrechtlehrer: So warf der Göttinger Strafrechtsprofessor Dr. Dr. h.c. Kai Ambos der Ministerin das Betreiben von "Symbolpolitik" vor. Die begriffliche Änderung - "Gewalt" statt "Missbrauch" - werfe zudem definitorische Probleme auf, weil der Gewaltbegriff - wie die Rechtsprechung zur Nötigung gezeigt habe - alles andere als klar sei.

Die Aufstufung des § 176 StGB führe im Ergebnis zu einer "Überkriminalisierung der leichten Fälle", wie etwa der des einvernehmlichen Zungenkusses eines 15-Jährigen bei einer 13-Jährigen. Die Anhebung des Strafrahmens bei der Kinderpornografie bezeichnete Ambos als "bedenklich", die Heraufstufung zum Verbrechen bezeichnete er als "unverhältnismäßige Überkriminalisierung". Leichtere Fälle, wie etwa der Download eines kinderpornografischen Bildes oder die Weitergabe dieser an mehrere Bekannte, führten dann bereits zu einer Verbrechensstrafbarkeit, die damit unter anderem auch nicht mehr nach den §§ 153, 153a Strafprozessordnung (StPO) eingestellt werden könnte, so der Strafrechtler.

"Systembruch im U-Haftrecht"

Dies gelte im Übrigen auch für die Aufnahme des geplanten § 176a StGB in § 112 Abs. 3 StPO. Nach den Plänen der Justizministerin soll nämlich bei schwerer sexualisierter Gewalt gegen Kinder die Anordnung von Untersuchungshaft auch dann möglich seien, wenn kein Haftgrund wie Flucht- oder Verdunkelungsgefahr vorliege.

Ambos sieht darin einen "Systembruch im U-Haftrecht", weil diese damit in einem weiteren Fall ohne Haftgrund angeordnet werden kann. Das Delikt stehe damit auf einer Stufe mit schwerster (teilweise internationalen) Straftaten, argumentiert Ambos. Weitere Fälle rechtswidriger Haft seien damit zu erwarten und die Unschuldsvermutung werde weiter ausgehöhlt.

Ein weiterer Punkt aus dem am Mittwoch vorgesllten BMJV-Reformkonzept greift einen Vorschlag auf, den Experten bereits länger angemahnt hatten: Familienrichter sollen besser geschult werden, unter anderem um Anzeichen von Sexualstraftaten an Kindern besser zu erkennen. Für sie sollen nunmher spezifische Eingangsqualifikationen im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) geregelt werden.

Die Justizministerin will den Ländern daneben vorschlagen, eine allgemeine Fortbildungspflicht für Richter in diesen Bereichen in allen Landesrichtergesetzen (LRiG) zu verankern. Wie genau diese aussehen sollen, ist noch genauso offen wie die besonderen Qualifikationsanforderungen für Jugendrichter und -staatsanwälte, die es bald geben soll. Diese "regelrechte Schulungsoffensive in der Justiz" bewertet Strafrechtslehrer Kubiciel positiv. Allerdings müssten die Länder bei den Jugendämtern nachziehen.

"Verfolgungsdruck bleibt aus"

Strafrechtler Ambos vermisst indes den von Bundesjustizministerin Lambrecht ebenfalls angekündigten "Verfolgungsdruck". Dafür nämlich fehle es dem Entwurf an entsprechenden prozessualen und organisatorischen Maßnahmen. So würde zum Beispiel nicht geklärt, wie man die Verlängerung der Löschfristen für Verbindungsdaten regeln und begründen wolle, um zwecks Strafverfolgung auch die hinter den IP-Adressen agierenden Personen zu identifizieren. Auch Geld spiele dabei eine Rolle: Die notwendige Personalaufstockung in Polizei und Justiz werde teuer für die Länder, so Ambos.

Grundsätzliche Kritik an dem Vorschlag aus dem BMJV äußerte der Vorsitzende der Berliner Strafverteidiger, Rechtsanwalt Stefan Conen, im Gespräch mit LTO: "In keinem anderen Gebiet des materiellen Strafrechts hat es in dichter Abfolge so viele Gesetzesverschärfungen und Ausweitungen gegeben wie im Sexualstrafrecht, häufig aus aktuellen Anlässen Fälle, die die Öffentlichkeit schockierten." Und das, so Conen, obwohl kaum ein Praktiker bestreite, "dass man diese Fälle mit dem geltenden Recht angemessen ahnden kann". Der Strafverteidiger kritisierte auch, dass die Bundesjustiziministerin ihre Postion in der Debatte kürzlich geändert habe. Zu Recht habe sie zunächst den erneuten rein reflexhaften Forderungen nach Strafschärfungen eine Absage erteilt. "Dass sie hiervon abgerückt ist, ist bedauerlich, denn Rechtsetzung sollte sich aus Rationalität und nicht Emotionalität speisen", so Conen.

Unterdessen forderte Bundesjustizministerin Lambrecht erneut, Kinderrechte ins Grundgesetz (GG) aufzunehmen. Bei jedem staatlichen Handeln müsse das Kindeswohl im Blick sein. Jedem Kind müsse zugehört werden. Jeder Anhaltspunkt für eine Gefährdung eines Kindes müsse ernst genommen werden, so die Justizministerin. Das würden die Kinderrechte im Grundgesetz verdeutlichen. Deswegen will sie auch darüber im Bundestag und Bundesrat beraten.

Zitiervorschlag

Eckpunkte zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42060 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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