Revisionsrichter sind naturgemäß nicht begeistert von langen Instanzurteilen. Eine 1.300 Seiten lange Entscheidung des LG Köln aber zerreißt der BGH geradezu in der Luft. Und dabei hat er das Urteil nicht mal aufgehoben.
Kein Instanzgericht sieht es gern, wenn seine Urteile aufgehoben werden. Ein aktueller Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) zeigt aber, dass es noch schlimmer geht; vielleicht sogar, weil man als Kammer glaubt, alles revisionsfest machen zu müssen. Die Revisionsentscheidung des 3. Strafsenats (Beschl. v. 30.05.2018, Az. 3 StR 486/17) endet mit den Worten "Das Urteil hat gleichwohl Bestand, weil es dem Senat letztlich doch noch möglich war, aus der Vielzahl überflüssiger Ausführungen diejenigen herauszufiltern, derer es zum Beleg der jeweiligen Schuld- und Rechtsfolgenaussprüche bedurfte."
Mit dem Urteil, das der BGH ihm nun derart um die Ohren haut, hat das Kölner Landgericht (LG) im Januar 2017 gegen acht Angeklagte Freiheitstrafen verhängt wegen Einbrüchen in Kirchen und Schulen, bei denen das Diebesgut nach Überzeugung der Kammer zumindest auch der Unterstützung des bewaffneten Jihads in Syrien zu Gute kommen sollte. Die Freiheitsstrafen fielen für die übrig gebliebenen Delikte recht hoch aus; der Vorwurf der Terrorismusfinanzierung hatte sich im Verfahren nicht halten lassen. Die zum Tatvorwurf überwiegend geständigen Angeklagten bestritten die Bandenabrede sowie die Tatmotivation.
Zum Urteil gab das LG Anfang 2017 sogar noch eine Pressemitteilung heraus. Mundgerecht aufbereitet für zahlenaffine Journalisten hieß es dort stolz: "Das Verfahren wurde von der Kammer seit Oktober 2015 unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen verhandelt. Die Anklageschrift umfasste 435 Seiten. Nach der Vernehmung von mehr als 60 Zeugen, der Einführung von Telefonüberwachungsaufnahmen zu mehr als 340 Gesprächen im Umfang von über 50 Stunden sowie der Bearbeitung zahlreicher Verfahrensanträge der Verteidigung konnte die Kammer nun am 90. Sitzungstag ihre Entscheidung verkünden".
Das Urteil ist knapp 1.300 Seiten lang, davon 400 Seiten Feststellungen, über 720 Seiten Beweiswürdigung. Und offenbart laut dem BGH "schwerwiegende handwerkliche Schwächen sowie grundsätzliche Verständnismängel".
Wie es sein sollte: kurz, knapp, bestimmt, aufs Wesentliche beschränkt
Der 3. Strafsenat, der als Staatsschutzsenat für die Revision zuständig war, ist dafür bekannt, für die Abfassung kurzer Urteile zu werben und für Langatmigkeit wenig Verständnis zu haben. Das Urteil über die Entscheidung des LG Köln aber ist in seiner Schärfe geradezu vernichtend. Sowohl der Generalbundesanwalt als auch mehrere der Verteidiger haben es offenbar ebenfalls massiv kritisiert.
Der Senat beginnt seine Entscheidung mit einem Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BGH zur Abfassung von Strafurteilen: "Die Sachverhaltsschilderung soll kurz, klar und bestimmt sein und alles Unwesentliche fortlassen. Gleiches gilt entsprechend für die Beweiswürdigung, in der das Beweisergebnis nur so weit erörtert werden soll, wie es für die Entscheidung von Bedeutung ist, nicht aber eine Dokumentation der Beweisaufnahme vorgenommen werden soll. Ebenso wenig ist es angezeigt, zu jeder Feststellung, mag sie in Bezug auf den Tatvorwurf noch so unwesentlich sein, einen Beleg in den Urteilsgründen zu erbringen".
Die Urteilsgründe des LG Köln würden dem nicht gerecht, so die Bundesrichter. Und nötigten vor diesem Hintergrund zu dem Hinweis, "dass mit dieser Rechtsprechung nicht bloß unverbindliche stilistische Maßgaben aufgestellt werden sollen, sondern dass es sich insoweit um die einzuhaltenden gesetzlichen Vorgaben des § 267 Abs. 1-3 StPO handelt".
Eine Ohrfeige in Stichpunkten
Dass die vom LG offensichtlich nicht nach seiner Vorstellung beachtet wurden, handelt der Senat dann nur stichpunktartig ab: Die Feststellungen zur Sache gäben auf über 220 Seiten wörtlich protokollierte Telefon- und Chatprotokolle wieder, auf weiteren 57 den Verfahrensgang, der keine Rolle für Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch spiele, dafür aber "auch noch belegt" werde. Jedes noch so unwichtige Detail werde durch ein Beweismittel benannt.
Die "Beweiswürdigung" enthalte Inhalt und Entstehung sämtlicher Einlassungen der Angeklagten, die sich dann in der "Würdigung der 'Beweisaufnahme im engeren Sinne'" (diese Anführungszeichen verwendet der BGH an dieser Stelle eben so in seinem Beschluss) ebenso wie die Telefon- und Chatprotokolle nochmals wiederfänden.
Bei den abgeurteilten zwölf Einzeltaten und der "allenfalls durchschnittlich schwierigen Beweislage" lässt der Umfang des Urteils nach Ansicht des Senats nur den Schluss zu, "dass die Urteilsverfasser nicht die notwendige gedankliche Vorarbeit verrichtet haben, eine wertende Auswahl zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem zu treffen. Gerade darin liegt aber die unverzichtbare geistige Leistung, die von einem Richter zu verlangen ist".
Es folgt ein Seitenhieb, der gerade in der Strafjustiz, die Überlastung moniert, schmerzen dürfte: "Im Übrigen zeigt sich in der dargelegten Vorgehensweise auch ein bedenklicher Umgang mit den Ressourcen der Justiz". Es ist der letzte Hieb. Beschluss des BGH selbst ist keine fünf Seiten lang.
Pia Lorenz, Karlsruher Klatsche für Kölner Kammer: . In: Legal Tribune Online, 05.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29593 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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