Nicht nur Zahlen, sondern auch deutliche Worte enthält der Jahresbericht des BFH. Es geht um einen Streit zwischen den Bundesgerichten und dem BMJV um neue Anforderungen für Spitzenposten. Und eine Einigung ist nicht in Sicht.
Jedes Jahr veröffentlicht der Bundesfinanzhof (BFH) um die gleiche Zeit seinen Jahresbericht. Darin finden sich vor allem Zahlen zu erledigten Fällen, zu Neueingängen und zur Erfolgsquote der Klagen. Dieses Jahr finden sich aber sehr deutliche Worte in anderer Sache, und zwar schon im Vorwort. Und mit dem Autor des Vorworts geht es los. Den Eingangstext schreibt eigentlich der Präsident des BFH. Einen solchen gibt es aber derzeit nicht. Man muss sagen: Immer noch nicht, nachdem im Sommer 2020 der legendäre Präsident Rudolf Mellinghoff in den Ruhestand verabschiedet wurde.
Aber nicht nur eine Präsidentin oder ein Präsident fehlt, auch der Vize-Präsidentschaftsposten ist vakant. Auf dem Papier ist der BFH führungslos. Zudem fehlt zwei weiteren Senaten der Vorsitz. Das Vorwort hat nun der Vorsitzende Richter des IV. Senats, Michael Wendt, übernommen. Er schreibt: "Das Gericht sah sich im Jahr 2020 auch mit einer Personalsituation an seiner Spitze konfrontiert, die es so noch nie gegeben hat und nicht geben dürfte."
Im Hintergrund steht ein Konflikt zwischen dem BFH und dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Es bestehen Befürchtungen der Richterschaft, dass die große Koalition politisch genehme Kandidaten in Führungspositionen hieven will und die fachliche Eignung in den Hintergrund treten soll. Diese Auseinandersetzung hemmt die Nachbesetzung der BFH-Posten.
BFH-Vorwort: "Personalnotstand, der Grundgesetz verletzt"
Wendt schreibt im Vorwort weiter: "Es liegt in der Verantwortung der für die Besetzung dieser Stellen zuständigen Exekutive, für eine nahtlose Neuvergabe der Ämter zu sorgen. Bis heute ist es dazu nicht gekommen. Zudem wurden weitere freigewordene Stellen nicht besetzt, obwohl alle Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Einem obersten Bundesgericht einen solchen Personalnotstand über viele Monate hinweg zuzumuten, ist ein bislang einmaliger Vorgang und verletzt das dem Grundgesetz zugrunde liegende Prinzip, dass die drei Gewalten unseres Staates einander zu fördern und die jeweilige Arbeitsfähigkeit bestmöglich sicherzustellen haben."
Bisher sah das 2016 von Ministerium und Bundesgerichten vereinbarte Anforderungsprofil vor, dass Vorsitzende Richter vor ihrer Ernennung in der Regel mehrere Jahre am jeweiligen Bundesgericht tätig gewesen sein sollen. Denn wer an der Spitze eines Bundesgerichts steht, leitet die Verwaltung, hat die Aufsicht und ist an den Beförderungen beteiligt. Er oder sie ist auch Mitglied eines Fachsenats - und zwar als Vorsitzende Richterin bzw. Vorsitzender Richter. Eine einflussreiche Position, die in der täglichen Revisionsarbeit Spezialkenntnisse verlangt.
Der BFH entscheidet in letzter Instanz über Auslegungsfragen einer nicht gerade unkomplizierten Rechtsmaterie. Anders als in anderen Gerichtsbarkeiten gibt es nur zwei Instanzen, nach dem Finanzgericht kommen die Verfahren direkt zum BFH nach München. Und über den Tisch des Vorsitzenden wiederum gehen alle Verfahren aus seinem Senat. Wer den Vorsitz hat, muss im Arbeitsalltag des BFH versiert sein.
Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte das bisher geltende Anforderungsprofil mit dem Verweis auf die einschlägige Vorerfahrung im vergangenen Sommer außer Kraft gesetzt. Daran hatte vor allem der Richterverein am BFH Kritik geübt. Über das Anforderungsprofil für den BFH sowie für BGH und BVerwG entscheidet das BMJV, für die übrigen Bundesgerichte, also das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht entscheidet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit. Das Anforderungsprofil, das als Verwaltungsvorschrift eingestuft wird, wird regelmäßig im Konsens erarbeitet. Doch davon sind die Abstimmungen offenbar weit entfernt.
Im Dezember 2020 hatten sich Vertreter des BMJV mit den Spitzen der Bundesgerichte getroffen, um den Streit auszuräumen. Die Präsidentinnen und Präsidenten der Bundesgerichte hatten sich zuvor in einer bemerkenswerten gemeinsamen Stellungnahme geäußert und klar gemacht, dass sie auf fachliche Eignung keinesfalls verzichten wollen. Zum Einfluss der Parteipolitik äußerten sie sich in ihrer Stellungnahme nicht.
BFH-Richter-Ernennungen liegen auf Eis
Seit diesem Krisentreffen im Dezember hat sich in der Sache nicht viel bewegt. Es gab nach Informationen von LTO in der Sache keine weiteren Treffen mehr. Und das hat Konsequenzen für den BFH. Obwohl der Richterwahlausschuss in Berlin Anfang Oktober eine Richterin und drei Richter als Nachfolger der pensionierten Stelleninhaber am BFH gewählt hatte, sind die noch nicht im Amt.
Bundesjustizministerin Lambrecht hat die Vorwürfe und Sorgen des Richtervereins am BFH zurückgewiesen. "Richter, die im diesjährigen Richter-Wahlausschuss zum Bundesfinanzhof gewählt wurden, verfügen über mehrjährige Erfahrung in der Finanzgerichtsbarkeit und erfüllen vollständig die Voraussetzungen, um Richter am Bundesfinanzhof zu werden", sagte Lambrecht.
Für das Präsidium des Bundesfinanzhofs hatte sich die Koalition dem Vernehmen nach auf zwei Kandidaten geeinigt, die beide nie an einem Bundesgericht tätig waren und daher die 2016 vereinbarten Anforderungen nicht erfüllen. Nachfolger Mellinghoffs als BFH-Präsident soll demnach Hans-Josef Thesling werden, ein CDU-naher Beamter im nordrhein-westfälischen Justizministerium*, zuvor Leiter des Finanzgerichts in Düsseldorf. Und für den Posten der Vizepräsidentin ausgewählt ist demnach Anke Morsch, derzeit Präsidentin des saarländischen Finanzgerichts und ehemalige SPD-Staatssekretärin. Eine offizielle Bestätigung gibt es nicht.
Die Richterbesetzung auf Bundesebene ist auch eine politische Angelegenheit. In dem Gremium sitzen auf der einen Seite die zuständigen 16 Landesminister des jeweiligen Fachgebiets und auf der anderen Seite die gleiche Anzahl Mitglieder, die der Bundestag gewählt hat. Mit in die Entscheidung eingebunden ist das jeweilige Bundesministerium, so sieht es Art. 95 Grundgesetz vor. Soll also beispielsweise eine Stelle am BGH besetzt werden, entscheidet auch das BMJV mit; soll eine Stelle am Bundesarbeitsgericht besetzt werden, ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dabei. Alle vier Richter für den BFH sind bislang nicht vom Bundespräsidenten ernannt und können deshalb ihre Stellen nicht antreten.
"Für den Bundesfinanzhof liegen hier derzeit keine Ernennungsvorschläge vor", erklärte ein Sprecher des Bundespräsidialamts in Berlin Ende Januar. "Die Vorbereitung der entsprechenden Ernennungsurkunden obliegt dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz."
Das BMJV wollte auf Anfrage von LTO mit Verweis auf die laufenden Abstimmungen den Vorgang am Donnerstag nicht kommentieren. Die Zeit für das BMJV läuft, im Herbst wird ein neuer Bundestag gewählt und eine neue Regierung bestimmt.
Erledigungszahlen, Erfolgsquoten, Corona-Einschränkungen
Nebenbei enthält der Jahresbericht natürlich auch noch Zahlen: Insgesamt hat der BFH im Jahr 2020 genau 2.122 Verfahren erledigt, bei 1.995 neu eingegangenen Fällen. Unerledigte Fälle liegen nun noch 1.603 beim Münchener Gericht. Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrug wie schon im Vorjahr neun Monate. Die Erfolgsquote der Klagenden stieg leicht um drei Prozent, sie liegt nun bei 23 Prozent.
Zahlen, die sich trotz der Einschränkungen des Gerichtsbetriebs durch die Coronapandemie für die Arbeitsfähigkeit des BFH sprechen. Zahlreiche Verfahren seien im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung erledigt worden, heißt es in dem Bericht. Anders als in anderen Gerichtsprozessordnungen bedarf es für den Bereich des Steuerrechts keiner gesonderten Regelung, um Verfahren im schriftlichen Verfahren zu erledigen, notfalls geht das auch ohne Zustimmung der Beteiligten. Für Videoverhandlungen fehlten am BFH noch die technischen Voraussetzungen, heißt es im Jahresbericht.
Für das laufende Jahr erwartet der BFH eine ganze Reihe interessanter Entscheidungen. So müssen sich die Richter mit der Besteuerung von Einkünften aus Pokerspielen befassen und die Frage beantworten, ob Lehrer einen Schulhund von der Steuer absetzen können. Zudem geht es in einem anstehenden Verfahren darum, ob Profisportler steuerfreie Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge für Fahrten im Mannschaftsbus erhalten können.
Wer zu diesen Fällen und zu den Zahlen aus dem Jahr 2021 im kommenden Jahr das Vorwort schreiben wird, bleibt besonders spannend.
Mit Material der dpa
Anm. d. Red.: Zunächst hieß es an dieser Stelle unzutreffend "Finanzministerium", korrigiert 23.02.2021, 15.45 Uhr.
Streit mit BMJV um Chefposten: . In: Legal Tribune Online, 18.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44304 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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