Den Amicus Curiae kennt man aus dem anglo-amerikanischen Recht, nicht unbedingt aus deutschen Verwaltungsgerichten. Warum für die Briefe an das Gericht ein verfahrensrechtlicher Rahmen wünschenswert wäre, erläutert Katharina Diel-Gligor.
Die sich im Entstehen befindliche Gigafactory des Elektroauto-Herstellers Tesla im brandenburgischen Grünheide ist derzeit in der medialen Berichterstattung omnipräsent. Vor Kurzem sorgte der Konzern mit seinem Großprojekt erneut für Schlagzeilen.
Die Tesla Manufactoring Brandenburg SE reichte unaufgefordert einen zehnseitigen Schriftsatz zu einem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg ein. Darin heißt es, sie nehme als Amicus Curiae Stellung und bitte um Beachtung der Überlegungen im Verfahren OVG 11 A 22/21 der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) gegen die Bundesrepublik Deutschland.
Das Unternehmen kenne die Forderungen der DUH – namentlich nach geeigneten Maßnahmen zur Erreichung der nationalen Klimaziele 2030 – aus der Öffentlichkeit und sei der Ansicht, dass es im Interesse des OVG und der Verfahrensbeteiligten liege, "dass Tesla Brandenburg seine Erfahrungen mit deutschen Genehmigungsverfahren mitteilt." Auf eine Kritik an Genehmigungsverfahren in Deutschland folgt sodann eine umfassende Vorschlagsliste zur Änderung des deutschen Umwelt-, Raumordnungs- und Planungsrechts zugunsten von "nachhaltigen Projekten".
Briefe von "Freunden des Gerichts"
Bei dem durch Tesla bemühten Mechanismus des Amicus Curiae, auf Deutsch "Freund des Gerichts", handelt es sich um eine Rechtsfigur, deren Bedeutungsgehalt je nach Rechtsordnung variiert. In der Regel wird darunter eine Person oder ein Zusammenschluss von Personen verstanden, die zwar nicht selbst an einem Gerichtsverfahren (z.B. als Partei, Zeuge oder Sachverständiger) beteiligt sind, gleichwohl aber ihre Auffassung zu Fragen des anhängigen Rechtsstreits gegenüber dem Gericht kundtun, um dieses bei seiner Entscheidungsfindung zu unterstützen.
Dabei erfolgt die Meinungsäußerung – eigeninitiativ oder auf Einladung des Gerichts – stets freiwillig. Ob sich ein Amicus Curiae neutral im Sinne einer objektiven Vertretung öffentlicher Interessen zu verhalten hat oder – wie augenscheinlich im Falle Teslas vor dem OVG Berlin-Brandenburg – auch von privaten Interessen geleitet auftreten darf, ist wiederum eine Frage der Ausgestaltung der Rechtsfigur durch die jeweilige Rechtsordnung.
Historisch zu verorten ist der Amicus Curiae im anglo-amerikanischen Rechtsraum, wo er ein gängiges Verfahrensinstrument ist. Auch in der internationalen Gerichtsbarkeit, etwa vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder vor Schiedsgerichten, ist er bereits fest etabliert. Dem deutschen Verfahrensrecht ist das Rechtsinstitut hingegen weitgehend fremd.
Zwar existieren auch hier Einflussmöglichkeiten Dritter, wie etwa die Nebenintervention gem. §§ 66 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) oder die Beiladung gem. §§ 65 ff. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Beide unterscheiden sich jedoch in grundlegenden Aspekten vom Amicus Curiae, wie z.B. durch das Erfordernis eines rechtlichen Interesses in Bezug auf den konkreten Rechtsstreit. Im Gegensatz dazu vertritt ein Amicus Curiae durch seine Stellungsnahmen öffentliche oder private Interessen auch losgelöst vom jeweiligen Rechtsstreit. Das Bundesverfassungsgericht hingegen kennt mit den Stellungnahmen von "sachkundigen Dritten" gemäß § 27a Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) ein Äquivalent zum Amicus Curiae.*
Stellungnahmen zu Racial Profiling, indymedia und inklusiver Beschulung
Auch wenn der Amicus Curiae in der deutschen Rechtsordnung nicht normativ verankert ist, so treten in der Praxis durchaus Personen in dieser Rolle an die Gerichte heran. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit handelt es sich dennoch bisher um ein Randphänomen.
Das bis dato prominenteste Beispiel war eine Stellungnahme der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V., die diese im September 2018 in einem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 29.1.2020, Az. 6 A 1.19 u.a) eingereicht hatte. Darin ging es um die Frage, ob das Vereinsverbot gegen die Betreiber des Internetportals "linksunten.indymedia.org" rechtmäßig ergangen war.
Auch das OVG Rheinland-Pfalz erhielt bereits in zwei Verfahren (Urt. v. 21.4.2016, Az. 7 A 11108/14 und Beschl. v. 29.10.2012, Az. 7 A 10532/12) Zuschriften von Amici Curiae. Beide Fälle betrafen das sogenannte "Racial Profiling", nämlich die Frage, ob die Bundespolizei bei Kontrollen in Zügen Fahrgäste gezielt aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliert hatte und damit ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz vorlag. Die Stellungnahmen stammten jeweils vom Deutschen Institut für Menschenrechte e.V. (DIMR), welches u.a. darlegte, warum die Kontrollbefugnisse nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz aus seiner Sicht gegen Grund- und Menschenrechte verstießen. Darüber hinaus äußerte sich in einem der Verfahren (Az. 7 A 10532/12) auch das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. zur Frage der Rechtmäßigkeit der durchgeführten Maßnahmen im konkreten Fall.
Schließlich wurde auch auf der untersten verwaltungsgerichtlichen Ebene ein Amicus Curiae aktiv. In einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt (Az. 7 K 949/09), in dem es um das Recht auf inklusive Beschulung ging, äußerte sich die an das DIMR angegliederte Monitoring-Stelle zur Durchsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention mit einer Stellungnahme zu diesbezüglichen Grundsatzfragen.
Neu ist, dass ein Unternehmen als Amicus auftritt
Obgleich die Zahl der (bekannten) Amicus Curiae-Stellungnahmen vor Verwaltungsgerichten sehr überschaubar sind, so ist die durch Tesla eingereichte Stellungnahme unter diesen als Novum zu qualifizieren. Denn während bislang gemeinnützige Vereine aus dem Bereich Grund- und Menschenrechte agierten, trat nun ein Unternehmen als "Freund des Gerichts" auf. Hinzu kommt die Besonderheit, dass sich die Forderung Teslas nach konkreten Reformen des deutschen Genehmigungsrechts de lege ferenda in ihrem Detaillierungsgrad deutlich von der inhaltlich relativ abstrakt gehaltenen Verbandsklageforderung nach einem geeigneten Klimaschutzprogramm unterscheidet.
Geht Tesla damit – zumindest in prozessualer Hinsicht – als Vorbild voran und macht Amicus Curiae-Stellungnahmen in Deutschland als Drittbeteiligungsinstrument salonfähig? Ist ein Ende des Nischendaseins dieser Rechtsfigur absehbar? Potenzial dürfte der Fall aufgrund der Prominenz des Weltkonzerns besitzen. Entscheidend wird darüber hinaus sein, ob und gegebenenfalls wie das OVG Berlin-Brandenburg auf die Eingabe reagieren wird.
Denn während Tesla im US-amerikanischen Rechtsraum "sozialisiert" wurde und das Verfahrensinstrument mit einer gewissen Selbstverständlichkeit nutzt, ist es deutschen Verwaltungsgerichten hingegen fremd. Dies zeigt sich auch daran, dass in den genannten Fällen von Amicus Curiae-Inter-ventionen vor Verwaltungsgerichten bisher keine gerichtliche Reaktion auf die Stellungnahmen erfolgte. Zum einen könnte dies auf die fehlende gesetzliche Regelung des Instruments in der deutschen VwGO und die damit verbundene Befürchtung einer unangemessenen Einflussnahme auf den Rechtsstreit zurückzuführen sein.
Zum anderen dürfte auch die "Andersartigkeit" der deutschen Rechtskultur eine Rolle gespielt haben. In diesem Sinne könnte durch die schriftliche Eingabe Teslas im Verfahren vor dem OVG Berlin-Brandenburg ein "Clash of Legal Cultures" ausgelöst worden sein, der rechtskulturelle Unterschiede offenbart und eine behutsame Annäherung erfordert.
Im Prozessrecht regeln, was die Gerichte beachten müssen
Sollte der Mechanismus des Amicus Curiae zukünftig verstärkte Aufmerksamkeit finden, wäre es zu begrüßen, wenn eine solche Annäherung von Justiz und Dritten – nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit – über den Weg der prozessrechtlichen Verankerung als Verfahrensinstrument erfolgen würde. Als Vorbild innerhalb des kontinentaleuropäischen Rechtskreises könnte Frankreich dienen. Denn jenseits des Rheins ist der Amicus Curiae bereits seit über zehn Jahren im Code de Justice Administrative normiert – wenngleich er praktisch eher selten genutzt wird.
Im Zuge einer solchen gesetzlichen Normierung wäre es wünschenswert, über den rechtlichen Status und die gerichtlichen Zugangsmöglichkeiten hinaus auch Regelungen zu den Modalitäten derartiger Drittinterventionen vorzusehen. So sollte z.B. durch Veröffentlichungspflichten mehr Transparenz über die Existenz und Inhalte von Amicus Curiae-Beteiligungen hergestellt werden. Um dem womöglich befürchteten Anschein einer unangemessenen Einflussnahme durch Amici Curiae vorzubeugen, wäre überdies eine Bezugnahmepflicht sinnvoll, wenn und soweit Richter deren Eingaben bei ihrer Urteilsfindung berücksichtigen.
Amici Curiae wird in der Regel eine Informationsfunktion gegenüber den Gerichten zugeschrieben. Darüber hinaus erhalten die Gerichte die Möglichkeit, Rechtsstreitigkeiten an die öffentliche Diskussion rückzukoppeln und in ihren gesellschaftspolitischen Kontext einzubetten. Auf diese Weise können sie dem Wunsch nach gesellschaftlicher Partizipation in der Justiz begegnen. Auch wenn das Instrument einige Spannungsfelder aufwirft – etwa in Bezug auf die subjektiv-rechtliche Ratio von deutschen Verwaltungsgerichtsverfahren oder die Verfahrensgrundrechte der Beteiligten – so erscheint dessen prozessuale Weiterentwicklung in diesem Lichte als durchaus lohnenswert.
Dr. Katharina Diel-Gligor, LL. M. (Columbia), ist im höheren Verwaltungsdienst des Bundes und nebenberuflich als Dozentin tätig. Sie hat als Absolventin des "Master of European Governance and Administration" (MEGA) eine rechtsvergleichende Arbeit zur Rechtsfigur des Amicus Curiae in Deutschland und Frankreich verfasst, die in Kürze in der gleichnamigen Schriftenreihe erscheinen wird. Der Beitrag gibt ausschließlich ihre persönliche Auffassung wieder.
*Von der Autorin berichtigt "sachkundige Dritte", nicht "sachverständige Dritte" am 12.05.2021.
Nach Tesla-Stellungnahme vor dem OVG Berlin-Brandenburg: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44878 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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