Der Naturschutzbund Deutschland hat ihn zum Vogel des Jahres 2010 gekürt, Teichwirten dagegen ist er ein Dorn im Auge: Der Kormoran. Die Population des Vogels hat so stark zugenommen, dass er zum Problem wird. Die Regierungsparteien fordern daher einen europaweit koordinierten Regulierungsplan, der NABU protestiert. Mit wenig Aussicht auf Erfolg, meint Alfred Scheidler.
In Mitteleuropa war der Kormoran zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts fast ausgerottet. Gesetzliche Schutzbestimmungen auf europäischer und nationaler Ebene führten aber dazu, dass er sich in den vergangenen Jahrzehnten wieder stark vermehren konnte: Europaweit gibt es derzeit etwa 600.000 Brutvögel und eine Gesamtzahl von fast zwei Millionen. In Deutschland schätzt man die Zahl der Brutvögel auf 47.000 und die Gesamtzahl auf 130.000. Der Bestand hat sich damit seit 1990 vervierfacht.
Diese aus Sicht des Artenschutzes zunächst zu begrüßende Entwicklung bringt aber auch massive Probleme mit sich: Kormorane ernähren sich fast ausschließlich von Fischen. Auf ihrer Speisekarte stehen dabei bevorzugt kleinere Fische (bis zu 500 Gramm), also kleinere Fischarten wie die Äsche oder Jungtiere größerer Fischarten.
Jeder Vogel frisst täglich 400 bis 500 Gramm solcher kleineren Fische, pro Jahr ergibt das in Deutschland einen Verlust an Fischen von mehr als 20.000 Tonnen. Dieser Schwund beeinträchtigt nicht nur die fischereiliche Nutzung der Gewässer erheblich und kann im schlimmsten Fall zum Verlust der wirtschaftlichen Existenz besonders betroffener Betriebe führen. Er gefährdet auch wild lebende Fischarten.
Teichwirtschaft bedroht, wild lebende Fischarten gefährdet
Nach Angaben des Instituts für Binnenfischerei in Potsdam kann es im Bereich der Karpfenteichwirtschaft im ersten und zweiten Aufzuchtjahr durch Kormoranfraß zu Ertragseinbußen von über 90 Prozent kommen. Ebenso bedenklich ist, dass in Deutschland 74 Prozent der heimischen Fischarten als gefährdet oder ausgestorben gelten. Der Kormoran leistet dazu einen nicht unerheblichen Beitrag.
Die Regierungsparteien (CDU/CSU und FDP) haben deshalb am 19. Oktober 2011 einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht mit dem Ziel, durch ein Kormoranmanagement eine langfristige Bestandsregulierung zu erreichen (Bundestags-Drucksache 17/7352). Sie wollen neben dem wirtschaftlichen Ziel, Fischzucht und Teichwirtschaft als wichtigem Bestandteil unserer Kulturlandschaft zu schützen, auch den Fischartenschutz stärken und dadurch die Artenvielfalt in ein Gleichgewicht bringen.
Erreicht werden soll dies mit einem europaweit koordinierten Aktionsplan zur schrittweisen Verminderung des Brutvogelbestandes. Dazu sollen die Zahl von Nistbäumen reduziert und Gelege manipuliert werden. Auch in bereits bestehende Kolonien wollen Union und FDP eingreifen, selbst wenn diese sich in ausgewiesenen Schutzgebieten befinden. Der Antrag erfasst auch die gezielte Tötung von Kormoranen zur Dezimierung des Bestandes.
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) sieht in den Plänen der Regierung insgesamt einen Verstoß gegen Artenschutzrecht. Die Naturschützer werten den Koalitionsantrag als sinnlosen Versuch, Vogel- und Fischartenschutz gegeneinander auszuspielen.
Artenschutzrecht lässt ausnahmsweise auch Tötung zu
In dieser Pauschalität ist die Argumentation des NABU allerdings wenig Erfolg versprechend. In der Tat unterliegt der Kormoran zwar dem Schutz der EU-Vogelschutzrichtlinie (2009/147/EG, vormals 79/409/EWG) und gehört als "europäische Vogelart" im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 12 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) zu den besonders geschützten Arten. So ist es nach § 44 BNatSchG untersagt, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten.
Allerdings kann es Ausnahmen von diesen Verboten geben. Die Landesbehörden können solche im Einzelfall zulassen, die Landesregierungen auch allgemein durch Rechtsverordnung, etwa um erhebliche fischereiwirtschaftliche Schäden abzuwenden oder zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt. Zulässig ist das dann, wenn es keine zumutbaren anderen Alternativen gibt und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert.
Auf ebendiese Erhaltung der Populationen stützt die Koalition ihre Forderung nach einem langfristigen Kormoranmanagement. Es scheint auch keine zweckmäßigen und zumutbaren Alternativen zu den vorgeschlagenen Maßnahmen zu geben. Vergrämungsmaßnahmen reichen nicht aus, um das Kormoranproblem grundlegend zu lösen, weil solche regionalen Scheuchmaßnahmen die Vögel nur in andere Gebiete vertreiben.
Keine Ausnahmen vom Schutz in Schutzgebieten
Die Auffassung des NABU, dass der Koalitionsantrag insoweit gegen Artenschutzrecht verstoße, ist also mehr als fraglich, zumal auch Art. 9 der EU-Vogelschutzrichtlinie Ausnahmen ausdrücklich zulässt.
Soweit der Koalitionsantrag allerdings außerdem darauf abzielt, auch in Schutzgebieten Eingriffe in Kormoran-Kolonien zu ermöglichen, verweist der NABU zu Recht auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 14. März 2011 (Az. 5 S 644/09). Die Mannheimer Richter erteilten Anti-Kormoran-Aktionen in Naturschutzgebieten eine deutliche Absage. In diesen Gebieten verstoßen sie gegen das absolute Veränderungsverbot (§ 23 Abs. 2 BNatSchG), demzufolge alle Handlungen verboten sind, die das Naturschutzgebiet oder seine Bestandteile – also auch die dort anzutreffende Tierwelt – zerstören oder beschädigen.
Die durch die rasante Vermehrung des Kormorans entstandenen Probleme für die Teich- und Fischwirtschaft sowie der Schwund wild lebender Fischarten lassen sich nur durch ein langfristiges Kormoranmanagement dauerhaft lösen. Obwohl die im Koalitionsantrag angestrebten Maßnahmen auch gezielte Tötungsmaßnahmen beinhalten, stehen sie mit nationalen und europarechtlichen Artenschutzvorschriften im Einklang. Die Koalition muss also nur die Zugriffe auf Kormorane in Naturschutzgebieten aus ihrem Antrag streichen, um diesen rechtlich sattelfest zu machen.
Der Autor Dr. Alfred Scheidler ist Oberregierungsrat in Neustadt an der Waldnaab und Autor zahlreicher Publikationen zum öffentlichen Recht.
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Alfred Scheidler, Zu viele Kormorane in Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 11.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4780 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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