Zehn Jahre Eurojust: "Keimzelle für eine echte Europäische Staatsanwaltschaft"

Steffen Heidt/LTO-Redaktion

28.02.2012

Seit 2002 werden Ermittlungen bei schweren Straftaten in der EU zentral über "Eurojust" koordiniert. Im zehnten Jahr ihres Bestehens steht die Behörde nun möglicherweise vor einem Wendepunkt. Im LTO-Interview spricht Dominik Brodowski über die Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit, an deren Ende die Einrichtung einer europäischen Strafverfolgungsbehörde stehen könnte.

LTO: Beim Thema internationale Kriminalitätsbekämpfung leistet sich die EU neben der am 28. Februar 2002 gegründeten Behörde Eurojust in Den Haag zwei weitere Einrichtungen, deren Zuständigkeiten auf den ersten Blick nicht leicht durchschaubar sind. Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen: Was unterscheidet Eurojust im Kern von Europol und OLAF, und welcher Grundgedanke steckt hinter diesem Behördenystem?

Dominik Brodowski: Alle drei Einrichtungen sind gewissermaßen die Antwort auf Probleme, die im Zuge der fortschreitenden Europäisierung entstanden sind. So werden schon seit Jahrzehnten immer wieder Subventionen erschlichen, und auch die Korruption macht vor der EU nicht halt. Leider sind aber einzelne Mitgliedstaaten nicht immer gewillt, gegen derartige Delikte effektiv vorzugehen. Aus diesem Grund gibt es eine eigene EU-Anti-Korruptionsbehörde namens OLAF, die zwar selbst ermitteln, aber keine Strafen verhängen kann – das ist nach wie vor Aufgabe der einzelnen Mitgliedstaaten.

Europol wiederum wurde zum Kampf gegen Straftäter geschaffen, die mehr und mehr über Landesgrenzen hinaus tätig sind. Aufgabe der Behörde ist deshalb in erster Linie eine bessere Kommunikation und Kooperation der Polizeien in den Mitgliedstaaten; sie kann aber auch Daten zusammenzutragen, analysieren und an die betreffenden Mitgliedstaaten weiterreichen. Nicht zu unterschätzen sind auch die gemeinsamen Ermittlungsgruppen, an denen sich Europol und Polizisten aus mehreren Staaten beteiligen.

Damit neben den präventiv-polizeilichen Ermittlungen von Europol auch die staatsanwaltschaftlich geführten, repressiven Ermittlungen koordiniert werden können, gibt es seit nunmehr zehn Jahren die Behörde Eurojust.

Grenzübergreifende Koordination: "Verdächtige dürfen einander nicht warnen"

LTO: Wie sehen deren Maßnahmen zur Koordination konkret aus? 

Brodowski: Die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Mitgliedstaaten sprechen sich zum Beispiel über Eurojust ab, wenn am gleichen Tag zur gleichen Zeit die Wohnungen von Verdächtigen in mehreren Mitgliedstaaten durchsucht werden sollen, damit die Verdächtigen keine Chance haben, sich gegenseitig zu warnen und Beweismittel verschwinden zu lassen.

Darüber hinaus trägt die gute Zusammenarbeit der nationalen Vertreter bei Eurojust dazu bei, dass Rechtshilfeersuchen zwischen den Mitgliedstaaten schnell und unkompliziert, aber trotzdem allen rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechend erledigt werden – etwa, wenn in einem anderen Staat Telefongespräche überwacht, Wohnungen durchsucht oder Beschuldigte aufgrund eines Europäischen Haftbefehls festgenommen werden sollen.

Eurojust schlichtet außerdem Kompetenzkonflikte, wenn sich also Mitgliedstaaten nicht einigen können, wer die Strafverfolgung eines international agierenden Kriminellen übernehmen soll.

"Eurojust kann keine eigenen Ermittlungen durchführen"

LTO: Nun sind Europol und OLAF deutlich älter als Eurojust. Warum dauerte die Gründung von Eurojust so lange und was genau gab vor zehn Jahren den Ausschlag dazu?

Brodowski: Zum einen sind die Kompetenzvorschriften, die der EU die Errichtung von Eurojust gestatteten, noch recht jung. Zum anderen mussten die Mitgliedstaaten erst davon überzeugt werden, dass es sinnvoll ist, Teilbereiche des Rechts der Inneren Sicherheit auf die EU zu übertragen. Dass entsprechende Vorbehalte gegen Eurojust überwunden werden konnten, hängt sicher auch mit den Anschlägen vom 11. September 2001 zusammen.

LTO: Der Lissabon-Vertrag von 2009 gilt als wichtige Etappe bei der Entwicklung von Eurojust. Was genau änderte sich damals?

Brodowski:  Durch den Lissabon-Vertrag wurde die gesamte Europäisierung des Strafrechts auf eine neue, breitere Grundlage gestellt. Die EU kann jetzt zum Beispiel auch Vorgaben erlassen, die das nationale Strafverfahrensrecht erfüllen muss, so etwa die umfassende, zum Teil schriftliche Belehrung von Beschuldigten über ihre Rechte.

Aber es hat sich auch institutionell einiges geändert: Eurojust kann auf Grundlage des Vertrags von Lissabon die Befugnis erhalten, selbst Ermittlungsverfahren einzuleiten. Damit würden nicht länger die Staatsanwaltschaften in den Mitgliedstaaten entscheiden, ob gegen jemanden ermittelt wird, sondern Eurojust.

Der Vertrag lässt aber noch eine weitere Etappe zu: Eurojust kann zur Keimzelle für eine echte Europäische Staatsanwaltschaft werden. Sie soll vor allem diejenigen Fälle ermitteln und anklagen, in denen der Haushalt der EU durch Korruption oder Subventionsbetrug geschädigt wird.

LTO: Bei der Idee einer "Europäischen Staatsanwaltschaft", die EU-Kommisarin Viviane Reding 2011 wieder ins Spiel gebracht hat, möchte ich einmal einhaken: Offenbar kann Eurojust nicht so effizient arbeiten, wie man sich das vorgestellt hat, insbesondere in dem von Ihnen genannten Bereich des Betruges mit EU-Mitteln. Woran liegt das?

Brodowski: Eurojust ist nach wie vor nur ein Forum für Kooperation und Koordination, die Behörde kann keine eigenen Ermittlungen durchführen. Das gilt auch für Zwangsmaßnahmen oder verdeckte Ermittlungsmaßnahmen wie eine Telekommunikationsüberwachung –  Europol ist dazu übrigens ebensowenig befugt. Diese Maßnahmen sind den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten vorbehalten.

"Eine europäische Staatsanwaltschaft wäre das Ende für Eurojust"

LTO: Wären denn die Aufgaben einer Staatsanwaltschaft auf EU-Ebene die gleichen wie die der deutschen Strafverfolger?

Brodowski: Prinzipiell ja. Im Unterschied zu den deutschen Staatsanwaltschaften würde sich das EU-Pendant allerdings nur um wenige, "europäische" Delikte kümmern. Das sind im Ausgangspunkt diejenigen Straftaten, die gegen den EU-Haushalt gerichtet sind. Es gibt aber durchaus Überlegungen, der Europäischen Staatsanwaltschaft auch die Verfolgung anderer schwerer, grenzüberschreitender Kriminalitätsformen zu übertragen, wie etwa die des internationalen Terrorismus, der international tätigen, organisierten Kriminalität oder auch der Computerkriminalität.

LTO: Sie haben allerdings vorhin schon die Vorbehalte der Mitgliedstaaten gegen Eurojust angesprochen. Worum geht es dabei genau?

Brodowski: Zunächst ist das die Frage der Subsidiarität, die sich bei allen Maßnahmen der EU stellt: Was ist der Mehrwert, wenn die Strafverfolgung auf europäischer Ebene angesiedelt wird, anstatt sie auf Ebene der Mitgliedstaaten zu belassen? Ein echter Mehrwert lässt sich wohl am ehesten bei den Delikten gegen den EU-Haushalt begründen, weil die Verfolgung dieser Delikte in den Mitgliedstaaten nicht immer mit dem nötigen Nachdruck erfolgt ist.

Daneben stellen sich aber auch eine Reihe weiterer, nicht weniger wichtiger Fragen: Wäre eine Europäische Staatsanwaltschaft einer ausreichenden demokratisch-parlamentarischen und justiziellen Kontrolle unterworfen? Könnte ein angemessener Standard an Beschuldigtenrechten auch im europäischen Strafverfahren gewährleistet werden? Das schließt auch die Frage ein, ob die Europäische Staatsanwaltschaft beispielsweise eine Telekommunikationsüberwachung beantragen oder anordnen dürfte, ob sich dies nach nationalem Recht oder aber nach einer europäischen Strafprozessordnung richten soll und welche Grenzen hierbei zu beachten wären.

LTO: Nehmen wir mal an, die Europäische Staatsanwaltschaft kommt tatsächlich. Wie wird sich das Ihrer Meinung nach auf die Entwicklung von Eurojust auswirken?

Brodowski: Eine Europäische Staatsanwaltschaft wäre das Ende für Eurojust, aber im positiven Sinne. Eurojust würde sich zur Europäischen Staatsanwaltschaft weiterentwickeln und letztendlich darin aufgehen.

Wenn dies mit einem angemessenen Grundrechtsschutz verbunden ist und die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch auf europäischer Ebene gewahrt wird, sehe ich darin eine große Chance. Von daher stellt sich in der Tat die Frage, ob man Eurojust noch eine lange Zukunft wünschen oder nicht stattdessen hoffen soll, dass die Behörde schon bald durch etwas noch Besseres, nämlich die Europäische Staatsanwaltschaft ersetzt wird.

LTO: Herr Brodowski, wir danken Ihnen für dieses Interview.

Dominik Brodowski, LL.M. (UPenn) ist akademischer Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Europäisches Straf- und Strafprozessrecht der Eberhard Karls Universität Tübingen.

Die Fragen stellte Steffen Heidt.

Zitiervorschlag

Zehn Jahre Eurojust: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5652 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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