Werbung für Schwangerschaftsabbruch: Wider­sprüch­liche Vor­s­tel­lungen der FDP

Die FDP diskutiert ihre Haltung zur Werbung für den Schwangerschaftsabbruch. Dabei drohen die Liberalen sich auf einen Gesetzentwurf des § 219a StGB zu verständigen, der in doppelter Hinsicht widersprüchlich ist, findet Michael Kubiciel.

In der aufgeregten politischen Debatte um das Verbot der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, die sich an der Verurteilung der Gießener Ärztin entzündet hat, ist die FDP nicht durch Schnellschüsse aufgefallen. Sie hat sich mit reißerischen Tweets zurückgehalten und auch nicht die falsche Behauptung wiederholt, § 219a Strafgesetzbuch (StGB) gehe auf den nationalsozialistischen Gesetzgeber zurück. Vielmehr hat sie sich für ihre Beratungen Zeit genommen und externen Sachverstand hinzugezogen. Dennoch leidet der in der Fraktion diskutierte Vorschlag an zwei Widersprüchen, von denen der erste bekannt, der zweite hingegen noch nicht einmal erkannt ist.

Wie sieht der Vorschlag aus? Während Bündnis 90/Die Grünen, die Linke und auch Teile der SPD den Straftatbestand ersatzlos streichen möchten, soll nach Vorstellungen von Vertretern der FDP ein entkernter § 219a StGB erhalten bleiben. Künftig soll das kommerzielle Anbieten von Schwangerschaftsabbrüchen aber nur noch dann strafbar sein, wenn dies in einer grob anstößigen Form geschieht.

Das führt zunächst zu demselben Widerspruch, an dem auch die Initiativen der Bündnisgrünen und der Linken kranken: Denn eine Streichung oder Entkernung des § 219a StGB hat zur Konsequenz, dass die von nicht-kommerziellen, staatlich zugelassenen und überwachten Organisationen wie pro familia angebotene Beratung sehr dicht reguliert ist, während Ärztinnen und Ärzte keine Vorgaben bei der Bewerbung eines Schwangerschaftsabbruchs folgen sollen. Dabei steckt hinter dem geltenden Beratungsmodell die Einsicht, dass ein Abbruch etwas fundamental anderes ist als jeder andere ärztliche Heileingriff und dass es deshalb mit einer "normalen" ärztlichen Beratung über die Folgen des Eingriffs für die Patientin nicht sein Bewenden haben kann.

Beratungsmodell des BVerfG wird in Frage gestellt

Die Beratung soll vielmehr darüber aufklären, dass ein Abbruch in einen eigenen Würdeanspruch und das Lebensrecht des Embryonen eingreift, und soll Alternativen zum Abbruch aufzeigen, ohne Frauen zu indoktrinieren. Dieses Beratungsmodell hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dem Gesetzgeber gleichsam in das Gesetz diktiert: Danach darf der Gesetzgeber zwar auf die Bestrafung eines Schwangerschaftsabbruchs verzichten, muss aber in anderer Weise für den Schutz des Lebens sorgen und zum Ausdruck bringen, dass ein nicht-indizierter Abbruch rechtswidrig ist. Dass die Karlsruher Richter ihre Auffassung ändern, ist höchst unwahrscheinlich. Zu weitreichend wären die Folgen, die eine Relativierung des Würde- und Menschenschutzes für das ungeborene Leben nach sich zögen, basieren auf der Rechtsprechung des BVerfG doch nicht nur die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch, sondern auch die Vorschriften zur PID oder der Embryonenforschung.

Wer § 219a StGB streicht oder ihm seinen wesentlichen Inhalt entzieht, schafft widersprüchliches Recht: Frauen müssten sich - gesetzlich verpflichtend - einer Beratung unterziehen, deren Inhalt aus verfassungsrechtlichen Gründen strukturiert ist, während Ärztinnen und Ärzte für Schwangerschaftsabbrüche in jedweder Form werben dürften – jedenfalls solange dies nicht in grob anstößiger Weise geschähe. Das passt nicht zu dem Beratungsmodell, das - auf Druck des BVerfG - in §§ 218a, 219 verankert ist und das vom Werbeverbot des § 219a flankiert wird.

Damit nicht genug. Der in der FDP diskutierte Vorschlag weist einen zweiten Widerspruch auf, der deutlich fundamentaler ist. Dieser Vorschlag basiert (wie auch die Initiativen anderer Parteien) auf dem Argument, dass ein Schwangerschaftsabbruch nicht mehr bestraft wird, wenn er im Rahmen der §§ 218 ff. StGB erfolgt. Weshalb also, lautet das Argument, dürfe man nicht für etwas werben, was nicht strafbar sei? Die Frage weist jedoch ein Potenzial auf, das weit über den in der FDP diskutierten Mittelweg hinausreicht. Denn weshalb soll man für eine straflose Handlung nicht auch in grob anstößiger Weise werben dürfen? Wenn das gegen § 219a StGB vorgebrachte Argument richtig wäre, müsste der Tatbestand konsequenterweise gänzlich gestrichen werden.

FDP-Fraktion tendiert zum Mittelweg

Dass dies von der FDP nicht gefordert wird, sondern die Fraktion zu einem "Mittelweg" tendiert, hat seinen Grund – wie gesehen – im Verfassungsrecht: Wenn nach der Rechtsprechung des BVerfG der nicht-indizierte Schwangerschaftsabbruch auch dann rechtswidrig bleibt, wenn er nicht bestraft wird, ist ein umfassendes Werbeverbot zwingend. Denn für eine rechtswidrige Handlung darf überhaupt nicht geworben werden.

Es wäre schön, wenn die FDP – anders als andere Fraktionen – dem Impuls widerstehen könnte, § 219a StGB auf Grundlage einer recht oberflächlichen Medienberichterstattung zu einem Einzelfall streichen oder entkernen zu wollen.

Sollte es innerhalb der sorgsam austarierten §§ 218 ff. StGB überhaupt Änderungsbedarf geben, dann nur den: Ärztinnen und Ärzte sollten (auch auf ihrer Homepage) in einer rechtlich näher geregelten Weise auf die Tatsache hinweisen dürfen, dass sie Abbrüche vornehmen. Wie dies geschieht, müsste indes genauer gesetzlich geregelt werden. Sollten tatsächlich schwangere Frauen Probleme haben, eine geeignete Praxis zu finden und sich darüber Informationen zu verschaffen, dann ließe sich diesem Informationsdefizit mit einer minimalinvasiven Gesetzesänderung abhelfen, ohne in verfassungsrechtlich bedenklicher und widersprüchlicher Weise den § 219a StGB abschaffen oder vollkommen entkernen zu wollen.

Prof. Dr.Dr. h.c. Michael Kubiciel leitet den Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht, Strafprozessrecht, Medizin- und Wirtschaftsstrafrecht an der Uni Augsburg.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, Werbung für Schwangerschaftsabbruch: . In: Legal Tribune Online, 19.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27099 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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