Radikale Wahlplakate: Überkleben, anstreichen und abhängen

von Dr. Lorenz Leitmeier

12.05.2014

Es ist wieder Wahlkampf. Pro NRW provoziert mit Plakaten, auf denen durchgestrichene Moscheen zu sehen sind. Wem das genauso wenig gefällt wie der NPD-Spruch "Geld für die Oma statt für Sinti und Roma", kann dagegen wenig tun. Wer zum Farbeimer greift, macht sich sogar strafbar statt zum politischen Diskurs beizutragen, meint Lorenz Leitmeier.

Das Übermalen von Wahlplakaten ist eine Sachbeschädigung begangen nach § 303 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Und zwar eine "nicht unerhebliche Beeinträchtigung der Substanz" des Wahlplakats, weil die überdeckende Farbe sich so mit der Sache selbst verbindet, dass eine Entfernung mit einem verhältnismäßigen Aufwand nicht oder nur unter Eingriff in die Substanz der Sache möglich ist.

Das Ganze ist auch rechtswidrig – unabhängig davon, ob der Slogan oder das Bild auf dem Wahlplakat selbst den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, wie es im Fall der NPD-Plakate für den hessischen Landtags- und den Bundestagswahlkampf 2013 die Stadt Bad Hersfeld annahm: Es steht Einzelnen nicht zu, Selbstjustiz zu verüben und auf diese Art für die Verfassung einzutreten. Ob sich der für das Plakat Verantwortliche strafbar gemacht hat oder nicht, ob diese Meinungsäußerung noch hinzunehmen ist oder nicht, wird von Gerichten entschieden.

Das Verwaltungsgerichts Kassel hielt den NPD-Slogan übrigens nicht für volksverhetzend und verpflichtete die Stadt, die Wahlplakate wieder aufzuhängen. In einer demokratischen Gesellschaft müssten auch abwegige Meinungen ertragen werden, solange sie nicht strafrechtlichen Charakter aufweisen. Es bleibe den Menschen überlassen, mit gesundem Menschenverstand die richtigen Schlussfolgerungen zu treffen (Beschl. v. 09.09.2013, AZ. 4 L 1117/13.KS). Die ARD weigerte sich dagegen zuletzt erfolgreich einen Wahlwerbespot von Pro NRW auszustrahlen.

Grundgesetz schützt Parteien

Wer missliebige Wahlplakate abhängt und wegträgt, begeht einen Diebstahl.
Das Überstreichen von Wahlplakaten ist allerdings keine "gemeinschädliche Sachbeschädigung" gemäß § 304 StGB: Die politischen Parteien sind nämlich nicht öffentlich-rechtlich organisiert und nehmen auch keine öffentlich-rechtlichen Befugnisse war. Die von ihnen aufgestellten Plakate stellen somit keine Sachen dar, die "dem öffentlichen Nutzen" dienen.

Allerdings sind Wahlplakate auch ohne gesteigerten strafrechtlichen Schutz mehr als bloße Sachen: Parteien wirken bei der politischen Willensbildung zwar nicht nur mit, sondern üben nach Ansicht vieler Politologen und Verfassungsrechtler zu viel Einfluss aus (etwa auf das ZDF, wie das Bundesverfassungsgericht kürzlich feststellte). Unstreitig aber sind sie vom Grundgesetz geschützt und nehmen Aufgaben von Verfassungsrang wahr.

Nicht der Bürger entscheidet über Verfassungswidrigkeit einer Partei

Diesen Schutz verlieren sie, wenn sie verfassungswidrig sind, weil sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf aus sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Dann wird eine Partei verboten; darüber entscheidet nach dem Grundgesetz aber das Bundesverfassungsgericht – nicht der einzelne Bürger.

Solange eine Partei nicht verboten ist, darf sie am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess teilnehmen. Und so lange muss die Auseinandersetzung mit Gegenmeinungen inhaltlich erfolgen.

Nähme die Polizei einem Antifa-Aktivisten auf der nächsten Demo das Spruchband "Eigentum ist Diebstahl" ab, hätte auch dessen Klage beim Verwaltungsgericht Erfolg.

Auch wer die moderne Wahlkampfstrategie der "asymmetrischen Demobilisierung" (mehr Anhänger des Gegners zum Einschlafen bringen als umgekehrt) nicht schätzt und sich einen offensiveren Wahlkampf wünscht, muss sich an die strafrechtlichen Grenzen halten: Wahlplakate abhängen, überkleben oder zerstören ist kein Beitrag zum politischen Diskurs, sondern eine Sachbeschädigung oder Diebstahl.

Der Autor Dr. Lorenz Leitmeier ist Richter am Amtsgericht München.

Zitiervorschlag

Radikale Wahlplakate: . In: Legal Tribune Online, 12.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11939 (abgerufen am: 02.11.2024 )

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