VG Berlin zum Prozess gegen Bundesregierung: Bio-Bauern schei­tern mit "Kli­maklage"

von Dr. Markus Sehl

31.10.2019

Mit einer Klage lässt sich die Regierung nicht zwingen, mehr gegen den Klimawandel zu tun. Das VG wies sie deshalb als unzulässig ab – und legte dabei viel Wert auf Verständlichkeit und Transparenz in der Verhandlung.

Am Ende des Verhandlungstages steht das Ergebnis: Die sogenannte Klimaklage, mit der drei Bauernfamilien und die Umweltorganisation Greenpeace die Bundesregierung dazu bewegen wollten, mehr als bislang gegen den Klimawandel zu unternehmen, ist unzulässig. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschieden (Urt. v. 31.10.2019, Az. 10 K 412.18).

Dass das am Donnerstag im Saal 0416 im Berliner Verwaltungsgericht nicht irgendein Prozess werden würde, betonte der Vorsitzende Richter der 10. Kammer, Hans-Ulrich Marticke, schon gleich zu Beginn. Er könne sich nicht erinnern, dass in der Geschichte des Gerichtsstandortes in der Berliner Kirchstraße jemals der Plenarsaal für die interessierte Öffentlichkeit nicht ausgereicht habe.

Vor dem Eingang des Gerichts hatte sich am Morgen eine lange Schlange gebildet, zahlreiche interessierte Zuschauer wurden aus Platzgründen nicht mehr eingelassen. Und auch im Gerichtssaal ging es durchaus ungewöhnlich weiter: In der Mitte des Saals war extra ein Standmikrofon aufgebaut, denn die Kläger - so der Vorsitzende - sollten heute noch einmal zu Wort kommen.

Mehr als nur eine Klage vor dem VG

Geklagt hatten drei Bio-Bauernfamilien von der Nordseeinsel Pellworm, aus dem Alten Land an der Elbe und aus der Lausitz in Brandenburg. Sie schilderten, wie sich aus ihrer Sicht das Klima in den vergangenen Jahren verändert habe und welche Auswirkungen es auf ihre Arbeit und ihr Leben habe. Als besonders einschneidend hätten sie das "Dürrejahr" 2018 empfunden, mit einer Mischung aus langanhaltenden heißen Tagen im Sommer und heftigem Regen in der kalten Jahreszeit. Dabei hätten sie mit ihrer Ernte bzw. ihrer Viehhaltung Gewinneinbußen von bis zu 50 Prozent hinnehmen müssen. Die Besonderheit der Klägergruppe: Die Umweltorganisation Greenpeace hatte aktiv nach willigen Klägern gesucht und letztlich die drei Klägerfamilien ausgesucht.

Der Vorsitzende Richter ließ gleich zu Beginn durchblicken, dass sich das Gericht seiner ungewohnten Rolle durchaus bewusst sei. Nämlich, dass es in einem Prozess zu entscheiden hatte, von dem man auch sagen könnte, dass er neben dem rechtlichen Anliegen auch aus strategischen Gründen geführt wird. Diese sogenannte strategischen Prozessführung ist vor allem im US-amerikanischen Rechtsraum verbreitet. Sie ist darauf gerichtet, politische und gesellschaftliche Änderungen herbeizuführen, die über den unmittelbaren Rechtsstreit hinausgehen, und hat auch zum Ziel, Aufmerksamkeit für ein Thema zu erzeugen.

Der Kammer sei, so Marticke, klar, dass mit der Klage auch die Grenzen verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes ausgetestet werden sollten.

Die Vertreter der Bundesregierung hatten argumentiert, dass mit der Klage beim VG der Regierung eine bestimmte Klimapolitik aufgezwungen werden solle. Sie sehen darin einen Eingriff in die Eigenverantwortung der Exekutive.

Tut die Bundesregierung zu wenig fürs Klima?

Dass die "Klimaklage" am Donnerstag hinsichtlich der Zulässigkeit auf anspruchsvolle Hürden in Form der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) treffen würde, zeigte sich schnell. Gerade die Frage nach der Klagebefugnis wurde zum Knackpunkt: Sind die Kläger durch staatliches Handeln möglicherweise in ihren Rechten verletzt worden?

Im Dezember 2014 hatte die Bundesregierung nämlich beschlossen, die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland bis 2020 gegenüber dem Jahre 1990 um 40 Prozent zu reduzieren (sogenanntes Klimaziel 2020). Deutschland wird im Jahr 2020 jedoch voraussichtlich nur eine Reduzierung um 32 Prozent erreichen, wovon auch die Kammer am VG ausging.

Ebenso auf der Kippe steht die Erreichung eines weiteren Ziels: die europarechtlich vorgesehene Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen um 14 Prozent in Bereichen, die nicht dem Emissionshandel unterliegen, gegenüber dem Stand von 2005 (vgl. "Lastenteilungsentscheidung" v. 23. April 2009, 406/2009/EU). Diese Werte wird Deutschland auch nach Auffassung des Berliner Gerichts voraussichtlich nicht erreichen.

Die Bauern forderten mit ihrer Klage deshalb von der Bundesregierung, Maßnahmen zu ergreifen, um das Klimaziel 2020 doch noch einhalten zu können. Sie sorgen sich, dass das, was die Bundesregierung bisher für den Klimaschutz tut, auch auf längere Sicht nicht wirksam genug ist.

Verwaltungsrechtlich kam es nun darauf an, ob es sich bei dem Kabinettbeschluss zum Klimaziel 2020 um einen juristisch verbindlichen Rechtsakt handelt, aus dem die drei Bauernfamilien eigene Rechte ableiten können. Eine entsprechende Verpflichtung der Bundesregierung ergebe sich, so die Argumentation der Kläger, dabei auch aus der Lastenteilungsentscheidung der EU.

Darüber machen sie eine Verletzung ihrer Grundrechte unter anderem aus Art. 14 GG und einen Verstoß gegen das so genannte Untermaßverbot geltend. Die Bundesregierung habe Maßnahmen unterlassen, die verfassungsrechtlich als Mindestmaß an Klimaschutz geboten seien.

VG verneint Klagebefugnis

Die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts folgte dieser Argumentation aber nicht. Der Beschluss der Bundesregierung zum Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 sei eine politische Absichtserklärung, enthalte aber keine rechtsverbindliche Regelung mit Außenwirkung, auf die sich die Kläger berufen könnten. Für diese Einschätzung hatte der Vorsitzende Richter auch noch einmal Passagen aus dem Programmheft vorgelesen, um seine Zweifel an der Rechtsverbindlichkeit zu untermauern.

Zudem habe die Bundesregierung das Klimaziel 2020 durch den mit Kabinettsbeschluss vom 9. Oktober 2019 verabschiedeten Regierungsentwurfs zum Bundes-Klimaschutzgesetz in zulässiger Weise auf das Jahr 2023 hinausgeschoben. Auch aus der Lastenteilungsentscheidung der EU ergebe sich keine unbedingte Verpflichtung, die Reduzierungsziele ausschließlich durch Maßnahmen im eigenen Land einzuhalten. Vielmehr sei es bei Verfehlen des Reduktionsziels zulässig, dass Deutschland überschüssige Emissionsberechtigungen von anderen EU-Mitgliedstaaten erwirbt.

Und auch der Verweis auf Grundrechte und Untermaßverbot überzeugte die Kammer nicht. Die Bauernfamilien könnten sich zum Schutz ihres Eigentums an den landwirtschaftlichen Betrieben nicht auf das Grundrecht aus Art. 14 GG berufen. Dem Gesetzgeber und der vollziehenden Gewalt komme bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten nämlich ein weiter, gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Solange die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutz der Grundrechte treffe, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich seien, bewege sich das in besagtem Spielraum.

Die klagenden Familien hätten, so das Gericht, auch nicht ausreichend dargetan, dass die Maßnahmen der Bundesregierung zum Klimaschutz völlig ungeeignet und unzulänglich gewesen seien und deshalb ein Verstoß gegen das sogenannte Untermaßverbot vorliege. Wenn im Jahr 2020 eine Reduzierung um 32 Prozent statt 40 Prozent erreicht werde und das Klimaziel 2020 erst drei Jahre später erfüllt werden sollte, so genüge dies noch nicht für die Annahme, dass die bisherigen Maßnahmen völlig unzureichend gewesen sind. Das 40-Prozent-Ziel stelle nicht das verfassungsrechtlich absolut gebotene Minimum an Klimaschutz dar.

Wie wichtig eine Verhandlung sein kann

Der Vorsitzende Richter gab sich in der Verhandlung viel Mühe, die juristischen Prüfungsschritte verständlich zu erläutern. Um zu unterstreichen, dass das VG als Gericht erster Instanz selbst Sachverhaltsermittlung betreibe, ließ er sogar ein Papier-Handout mit den eigenen Rechercheergebnissen zu zulässigen Jahresemissionen im Gerichtssaal verteilen. Dabei dürfte Richter Marticke auch genutzt haben, dass er am VG auch als Güterichter tätig ist, also als Mediator erfahren mit Formen gütlicher Streitbeilegung.

Der Verhandlung war anzumerken, dass am Ende die Kläger nicht allein mit einer abweisenden Entscheidung nach Haus geschickt werden sollten. So rückten die Verhandlung selbst, die Diskussion und die Argumentation in den Mittelpunkt – und auch die Übersetzung der juristischen Erwägungen für die interessierte Öffentlichkeit im Saal. Richter Marticke machte immer wieder deutlich, wo die Leistungsgrenzen des Verwaltungsrechts in dieser Frage liegen.

Die Argumentationsführung ausgehend von dem, was wissenschaftlich gefordert wird, um das Klima zu schützen, was politisch dazu als Weg entschieden wird und was am Ende verwaltungs- und inzident verfassungsrechtlich überprüfbar bzw. einklagbar bleibt, beschrieb der Vorsitzende Richter als juristischen "Drahtseilakt". Oder anders gesagt: Das ist noch Neuland.

Berufung zum OVG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen

Außerdem entschied das Gericht, dass die Umweltorganisation Greenpeace selbst kein Klagerecht nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz habe. Eine mögliche Verbandsklagebefugnis zur Kontrolle der Einhaltung des europarechtlichen Umweltschutzes helfe auch nicht weiter, da die einschlägige Regelung der EU-Lastenverteilungsentscheidung keine unbedingte Reduktionspflicht enthalte.

Einige Fragen blieben am Donnerstag noch offen. Zum Beispiel wie stark die grundgesetzliche Wertung der Staatszielbestimmung in Art. 20a GG doch auch eine Rechtsschutzposition für den Einzelnen vermitteln könnte. Das Gericht hat die Berufung gegen das Urteil zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.

Zitiervorschlag

VG Berlin zum Prozess gegen Bundesregierung: . In: Legal Tribune Online, 31.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38503 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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