Im Gefängnis sollen sich Häftlinge auf die Freiheit vorbereiten. Das kann auch einen Anspruch auf einen Internetzugang bedeuten, so der sächsische VerfGH - zunächst einmal dann, wenn es um einen Sicherungsverwahrten geht.
In früherer Zeit – das heißt im Wesentlichen vor den 1970er Jahren – ging es im Strafvollzug vor allem um eines: die Bösen wegsperren. Man wollte sich die Regelbrecher vom Hals schaffen - und das möglichst lange. Nur: Irgendwann wird zumindest der Großteil aller Häftlinge wieder entlassen. Dann stellt sich die Frage: Was tun mit den Leuten, die wieder in die Gesellschaft zurückkehren?
Bald wurde klar: Wer dort fortan als Paria lebt, hat keine Chance auf ein gleichberechtigtes und teilhabendes Leben. Und er hat eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, erneut kriminell zu werden. Der Gesetzgeber begann daraufhin, das Vollzugsziel zu ändern: Weg vom bloßen Einsperren, hin zur Resozialisierung.
Die wiederum stellt ihn nun vor eine immerwährende Herausforderung: Es gilt abzuwägen, was ein Häftling braucht, um sich auf die Rückkehr in die Gesellschaft vorzubereiten – und was ein Sicherheitsrisiko für die Zeit des Vollzugs darstellen könnte.
Ein Problem, das dabei seit jüngerer Vergangenheit eine immer größere Rolle spielt, ist das Internet. Heute ist es kaum noch möglich, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, ohne einen Internetzugang zu besitzen. Vieles funktioniert nur noch online, das gilt nicht weniger für den Arbeitsmarkt. Doch ein Internetzugang bedeutet auch Missbrauchsgefahr. Deswegen sind die Insassen deutscher Gefängnissen bis heute im Wesentlichen offline.
Streit ums Internet am VerfGH Sachsen
Das darf – jedenfalls pauschal – nach einer aktuellen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VerfGH) Sachsen nicht so sein. Vor diesem hatte ein Insasse der Sicherungsverwahrung Verfassungsbeschwerde eingereicht, weil ihm ein Internetzugang von seiner Justizvollzugsanstalt (JVA) versagt worden war. Einfach ablehnen könne die sein Ansinnen nicht, so die Richter (Beschl. v. 27.06.2019, Az. 64-IV-18).
Der Beschluss, der LTO vorliegt, bricht mit dem Grundsatz der bis heute überwiegenden Mehrheit deutscher JVA, dass Insassen kein Computer mit Zugang zum Internet gewährt werden kann. Zwar gibt es durchaus einzelne Pilotprojekte in diese Richtung – u. a. in Berlin, wo man von guten Ergebnissen berichtete –, aber in der Breite bleibt den Häftlingen der Zugang zum World Wide Web stets verwehrt.
Der Mann, der den Beschluss erstritt, ist seit 2013 aufgrund eine Strafurteils des Landgerichts (LG) Dresden aus dem Jahr 2007 in der Sicherungsverwahrung der JVA Bautzen untergebracht. Die Sicherungsverwahrung ist – obwohl ebenfalls in einer JVA vollzogen –nicht vergleichbar mit der Strafhaft: Sie hat keinen Sanktionscharakter, sondern ist eine präventive Maßnahme, um die Gesellschaft vor Tätern zu schützen, die ihre Strafe zwar abgesessen haben, aber nach wie vor eine Gefahr darstellen.
Der Insasse wollte sich für den Fall seiner Freilassung auf eine berufliche Tätigkeit im Bereich Programmierung/IT-Sicherheit vorbereiten und bildete sich dazu in Eigenregie weiter. Dazu hatte man ihm auch einen Computer zur Verfügung gestellt, aber eben keinen Internetanschluss. Ohne einen solchen aber, fand er, könne er sich nicht adäquat weiterbilden. Es sei in mehreren Bereichen dieser Branche – u.a. Webentwicklung, IT-Sicherheit, Spieleprogrammierung, Anwendersoftware – ohne Internet nicht mehr möglich, auf einen für den Arbeitsmarkt relevanten Stand zu kommen. Benötigte Programme und Bibliotheken stünden etwa nur online zur Verfügung. Ferner benötige er Internet zur SSL-Programmierung und für einen vernünftigen Austausch über spezielle Foren. Es genüge aber, den begehrten Internetzugang nur für spezielle Seiten und Foren freizugeben.
Gerichte verweisen auf Justizministerium
Sowohl JVA als auch das sächsische Justizministerium verweigerten dem Mann allerdings die Genehmigung eines solch beschränkten Internetzugangs. Sie boten ihm lediglich an, Zugang zu einem E-Learning-Angebot und zu einzelnen, bestimmten Internetseiten zu verschaffen, nicht aber Zugang zu Foren o. ä. Diskussionsplattformen im Internet für den fachlichen Austausch.
Auf seine Klage hin entschied das LG Görlitz, das Zugestehen eines Internetzugangs könne nur durch das Justizministerium und nur einheitlich für alle JVA erfolgen. Eine Einzelgenehmigung sei indes unzulässig. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde verwarf das Oberlandesgericht Dresden.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Mann daraufhin eine Verletzung seines Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz sowie der Lehr-, Informations- und Berufsfreiheit, des Diskriminierungsverbotes, des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Verbots der Doppelbestrafung.
VerfGH: Keine pauschale Absage, Abwägung nötig
Der VerfGH stellte in seiner Entscheidung eine Verletzung des Grundrechts des Mannes auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 38 Satz 1 i.V.m. Art. 78 Abs. 3 Satz 1 der Sächsischen Verfassung (SächsVerf) i.V.m. seinem Grundrecht auf Informationsfreiheit (Art. 20 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SächsVerf) fest.
Grund dafür war in den Augen der Verfassungsrichter, dass die Vorinstanzen nicht genügend Sachverhaltsaufklärung betrieben hätten, um zu bestimmen, ob dem Mann tatsächlich kein Anspruch auf einen (beschränkten) Internetzugang zustehe. Das dürfe nämlich nicht einfach pauschal ausgeschlossen werden.
Zwar könne das Grundrecht auf Informationsfreiheit, welches auch den Zugang zu Massenkommunikationsmitteln wie dem Internet einschließe, im Strafvollzug aus Sicherheitsgründen durchaus beschränkt werden. Die Sicherungsverwahrung sei aber auch therapiegerichtet und freiheitsorientiert auszugestalten. Dies entspreche den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), wonach die Sicherungsverwahrung in deutlichem Abstand zum Strafvollzug auszugestalten sei und das Leben dort den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst werden müsse, soweit Sicherheitsbelange dem nicht entgegenstünden (BVerfG, Urt. v. 04.05.2011Az. 2 BvR 2365/09 u. w). Insofern müsse umfassend zwischen dem Sicherheitsinteresse und dem Resozialisierungsbedürfnis abgewogen werden, so die sächsischen Verfassungsrichter.
EGMR-Rechtsprechung gibt Marschroute vor
Dabei nahmen sie auch Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der in einem Urteil aus 2016 (Kalda/Estland, Urt. v. 19.01.2016, Beschw.-Nr. 17429/10) die überragende Bedeutung eines Internetzugangs im modernen Leben betont und festgestellt hatte, dass die Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht einfach unter Verweis auf eine allgemeine gesetzliche Bestimmung Gefängnisinsassen die Internetnutzung verweigern dürfen, ohne auf die Umstände des Einzelfalls Rücksicht zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund äußerte der VerfGH nun Zweifel daran, dass die gesetzliche Regelung in Sachsen, die Gefangenen grundsätzlich keinen Anspruch auf eine "generelle Zulassung des Internets" zugesteht, dem Angleichungsgebot von Strafvollzug und Leben in Freiheit noch angemessen Rechnung trägt.
Darauf komme es aber im Ergebnis nicht an, da das Landgericht schon aufgrund der bestehenden Gesetzeslage nicht hinreichend überprüft habe, ob dem Insassen ein solcher Zugang zustehe. Der bloße Verweis auf die Zuständigkeit des Justizministeriums genüge nicht, da "bei der Anwendung und Auslegung der Bestimmungen der Strafvollzugsgesetze das Gewicht des Grundrechts auf Informationsfreiheit zu berücksichtigen ist", heißt es im Beschluss.
Entsprechend, so der VerfGH Sachsen, hätte man umfassend prüfen müssen, ob die Belange des Häftlings in diesem Fall nicht die Sicherheitsbedenken überwiegen könnten. Der Mann habe schließlich gar keinen uneingeschränkten Internetzugang gefordert, sondern lediglich einen weiterreichenden Zugang als ihm letztlich gewährt wurde. Das Landgericht hätte diesem Anliegen Rechnung tragen müssen ebenso wie der Tatsache, dass Sicherungsverwahrten durchaus ein beschränkter Online-Zugang (bspw. für die E-Learning-Plattform) eingeräumt werde.
Die Prüfung der übrigen noch gerügten Grundrechtsverletzungen ließ der Gerichtshof schließlich aus, da bereits eine Verletzung festgestellt war. Die vorinstanzlichen Entscheidungen sind damit aufgehoben, der VerfGH verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das LG zurück.
Geltung auch für Strafgefangene?
Was bedeutet diese Entscheidung nun für den Straf- und Maßregelvollzug? Der Leipziger Strafverteidiger Stefan Lorenz, der den Insassen in dem Fall vor dem VerfGH vertrat, ist der Ansicht, dass die Überlegungen der Richter genauso auch auf einen Strafgefangenen übertragen werden könnten: "In diesem Fall war es vielleicht einfacher zu begründen, weil es sich um Sicherungsverwahrten handelt, dem mit noch mehr Großzügigkeit begegnet werden muss, als einem Strafgefangenen", so Lorenz im Gespräch mit LTO. Erstere genössen so z. B. größere Zellen und auch Telefone.
Der Weg aber, den der VerfGH beschritt, sei auch für die Strafhäftlinge passend: "Die ganzen Gedanken, die dahinterstecken, zum Thema Resozialisierung, auch dass sich jemand weiterbilden muss, die würden sicherlich auch andere betreffen", so Lorenz. Er sehe da "keinen Grund für eine Differenzierung".
Ob nun noch mehr Bundesländer ins Grübeln kommen ob pauschaler Internetverbote lässt sich noch nicht sagen. Doch Lorenz sieht die Möglichkeit, dass nun ein neuer Zeitgeist in die JVA Einzug halten könnte. "An den entscheidenden Stellen", meint er aber, sei man bislang noch nicht aufgeschlossen genug für das Thema.
VerfGH Sachsen untersagt pauschales Internetverbot: . In: Legal Tribune Online, 08.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36355 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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