Vertrauensschutz im Tarifrecht: Ver­trau­en ist wertlos, Kon­trol­le ist Pflicht?

2/2: Schlussfolgerungen im Beschluss fragwürdig

Es ist richtig, dass zur Tariffähigkeit der CGZP zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen keine höchstrichterliche Rechtsprechung existierte, die Vertrauensschutz hätte vermitteln können. Zur Tariffähigkeit von Spitzenorganisationen, also zu Zusammenschlüssen von Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern, existierte aber durchaus schon Rechtsprechung des BAG (Beschl. v. 22.03.2000, Az. 4 ABR 79/98).

Das BAG argumentierte allerdings in seinen angegriffenen Beschlüssen aus 2012 und im grundlegenden CGZP-Beschluss (v. 14.12.2010, Az. 1 ABR 19/10) mit dem Begriff der Volldelegation. Damit ist gemeint, dass die Gewerkschaft ihre Tarifmacht, also ihr Recht, gemeinsam mit Arbeitgebervereinigungen unabhängig von staatlicher Einflussnahme die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln, vollständig auf die Spitzenorganisation übertragen und sich damit ihre Zuständigkeit zum Abschluss von Tarifverträgen decken muss.

Dieses Erfordernis einer Volldelegation als Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation findet sich im Beschluss aus 2000 aber nicht und war auch sonst in Rechtsprechung und Literatur zuvor nie diskutiert worden. Darauf hatten die Zeitarbeitsfirmen als Beschwerdeführerinnen zu Recht hingewiesen.

Die weitere Begründung des BVerfG, es hätten von Anfang an "erhebliche Zweifel" an der Tariffähigkeit bestanden, wird mit Fundstellen aus der Literatur belegt. Genannt werden etwa zwei Aufsätze aus 2003 und 2005. Unerwähnt bleibt in dem Beschluss des BVerfG hingegen, dass das BAG bereits 2006 die Tariffähigkeit der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM), der wichtigsten Mitgliedsgewerkschaft der CGZP, bestätigt hatte (Urt. v. 28.03.2006, Az. 1 ABR 58/04).

Lösung liegt im Sozialversicherungsrecht

Noch nicht beantwortet ist die Frage nach dem Vertrauensschutz im Einzelfall im Beitragsrecht der Sozialversicherung, also nach sozialrechtlichem Vertrauensschutz. Wenn die Tarifverträge der CGZP von Anfang an unwirksam waren, haben die Zeitarbeitsunternehmen den Leiharbeitnehmern Equal Pay geschuldet, also die Vergütung, die vergleichbare Stammarbeitnehmer bekommen.

Hierauf wären entsprechend höhere Sozialversicherungsbeiträge abzuführen, sodass die betroffenen Leiharbeitnehmer auf höhere Sozialversicherungsansprüche hoffen konnten. Die Träger der Rentenversicherung haben inzwischen zahlreiche Sonderprüfungen bei Zeitarbeitsunternehmen durchgeführt. Am 31. August 2014 waren bereits mehr als 2.000 Bescheide mit Nachforderungen von insgesamt rund 220 Mio. Euro ergangen (vgl. im Einzelnen Antwort der Bundesregierung vom 10.10.2014, BT-Drs. 18/2835).

Soweit die Sozialversicherungsträger aber für die Prüfungszeiträume vor dem grundlegenden CGZP-Beschluss des BAG Ende 2010 eine Betriebsprüfung durchgeführt haben und der entsprechende Prüfbescheid bestandkräftig geworden ist, dürften Nachforderungen für diese Prüfzeiträume der besondere Vertrauensschutz nach § 45 Sozialgesetzbuch (SGB) X entgegenstehen.

Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte die erbrachten Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Der Begünstigte kann sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bescheids nach § 45 SGB X werden in der Regel nicht vorliegen. Man wird vor allem keine grobe Fahrlässigkeit annehmen können, die schutzwürdiges Vertrauen ausschließt, wenn und weil die Sozialversicherungsträger die Beitragsabführung in der Vergangenheit zum einen nicht beanstandet haben, zum anderen jedenfalls bis Ende 2010 höchstrichterliche Rechtsprechung fehlte, die zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führt.
Uneinheitliche Rechtsprechung

Zwar enthalten die Beitragsbescheide standardmäßig einen Hinweis auf die CGZP-Problematik. Die dort zu findende Formulierung dürfte jedoch nicht den Anforderungen genügen, die an die Bestimmtheit eines Vorbehalts in Beitragsbescheiden gestellt werden.

Die Einzelheiten sind aber noch umstritten und die Sozialgerichte entscheiden derzeit ganz unterschiedlich. Möglicherweise werden hier wichtige Punkte bald geklärt: Vor dem Bundessozialgericht (BSG) ist eine Sprungrevision anhängig (Az. B 12 R 11/14 R, Vorinstanz: SG Hannover, Az. S 14 R 649/12), in der unter anderem die Rechtsfragen zu klären sind, ob rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot oder andere vertrauensschützende Tatbestände den Beitragsnachforderungen der Deutschen Rentenversicherung entgegenstehen.

Betroffenen Zeitarbeitsunternehmen bleibt daher die Hoffnung, dass im Einzelfall im sozialgerichtlichen Verfahren die entsprechenden Nachforderungsbescheide keinen Bestand haben, vor allem, wenn der besondere Vertrauensschutz des § 45 SGB X greift.

Der Autor Dr. André Zimmermann, LL.M. ist Counsel und Fachanwalt für Arbeitsrecht im Frankfurter Büro von King & Wood Mallesons LLP. Er verfügt über besondere Erfahrung bei der Beratung von Unternehmen zum Fremdpersonaleinsatz, vor allem im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung.

Zitiervorschlag

André Zimmermann, Vertrauensschutz im Tarifrecht: . In: Legal Tribune Online, 02.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15731 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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