Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde einer rückwirkend für tarifunfähig erklärten Gewerkschaft nicht zur Entscheidung angenommen. Damit überspannt es die Anforderungen an den Vertrauensschutz, meint André Zimmermann.
Ganze 18 Zeitarbeitsfirmen hatten Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie richteten sich gegen zwei Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und einen Beschluss des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg. Die Gerichte hatten entschieden, dass die Christlichen Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) nicht tariffähig sind (BAG, Beschl. v. 23.05.2012, Az. 1 AZB 58/11 und Beschl. v. 02.05.2012, Az. 1 ABN 27/12; LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 09.01.2012, Az. 24 TaBV 1285/11 u. a.). Diese Entscheidung gelte sogar rückwirkend, urteilten die höchsten Arbeitsrichter.
Die Gewerkschaften sahen in der Rechtsprechung des BAG und des LAG Berlin-Brandenburg einen Verstoß gegen die in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verankerten Gebote des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat diese Beschwerden durch unlängst veröffentlichten Beschluss (v. 25.04.2015, Az. 1 BvR 2314/12) allerdings nicht einmal zur Entscheidung angenommen. Die besonderen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise auch eine Änderung der Rechtsprechung – und nicht nur des Gesetzes – den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutz verletzen könne, liegen nach Ansicht des Gerichts nicht vor. Die Zeitarbeitsunternehmen konnten auch nicht auf höchstrichterliche Rechtsprechung vertrauen, denn eine solche habe zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen gar nicht existiert.
Das BAG habe die Tarifunfähigkeit der CGZP erstmals Ende 2010 festgestellt (Beschl. v. 14.12.2010, Az. 1 ABR 19/10). Diese Feststellung habe nicht dem entsprochen, was die Beschwerdeführerinnen für richtig hielten – und auch nicht dem, was sie erwartet hatten. Diese bloße Erwartung aber, ein oberstes Bundesgericht werde eine ungeklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne beantworten, begründe kein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen.
BVerfG: Zweifel an Tariffähigkeit bestanden von Anfang an
An der Tariffähigkeit der CGZP hätten von Anfang an erhebliche Zweifel bestanden, so jetzt die Karlsruher Richter. Gleichwohl hätten die Beschwerdeführerinnen die Tarifverträge der CGZP angewendet und seien damit in den Genuss besonders niedriger Vergütungssätze gekommen. Mit der angegriffenen Entscheidung habe sich das erkennbare Risiko realisiert, dass später die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt werden könnte. Allein der Umstand, dass die genaue Begründung des BAG für diese Entscheidung nicht ohne Weiteres vorhersehbar war, begründe keinen verfassungsrechtlich zu berücksichtigenden Vertrauensschutz.
Ein schutzwürdiges Vertrauen der Beschwerdeführerinnen in die Wirksamkeit der Tarifverträge lasse sich auch nicht mit dem Verhalten der Sozialversicherungsträger und der Agentur für Arbeit begründen. Denn die Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung obliege allein den Gerichten für Arbeitssachen.
André Zimmermann, Vertrauensschutz im Tarifrecht: . In: Legal Tribune Online, 02.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15731 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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