Der BGH muss sich im Fall des OLG-Richters Schulte-Kellinghaus auch mit grundsätzlichen Fragen zur Arbeitsweise der Justiz befassen. Bisher gibt es wenig empirische Studien, die zeigen, was tatsächlich zu immer längeren Verfahren führt.
Seit Jahren nimmt die durchschnittliche Verfahrenslänge im deutschen Zivilprozess trotz sinkender Klageeingänge zu. Wie aus den Berliner Tabellen für die ordentliche Gerichtsbarkeit hervorgeht, gibt es gleichzeitig erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern.
Überraschend ist, dass generell nur wenig darüber bekannt ist, von welchen Faktoren das Entscheidungstempo der Justiz eigentlich abhängt. Der hauptsächliche Grund hierfür liegt darin, dass es aus Datenschutzgründen kaum geeignete Datensätze gibt, die eine systematische Erforschung der Einflussgrößen der Verfahrenslänge erlauben würde.
Die wenigen vorliegenden Studien untersuchen zumeist Unterschiede in der Verfahrenslänge im internationalen Vergleich oder auf der Ebene unterschiedlicher Gerichte. Sie kommen dabei zu dem Ergebnis, dass z.B. die Ausstattung der Gerichte, die Existenz von Bearbeitungsrückständen aus den Vorjahren sowie die Erfahrung und Ausbildung der Richterschaft wesentliche Einflussfaktoren der Erledigungsquote und der Dauer von Gerichtsverfahren sind.
Aufgrund der schlechten Datenverfügbarkeit gibt es hingegen bisher kaum Untersuchungen auf Richter- oder gar Fallebene, obwohl zu erwarten ist, dass gerade die Fähigkeiten des befassten Richters und die spezifischen Eigenschaften des zu entscheidenden Falls einen großen Einfluss auf die Verfahrenslänge haben sollten.
Hamburger Studie: Wann dauert ein Streitfall länger?
Im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg und der Leibniz-Fachhochschule Hannover in Kooperation mit dem Amtsgericht (AG) Hamburg-Wandsbek wurden knapp 600 Urteile aus Zivilverfahren eines Jahrganges jüngst systematisch ausgewertet. Das betrachtete Amtsgericht ist ein typisches Stadtteilgericht, und lag in seiner durchschnittlichen Verfahrensdauer nur leicht unter dem Bundesdurchschnitt. Neben der jeweiligen Verfahrensdauer wurden auch charakteristische Eigenschaften des jeweiligen Falles, wie Streitwert oder anwaltliche Vertretung, sowie prozessuale Besonderheiten, wie Durchführung einer mündlichen Verhandlung und verschiedene Merkmale der richterlichen Urteilsbegründung erfasst.
Es wurde dann mit statistischen Methoden untersucht, welche der erhobenen Falleigenschaften tatsächlich einen systematischen Einfluss auf die Verfahrensdauer haben, wobei der Einfluss der übrigen Einflussfaktoren jeweils bereits berücksichtigt wird. Das Entscheidungstempo wird dabei sowohl vom Richter, den beteiligten Parteien als auch durch die Eigenschaften des jeweiligen Falls beeinflusst.
Zunächst einmal ist zu beobachten, dass Verfahren, in denen sich die beteiligten Parteien anwaltlich vertreten lassen, in etwa je einen Monat länger dauern. Dieser Effekt ist nicht allein darauf zurück zu führen, dass in komplizierten Prozessen generell eher ein Anwalt hinzugezogen wird und es insofern eher die Fallkomplexität ist, die die Verfahrensgeschwindigkeit beeinflusst. Die Einbeziehung eines Anwalts ist naturgemäß mit diversen Abstimmungsgesprächen zwischen Anwalt und Mandant und zeitintensiven Rückfragen während des Prozesses verbunden. Auch werden Privatpersonen, welche keinen Anwalt hinzuziehen, sich vor Gericht oft anders verhalten und insbesondere weniger Parteienanträge stellen. Letztlich müssen auch die Interessen des Mandanten und des Anwalts nicht immer völlig deckungsgleich sein.
Die Streitparteien tragen auch selbst durch die Zahl und Länge der bei Gericht eingereichten Schriftsätze erheblich zur Länge des Verfahrens bei, ohne dass dies immer mit einer Steigerung der Durchsetzung der eigenen Ansprüche verbunden ist. Je umfangreicher der Parteivortrag ist, desto länger dauert das Verfahren – hundert zusätzliche Seiten führen im Schnitt zu einer Verlängerung von 2,7 Monaten. Hingegen werden Verfahren von klagenden Unternehmen erkennbar schneller entschieden (etwa einen Monat), wobei dies in einer besseren Prozessvorbereitung, mehr Prozesserfahrung oder auch einer rationaleren Entscheidung über die Klageerhebung begründet sein mag.
Für die Prozesslänge ist weiterhin bedeutsam, ob es zu einer mündlichen Verhandlung kommt. Auch wenn dies abseits von Bagatellverfahren dem klaren Wunsch des Gesetzgebers entspricht, und zumindest eine mündliche Verhandlung nachweislich die Vergleichswahrscheinlichkeit im Prozess begünstigt, so verzögert doch die Terminfindung, die Vor- und Nachbereitung sowie das Warten auf den Termin selbst letztlich den Prozess – im Schnitt um 1,2 Monate.
Verfahrensdauer im Zivilprozess: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24345 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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