Wie wird es mit einem der zentralen Projekte des Wirtschaftsstrafrechts nach der Wahl weitergehen? Die Unternehmenssanktionen müssen wieder auf die Agenda, aber mit neuen Ideen, meinen Matthias Jahn und Charlotte Schmitt-Leonardy.
Den Bundestagswahlkampf mögen derzeit andere wirtschaftsstrafrechtliche Stichworte bestimmen – Wirecard, Cum-Ex-Geschäfte und die Durchsuchungen im Finanz- und Justizministerium im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen die Geldwäsche-Zentralstelle des Zolls. Aber sobald die Koalitionsverhandlungen beginnen, gehört das Thema Unternehmenssanktionen wieder auf die Agenda.
Obwohl detaillierte Pläne bereits im Koalitionsvertrag standen, ist das Gesetzgebungsverfahren für ein Verbandssanktionengesetz in der ablaufenden Wahlperiode gescheitert. Wenn das Projekt nach dem 26. September wieder an Fahrt aufnimmt, dann ist es vermutlich am besten beschrieben mit der tinglishen Redewendung "same same but different" – halb Englisch und halb Thailändisch steht sie für "absolut gleich und doch ganz anders".
Sieben Jahrzehnte "mehr desselben"
Die Einführung eines echten Unternehmensstrafrechts in Deutschland steht seit nahezu sieben Jahrzehnten fast durchgehend auf der Tagesordnung der Rechtspolitik. Das im Wesentlichen einzige strafrechtsnahe Steuerungsinstrument gegenüber Unternehmen findet sich im Ordnungswidrigkeitenrecht: Die Geldbuße nach § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG).
Die Norm ist seit mehr als einem halben Jahrhundert in der Praxis als selbstständige Unternehmenssanktion ebenso etabliert wie inhaltlich umstritten. Bis auf Weiteres übernimmt sie faktisch die Funktion der Unternehmensstrafe. Leisten muss sie das mittels eines überschaubaren Bußgeldrahmens von maximal zehn Millionen Euro. Flankiert wird das Bußgeld von einem defizitären Verfahrensrecht, in dem eine Verteidigung im Rechtssinne für das Unternehmen kaum möglich ist. Die Einordnung in eine Sanktions- und Verfahrensspur, die typischerweise Bagatellunrecht wie den alltäglichen Straßenverkehrsverstoß zum Gegenstand hat, ist aus der Zeit gefallen.
Doch die Reformstrategie des Gesetzgebers war bislang vor allem eines: "same same". Seit 2013 wurde – zunächst in Nordrhein-Westfalen und dann auf Bundesebene – in den Entwürfen strukturkonservativ entlang des Rechtsträgerprinzips des § 30 OWiG gedacht. Der gesetzgeberische Ansatz bestand darin, neue Etiketten auf ein altes Behelfsmodell zu kleben, also dem Unternehmen Leitungsversagen weiterhin als eigenes zuzurechnen und das Konzept durch den Import der US-amerikanischen internal investigations vordergründig zu "modernisieren".
Die Kritik aus Wissenschaft und Praxis blieb differenziert und laut. Selbst der Rebranding-Versuch im Jahr 2019, aus dem "Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität" das "Gesetz zur Steigerung der Integrität der Wirtschaft" zu machen, half nichts. Der Kern dieses Gesetzes – die Verbandssanktionen – waren stets identisch geblieben. Die Probleme und offenen Fragen auch.
Das, dessen Name nicht genannt werden darf
Es ist ein berechtigtes Anliegen, Unternehmenskriminalität effizient(er) als bisher zu adressieren. Rationale Gründe sprechen nicht dafür, dass allein Individuen die kriminalstrafrechtlichen Risiken der Unternehmenstätigkeit tragen sollen. Klar ist aber auch: Ein Unternehmens-Kriminalstrafrecht wird sich nie optimal in das System des deutschen Strafrechts einpassen können, auch wenn es das Grundgesetz nicht verbietet. Das Unternehmen kann nicht vollständig als Strafrechtsperson analogisiert werden. Die kriminalpolitische Rechnung kann nicht dadurch aufgehen, dass man um die Grundfragen herumlaviert und den Begriff "Strafrecht" in Regierungsentwürfen behandelt wie den Namen des schrecklichen schwarzen Magiers in der bekannten Kinder- und Jugendbuchreihe.
Warum sollte es nun in der 20. Wahlperiode same same, aber dennoch different weitergehen? Der Gesetzentwurf fällt in diesen Tagen rechtstechnisch erst einmal unrettbar der Diskontinuität anheim. Dafür, dass es nach einer Regierungsbildung im Rechtsausschuss des Bundestages einfach wieder aufgerufen wird, spricht fast nichts. Für eine Weiterführung in modifizierter Form sprechen aber die Parteiwahlprogramme aussichtsreicher potenzieller Koalitionäre, die veröffentlichten Wahlprüfsteine einflussreicher Organisationen, personelle Kontinuitäten auf der Arbeitsebene im Justizministerium und das vermutliche Abflauen der durch die Corona-Pandemie bedingten Krisensituation für die deutsche Wirtschaft.
Die Länder haben zudem im Bundesrat 17 Punkte aufgegriffen, die die künftigen Koalitionäre eingehend prüfen sollten. Die Einwendungen der Länderkammer bezogen sich auf fehlende Differenzierungsgrade mit Blick auf die Verantwortungszurechnung und das Verfahrensrecht sowie überzogene Erwartungen an kleinere und mittlere Unternehmen (KMU). Diese kritische Rückmeldung wurde im Januar 2021 durch einen offenen Brief der Justizministerinnen und Justizminister der CDU bzw. CSU-geführten Länder sekundiert, in dem in bemerkenswerter Klarheit die Rücknahme des Regierungsentwurfs "zugunsten einer sorgfältigen und unter ernst gemeinter Beteiligung der Länder und anderer Interessensträger zu erarbeitenden Alternative" eingefordert wurde.
Die kompromissbereite Gegenäußerung der Bundesregierung ging im Getümmel des heraufziehenden Bundestagswahlkampfs unter. Das VerSanG dürfte damit trotz seines politischen Scheiterns ein wichtiger Fixpunkt der Diskussion um konkrete Konzepte und Lösungsmodelle bleiben. Aber es geht besser. Nach der Entscheidung über das "Ob" im Koalitionsvertrag sollte der Gesetzgeber für das "Wie" der Verbandssanktionierung eine Expertenkommission einsetzen und das Konzept gründlich neu überdenken.
Klarer, konziser, kooperativer und kompetenter
Dafür gibt es gleich mehrere Anknüpfungspunkte. In erster Linie muss die Steuerungsstrategie des Gesetzgebers klarer werden. Die Einführung eines enormen Sanktionsrahmens von bis zehn Prozent des weltweiten Umsatzes spricht für plakative generalpräventive Abschreckung. Sie wird jedoch durch die tatsächliche Ausrichtung des Gesetzes auf spezialpräventive Einstellungen gegen Auflagen und Weisungen dementiert. Das ist erratisch. Die angestrebte Flexibilität wäre über ein gebundenes Verfolgungsermessen von Staatsanwälten mit klar vorgegebenen Leitlinien der Ermessensausübung deutlich besser zu erreichen als mit einem nur symbolisch wirkenden Legalitätsprinzip als Drohkulisse.
Auch Überlegungen zu den im Individualstrafrecht immer noch überwiegend abgelehnten Strafzumessungsrichtlinien (sentencing guidelines) liegen nicht fern, denn eine Vereinheitlichung der Zumessungspraxis in der bislang disparaten föderalen Verfolgungspraxis wird von vielen Seiten gefordert. Vor allem ist eine Klärung der maßgeblichen Parameter der Strafmilderung geboten. Solange der Wert von etablierten oder nachgebesserten Compliance-Management-Systemen noch nicht bestimmbar ist, besteht Konkretisierungsbedarf. Dabei kann nicht der Leitlinie one size fits all gefolgt werden, da es "das" richtige System nicht gibt. Es geht um kontextspezifische Risiken, sodass über den Mechanismus eines Public-Private-Partnership durch öffentliche "Regulatoren" und Unternehmen sektorbezogene Standards generiert werden sollten.
Bislang vertraut das VerSanG-Konzept darauf, ein Strafgericht könne kontrollieren, dass der Verband die getroffenen Vorkehrungen durch Bescheinigung einer "sachkundigen Stelle" nachweist. Nicht zuletzt mit Blick auf das naheliegende Konfliktpotential darüber, ob eine Weisung zur Unternehmensführung ausreichend umgesetzt wurde, sollte hier auf justizexterne Kompetenz schon beim Design der compliance-Weisung gesetzt werden, wie es z.B. nach dem Kreditwesengesetz (KWG) schon heute der Fall ist. So hat die BaFin gem. § 45c KWG die Befugnis, einen unabhängigen und fachlich besonders geeigneten Sonderbeauftragten zu bestellen, der beratend oder sogar punktuell geschäftsführend tätig wird.
Sofern das Unternehmen in der Anfangsphase der Ermittlungen nicht erst herausfinden darf, was Sache ist und keine echte Wahl hat, ob es kooperieren oder sich verteidigen will, sprechen wir weniger von einem Straf-Verfahren als von Machtausübung durch den Staat. Die Anforderungen in der Begründung des bisherigen Regierungsentwurfs an eine strafmildernde „ununterbrochene und uneingeschränkte“ Kooperation des Verbands sind bislang unzureichend vage und können dem Missverständnis Vorschub leisten, Kooperation sei mit Kapitulation gleichzusetzen.
Ein neuer Adressat für ein Parastrafrecht
Bevor die Koalitionäre dem Impuls nach einem "mehr desselben" nachgeben, sollte man sich vergegenwärtigen: Es geht um nichts weniger als darum, einen neuen Strafrechtsadressaten einzuführen. Die pauschale Zurechnung von defizitärer Leitung als Unternehmensversagen reicht dafür in einem von uns dafür vorgeschlagenen parastrafrechtlichen Modell nicht aus. Der Umstand, dass das Unternehmen von einer Individualität profitiert, legitimiert einen Haftungszusammenhang und den Entzug des Vorteils, aber keine Kriminalstrafe. Deshalb sollte der Gesetzgeber neu denken, Feedback ernst nehmen und Expertinnen und Experten eng einbinden.
Prof. Dr. Matthias Jahn ist Direktor des Instituts für das Gesamte Wirtschaftsstrafrecht (IGW) der Goethe-Universität und im Nebenamt Richter am OLG Frankfurt, Prof. Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy ist Inhaberin der Juniorprofessur für Strafrecht, Strafprozessrecht und interdisziplinäre Rechtsforschung an der Universität Bielefeld. Eine ausführliche Fassung dieses Beitrags erscheint in wenigen Tagen im Septemberheft der Fachzeitschrift DER KONZERN (Handelsblatt Fachmediengruppe).
Unternehmenssanktionen in der nächsten Legislaturperiode: . In: Legal Tribune Online, 15.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46021 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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