Die frühere Landesregierung von Baden-Württemberg hat bei dem Einstieg beim Energieversorger EnBW den Landtag übergangen und die Verfassung verletzt, entschied am Donnerstag der Staatsgerichtshof in Stuttgart. Das Urteil ist nicht nur ein Rüffel für die beteiligten Politiker. Es spricht vielmehr einiges dafür, dass der Aktienkaufvertrag nichtig ist, meint Johanna Wolff.
Verfassungsbruch - das haben der ehemalige Ministerpräsident Stefan Mappus und die übrige frühere Regierung von Baden-Württemberg nun schwarz auf weiß: Sie haben das Budgetrecht des Landtags verletzt, indem sie beim Erwerb von EnBW-Aktien im Namen des Landes eine Garantie für den Kaufpreis abgegeben haben, ohne das Parlament zu befassen. Die Notbewilligung, die der damalige Finanzminister erteilt hatte, war rechtswidrig.
Verfassungsrechtlich ist die Welt nach diesem klaren Urteil wieder in Ordnung. Die Rechte des Landtags wurden gestärkt. Die Bedeutung des parlamentarischen Budgetrechts wurde konkretisiert. In Zukunft wird sich jede Regierung gründlich überlegen, ob Raum für die Ausübung des in der Landesverfassung vorgesehenen Notbewilligungsrechts besteht.
Nichtig, weil sittenwidrig? Das kann man sich nicht aussuchen
Doch der Fall EnBW hat auch eine vertragsrechtliche Dimension. Denn die Regierung hat das Land – wie jetzt feststeht, in verfassungswidriger Weise – zur Garantie eines Kaufpreises in Höhe von 4,7 Milliarden Euro verpflichtet.
Es fragt sich daher, ob das Urteil mehr ist als eine "Ohrfeige für Mappus" (FAZ). Zwar hat die neue grün-rote Mehrheit in Stuttgart angekündigt, die Verträge nicht rückabwickeln zu wollen. Sie könnten aber nichtig sein. Den Eintritt dieser Rechtsfolge der §§ 134 oder 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) kann man sich nicht aussuchen.
Die Nichtigkeit bestünde von Anfang an (ex tunc) und wäre unheilbar. Auch die Verkäuferseite, das französische Unternehmen Electricité de France (EDF), könnte sich also eines Tages darauf berufen. Zurzeit ist das wegen des inzwischen eingetretenen Wertverlusts der Aktien unwahrscheinlich. Doch das kann sich ändern.
Wer wusste was – und die sichere Variante
Eine entsprechende Klage der EDF oder des Landes, für die ein ordentliches Gericht zuständig wäre, könnte durchaus Erfolg haben. So hat der Bundesgerichtshof (BGH) schon mehrfach entschieden, dass sittenwidrig im Sinne des § 138 BGB auch Geschäfte sein können, "die im Falle einer Beteiligung der öffentlichen Hand in krassem Widerspruch zum Gemeinwohl stehen". Das kann, so die Karlsruher Richter, etwa dann der Fall sein, wenn das öffentliche Haushaltsrecht missachtet wird. Bedingung wäre allerdings, dass alle am Geschäft Beteiligten die Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit begründen, kannten oder sich zumindest ihrer Kenntnis grob fahrlässig verschlossen haben.
Darüber, ob Landesregierung und EDF den Landtag bewusst umgangen haben, müsste Beweis erhoben werden. Verschiedene Zeitungen jedenfalls berichten, die Landesregierung sei von Beamten auf die Rechtslage hingewiesen worden. Die Verkäuferseite hat nach Angaben der Landesregierung nach dem Vertragschluss "einen Parlamentsvorbehalt strikt abgelehnt". Sollte diese Ablehnung des französischen Unternehmens der wahre Grund dafür gewesen sein, dass der Landtag nicht beteiligt wurde, wäre das Geschäft sittenwidrig.
Eine Nichtigkeitsprüfung und eine Prüfung der Beweisfragen sollten beide Vertragsparteien vornehmen. Wenn ein Vertrag dieser Dimensionen nichtig ist, birgt das große Risiken. Er sollte dann rückabgewickelt oder neu verhandelt werden.
Die Autorin Dr. Johanna Wolff, LL.M. ist Forschungsreferentin am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV) Speyer.
Urteil zum EnBW-Deal: . In: Legal Tribune Online, 07.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4497 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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