Eskalation im Thüringer Landtag: Ver­fas­sungs­ge­richtshof soll Hän­ge­partie in kon­sti­tu­ie­render Sit­zung beenden

26.09.2024

Der neue Thüringer Landtag trat zur konstituierenden Sitzung zusammen – und schaffte es trotz mehrerer Unterbrechungen und harter Debatte nicht, wie vorgesehen einen Landtagspräsidenten zu wählen, weil die AfD entscheidende Posten besetzt.

Ungefähr einen Monat nach der Landtagswahl in Thüringen trat der neue Landtag am Donnerstag zur konstituierenden Sitzung zusammen. Obwohl die Wahl des Parlamentspräsidenten im Vordergrund stehen sollte, wurde die Sitzung von Verfahrensfragen dominiert und mehrfach unterbrochen. In diesem Kontext hat die CDU-Fraktion den Verfassungsgerichtshof angerufen, um über die geltenden Wahlregeln entscheiden zu lassen, wie der parlamentarische Geschäftsführer der CDU Andreas Bühl erklärte.

Nach mehreren Unterbrechungen und verbalen Scharmützeln eskalierte es richtig, als sich Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) weigerte, die Beschlussfähigkeit des Parlaments festzustellen. Im Landtag ist der Alterspräsident in der Regel das älteste Mitglied. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die erste Sitzung des Landtags zu leiten, bis am ende der ersten Sitzung ein neuer Präsident gewählt ist. 

Daraufhin erhob Bühl schwere Vorwürfe und beschuldigte Treutler, eine "Machtergreifung" anzustreben und der Demokratie zu schaden. Treutler konterte mit zwei Ordnungsrufen gegen Bühl, was zur Unterbrechung der Sitzung führte. Auch die SPD-Abgeordnete Cornelia Klisch äußerte sich zu der Situation und bezeichnete das Verhalten des Alterspräsidenten als "Behinderung der parlamentarischen Arbeit". Die Verzögerungstaktiken könnten nicht verhindern, dass sich das Parlament ordnungsgemäß konstituiere, so Klisch.

Die Sache mit der Geschäftsordnung

Der Streit um die Geschäftsordnung ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die AfD als stärkste Fraktion das alleinige Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten beansprucht. Die anderen Fraktionen hingegen streben eine Änderung der Geschäftsordnung an, um zu ermöglichen, dass der Landtagspräsident "aus der Mitte des Parlaments" gewählt werden kann und bereits im ersten Wahlgang entsprechende Vorschläge gemacht werden. LTO hatte die möglichen Komplikationen, die am Donnerstag Realität wurden, bereits an dieser Stelle eingehend beleuchtet.

Bei der Landtagswahl am 1. September wurde die AfD erstmals in einem Bundesland zur stärksten Kraft und hätte damit nach der Regel das Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten. Allerdings signalisierten die anderen Fraktionen im Landtag in Erfurt, darunter CDU, BSW, SPD und Linke, frühzeitig, dass sie einen Kandidaten der AfD nicht wählen würden. CDU-Chef Mario Voigt betonte, dass der "Hüter der Verfassung" nicht von einer Partei gestellt werden sollte, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird.

Der Verfassungsgerichtshof als Ultima Ratio

Nach mehr als drei Stunden ergebnisloser Beratungen stellte Bühl im Parlament fest, dass Treutler mit seinem Verhalten mehrfach gegen die Verfassung verstoßen habe. Er warf ihm vor, nicht nur seine eigenen Rechte, sondern auch die der anderen Abgeordneten zu missachten. Bühl führte aus, dass sich gezeigt habe, dass "der Schutz der Verfassung durch den Alterspräsidenten nicht gewährleistet" sei. Daher sei es notwendig, den Verfassungsgerichtshof anzurufen, um eine Klärung des Sachverhalts herbeizuführen.

Treutler, der von den anderen Fraktionen heftig kritisiert wurde, vertagte die Sitzung daraufhin auf Samstag. CDU, SPD, BSW und Linke waren verärgert darüber, dass er nicht über die von ihnen geforderte Änderung der Geschäftsordnung abstimmen ließ. Treutler argumentierte, dass sich der Landtag zunächst konstituieren und ein neuer Landtagspräsident gewählt werden müsse, "was der Rechtsauffassung der AfD" entspreche.

Sperrminorität der AfD

Der Verlauf der ersten Sitzung gibt einen Ausblick auf die bevorstehende Wahl des Ministerpräsidenten. Die CDU als zweitstärkste Fraktion plant in der kommenden Woche Sondierungsgespräche für eine Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der SPD. Eine solche Konstellation, oft als Brombeer-Koalition bezeichnet, würde jedoch nur über 44 der 88 Sitze im Landtag verfügen und somit eine Stimme zur Mehrheit fehlen.

Die AfD, angeführt von Björn Höcke, erzielte bei der Landtagswahl ihr bislang bundesweit bestes Ergebnis mit 32,8 Prozent und hat damit im Landtag in Erfurt die sogenannte Sperrminorität, also mehr als ein Drittel der Stimmen im Landtag, die etwa bei der Wahl von Verfassungsrichtern von Bedeutung sein könnte. 

Seit 2021 wird die Thüringer AfD vom Landesverfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet.

xp/LTO-Redaktion

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Eskalation im Thüringer Landtag: . In: Legal Tribune Online, 26.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55513 (abgerufen am: 27.09.2024 )

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