Trotz Täuschung und Schulden: Keine EU ohne die Grie­chen

von Prof. Dr. Wolfgang Weiß

19.09.2011

Trotz aller Rettungspakete geht es Griechland schlechter denn je. Der Ausschluss des Landes aus dem Euroraum oder sogar der EU ist kein Tabuthema mehr. Ist das die Lösung? Wolfgang Weiß erklärt, warum es rechtlich trotz findiger Ideen kaum möglich ist, die Hellenen aus der Gemeinschaft zu jagen - und wieso dadurch auch nichts besser würde.

Die FDP fordert eine geordnete Insolvenz für Griechenland, die ersten Magazine starten schon Umfragen, ob das Land zur Drachme zurückkehren sollte. Die derzeitige Euro-Krise scheint die EU-Skeptiker zu bestätigen – selbst die Frage, ob die finanziellen Probleme durch Auschluss eines Mitgliedstaates aus der EU gelöst werden können, ist nicht länger ein Tabu.

Das EU-Recht kennt keinen Ausschluss aus der Union. Vorgesehen ist nur ein freiwilliger Austritt, der nicht weiter begründet werden muss. Auch wenn alle anderen Mitglieder das dringend wünschten und ein Staat sich noch so unbotmäßig verhielte: Gegen seinen Widerstand ist sein Austritt nicht zu bewerkstelligen.

Das EU-Recht sieht nur drei Sanktionen bei Regelverletzungen vor: Ein Mitgliedstaat kann vor dem Gerichtshof verklagt werden, was Zwangsgelder zur Folge haben kann. Im Kontext der Wirtschafts- und Währungsunion hat die Verletzung der Stabilitätskriterien spezifische Konsequenzen bis hin zu Bußgeldern. Selbst die schwerwiegende Gefährdung gemeinsamer Wertgrundlagen kann nur mit dem Entzug einzelner Mitgliedschaftsrechte geahndet werden, nicht aber mit dem Ausschluss aus der Union.

Auch das allgemeine Völkerrecht hilft im Ergebnis nicht weiter auf der Suche nach einer Möglichkeit, die Griechen auszuschließen. Zwar ist die Errichtung der EU ein völkerrechtlicher Vertrag, so dass man auf die allgemeineren Regeln zurückgreifen könnte, um eine solche Vereinbarung zu beenden. Die Europäische Gerichtsbarkeit aber betont immer wieder die Eigenständigkeit des EU-Rechts, so dass die Anwendbarkeit allgemeiner völkerrechtlicher Regeln sehr zweifelhaft ist. Dagegen spricht auch, dass das EU-Recht nun einmal die Folgen seiner Verletzung recht spezifisch regelt.

Rauswurf der Griechen aus dem Euro wegen schwerer Stabilitätsverletzungen?

Aber es ist durchaus mehr als ein Gedankenspiel, auf das allgemeine Völkerrecht zurückzugreifen. So könnte man argumentieren, die im EU-Vertrag vorgesehenen Wege reichten nicht aus, wenn ein Staat andauernd gegen die Spielregeln verstößt oder sich als grundsätzlichen uneinsichtig erweist, wenn es um die Notwendigkeit von deren Beachtung geht.

Auch dann aber würde ein Ausschluss etwa der hellenischen Republik aus der EU jedenfalls einen erheblichen Verstoß gegen den EU-Vertrag voraussetzen, was wiederum die Verletzung einer Bestimmung erfordert, die für die Erreichung des Vertragsziels oder –zwecks wesentlich ist. Der nahe liegende Vorwurf: Durch sein Verhalten hat Griechenland den Euro gefährdet.

Doch ist der Euro für die EU wirklich wesentlich angesichts des Umstands, dass gut ein Drittel der EU-Mitglieder, darunter auch große Staaten, die gemeinsame Währung gar nicht erst eingeführt haben? Diese Frage verschiebt die Problematik auf eine andere Ebene: Im Fall Griechenland ist weniger der Hinauswurf aus der EU insgesamt relevant, sondern nur der Ausschluss aus dem Euro.

Technisch gesehen ist die Teilnahme Griechenlands am Euro nur die Teilhabe an der letzten, besonders intensiven Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion. Daher könnte man erwägen, die Regeln des allgemeinen Völkerrechts zumindest für eine Beendigung der Euro-Teilnahme Griechenlands heranzuziehen. Nur für die Währung fände das EU-Recht im Verhältnis zu Griechenland dann keine Anwendung mehr.

Kein Völkerrecht ohne Ausschöpfung des EU-Rechts

Griechenland hat den Euro gefährdet, und damit den zentralen Inhalt der letzten Stufe der Währungsunion. Die dafür wesentlichen Vertragsziele der finanzwirtschaftlichen Stabilität hat das Land fortgesetzt erheblich missachtet. Das wäre nach allgemeinem Völkerrecht ein guter Grund, das Vertragsverhältnis mit den Hellenen zu beenden.

Es bleibt aber das Problem, dass bisher nicht einmal die im EU-Recht vorhandenen Mechanismen ausgeschöpft wurden, um den Delinquenten wieder in eine stabile Finanzwirtschaft zurückzuführen. Zwar wurden gegen Griechenland Maßnahmen ergriffen: Ein übermäßiges Defizit wurde festgestellt und Griechenland eine Frist für dessen Abbau gesetzt. Die Staaten haben dabei allerdings eher zögerlich agiert und sind bis heute nicht bei der letzten Stufe, der Verhängung konkreter Sanktionen nach Artikel 126 Abs. 11 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, angekommen.

Als buchstäblich letztes Mittel können Bußgelder verhängt werden. Das ist noch immer nicht geschehen, obschon Griechenland seit seinem Euro-Eintritt vor 10 Jahren zu hohe Defizite verzeichnet. Seit 2004 ist bekannt, dass das Land sich den Euro durch falsche Angaben erschlichen hat und die Defizite deutlich über den Regierungsangaben lagen. Es hätte also durchaus einige Anlässe für scharfe Reaktionen gegeben.

Wenn Kommission und Rat aber schon das vorhandene Sanktionsrepertoire so zögerlich nutzen, kann man jedenfalls aktuell kaum argumentieren, dass die Mechanismen im Stabilitätspakt dauerhaft unzureichend seien und daher ein Rückgriff auf allgemein völkerrechtliche Wege nötig sei. Und selbst, wenn er gelänge, brächte auch dieser Rückgriff keine schnelle Lösung: Eine Beendigung würde erst nach frühestens zwölf Monaten wirksam.

Keine Alternative: Alle raus und neu von vorn

Denkbar wäre, dass alle anderen EU-Staaten gemäß dem geltenden EU-Recht die Union verlassen und in der gleichen juristischen Sekunde eine neue EU oder einen neuen Euroraum ohne Griechenland begründen würden.

Auch dieser Weg bietet aber keine praktikable Lösung. Die Umsetzung eines solchen Vorhabens wäre sehr komplex. So würde der Austritt ohne ein Austrittsabkommen erst nach zwei Jahren wirksam. Schneller ginge es nur mit einem solchen Abkommen. Da die Verhandlungen dafür auf Seiten der EU bei einem Austrittswillen aller anderen 26 im Ergebnis nur noch durch den griechischen Ratsvertreter bestimmt würden, würden sie sich hinziehen. Zügig könnte die Eurokrise so jedenfalls nicht beendet werden.

Letztlich am selben Problem scheitert auch die Idee, dass die Bundesrepublik aus der EU aussteigen könnte: Auch das würde zwei Jahre dauern, weil die anderen Mitgliedstaaten kaum einverstanden sein dürften und damit wieder die Wartefrist einzuhalten wäre.

Mal wieder ein deutscher Ausstieg?

Auch ein deutscher Ausstieg nur aus dem Euro, wie er jetzt infolge einer Passage im jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Euro-Rettungsschirm diskutiert werden könnte, ist im EU-Recht nicht vorgesehen. Deutschland müsste eine Beendigung des EU-Rechts nur insoweit durch einseitige Kündigung des Euro nach völkerrechtlichen Maßstäben vollziehen, könnte das aber kaum begründen.

Die Umstände des Euro haben sich, wie man es auch dreht und wendet, nicht maßgeblich geändert. Immerhin sieht das EU-Recht ja Sanktionen gegen Defizitsünder vor. Die Möglichkeit, dass Staaten die Stabilitätskriterien verletzen, war also von Anfang an einkalkuliert.

Schließlich könnte man noch daran denken, den Ratsbeschluss über die Teilhabe Griechenlands am Euro zurückzunehmen, weil die Hellenen damals falsche Angaben gemacht, also getäuscht haben. Geschriebene Regeln gibt es für eine solche Rücknahme nicht.  Selbst wenn man allgemeine Rechtsregeln heranziehen könnte, dürfte eine Anfechtung erst sieben Jahre nach Bekanntwerden der Täuschung wohl verwirkt sein.

Ein Ausstieg wäre ein politisches und ökonomisches Desaster

Jenseits aller rechtlichen Zweifel und Schwierigkeiten aber blieben die ökonomischen und politischen Probleme, würde man Griechenland den Stuhl vor die Tür des Euroraums setzen. Politisch wäre das für die weitere Entwicklung der EU fatal.

Die ökonomische Problematik bliebe bei einem Ausscheiden Griechenlands ohnehin weiter virulent: Zahlreiche europäische Kreditinstitute, Fonds und Versicherungen, und nicht zuletzt auch die EZB sind Gläubiger des griechischen Staats und griechischer Banken. Würde man ihre Titel ent- oder auch nur wesentlich abwerten, entstünde ein erheblicher Kapitalisierungsbedarf. Über die mittlerweile in erheblichem Umfang bei der EZB vorhandenen Bestände an griechischen Titeln zahlen die EU-Staaten weiterhin für griechische Schulden, da sie die Defizite der EZB hieraus abgelten müssten. Die dafür nötige Summe wird auf ca. 75 Milliarden Euro geschätzt.

Die wichtigsten Ressourcen in der derzeitigen Eurokrise sind Zeit und Vertrauen. Ein Austritt oder rechtlich ohnehin kaum möglicher Ausschluss Griechenlands aus der Union oder dem Euroraum würde beides nicht weniger strapazieren als die komplizierten derzeit eingeschlagenen Lösungswege.

Der Autor Univ. Prof. Dr. Wolfgang Weiß lehrt Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, der einzigen Postgraduierten-Universität in Deutschland.

 

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Zitiervorschlag

Trotz Täuschung und Schulden: . In: Legal Tribune Online, 19.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4326 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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