2/2: "Die Richterin muss jetzt nicht meine Freundin sein"
Ebenso kritisierten die Befragten, dass schon die Räumlichkeiten der Gerichte einen einschüchternden und autoritären Eindruck gemacht hätten. Man erwarte "keine Kindertapete oder so", doch seien Gerichtssäle mit dem Flair so eines "braunen, alt-hölzernen Beamtenbüros" nicht gerade vertrauenserweckend. Ein gutes Anhörungszimmer wäre nach ihren Vorstellungen hell, gegebenenfalls mit Zimmerpflanzen bestückt und – falls man lange sitzen müsse – mit "Kissen auf den Stühlen" ausgestattet.
In den strafrechtlichen Verfahren hätten sich die Kinder und Jugendlichen durch die nachforschende Art der Befragung sehr unter Druck gesetzt und verunsichert gefühlt. Die Beteiligten hätten zwar gewusst, dass die "Richter streng sein müssen" und "die Richterin jetzt nicht die beste Freundin sein" könne. Doch berichteten viele von "so ein paar Fangfragen" und dass man unterschwellig "als unglaubwürdig" dargestellt worden sei. In der Praxis habe es sich zwar bewährt, Kindern und Jugendlichen als besonders schutzbedürftigen Zeugen zur Unterstützung psychosoziale Prozessbegleitung, also Betreuung und Informationsvermittlung, anzubieten, so die Studie. Fest vorgeschrieben seien aber weder das Angebot an sich noch die Qualifikation von entsprechenden Personen.
Ähnlich sieht es auch in familiengerichtlichen Verfahren aus. Die Gerichte haben einen Ermessensspielraum, ob sie einen Verfahrensbeistand als so genannten "Anwalt des Kindes" bestellen. Aber auch dieser hat laut Studie nicht immer die nötige Qualifikation oder kommt seinen Aufgaben nicht umfassend nach. Sie hätten mit diesen Betreuern "ja nicht so viel zu tun" gehabt, obwohl sie gewusst hätten, dass sie ihnen "eigentlich helfen sollten", berichteten die Betroffenen. Viele empfanden die Entscheidungsverantwortung als komplett auf sie abgewälzt und das daraufhin festgesetzte Urteil als irreversibel - etwa bei welchem Elternteil sie unter welchen Bedingungen die nächsten Jahre verbringen würden.
Empfehlung: Vorgaben für Betreuer und Lehrgänge für Richter
Die aus der Studie folgenden Handlungsempfehlungen richten sich an Gesetzgebung und Justiz. Die Politik solle sich für gesetzliche Regelungen stark machen, mit denen die Bestellung und Qualifikation von Betreuern für Kinder und Jugendliche in Gerichtsverfahren verbindlich festgelegt wird. Ähnliches war bereits für den Einsatz von Sachverständigen gefordert worden. Bundeseinheitliche Standards beim Umfang und den Zulassungsvoraussetzungen, wie sie die zurzeit im Gesetzgebungsverfahren befindliche dritte Opferrechtreform vorsieht, sollen Kinder und Jugendliche vor weiteren Belastungen und Stress durch das Verfahren schützen beziehungsweise diesen wenigstens abschwächen.
Richter und Justizpersonal sollten hingegen auf eine persönlichere Atmosphäre in den Verfahren achten, eine Abfrage, Vernehmung oder Anhörung also eher als Gespräch auf Augenhöhe gestaltet werden. Auch bei der Art und Weise der Fragestellungen raten die Autoren dazu, eindeutige und möglichst einfache Fragen zu stellen, so dass die Befragten verstehen, worum es geht. Nur so könnten sie von ihrem Beteiligungsrecht auch guten Gebrauch machen.
Am Ende der Anhörung könnte der Richter das Gespräch noch einmal zusammenfassen und die Minderjährigen über den weiteren Ablauf oder die Konsequenzen der Entscheidung aufklären. Zuletzt seien auch Diversity-Fortbildungen für die Richterschaft eine wichtige Voraussetzung, damit diese vorurteilsfrei und angemessen mit den Kindern und Jugendlichen umgehen könnten.
Marcel Schneider, Studie zu kindgerechter Justiz in Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 10.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17818 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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