Ein Vertrag mit den Rechteverwertern an Schulbüchern verpflichtet die Bundesländer, auf Schulcomputern mit einer Software nach unerlaubten digitalen Kopien zu fahnden – sehr zum Ärger der Bundesjustizministerin. Und tatsächlich ist der geplante Einsatz eines "Schultrojaners" nicht nur technisch unsicher, sondern auch verfassungsrechtlich sehr bedenklich, meint Ermano Geuer.
Schnell einen Scan von Unterrichtsmaterialien auf dem Schulserver abzulegen ist Alltag an deutschen Schulen, könnte für Lehrer aber bald ernsthafte Konsequenzen haben. In einem Vertrag mit dem Dachverband VdS Bildungsmedien, welche die urheberrechtlichen Interessen der Hersteller unter anderem von Schulbüchern vertritt, haben sich die Bundesländer verpflichtet, eine Software auf Schulcomputern zu installieren, die ebensolche digitalen Kopien erkennt . Werden Verstöße bekannt, müssen die Länder demnach auch dienstrechtliche Schritte einleiten.
Seinem Titel nach, "Geamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 Urheberrechtsgesetz (UrhG)", will die Vereinbarung, dessen Abschluss derzeit in Schulen und bei Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) für Aufregung sorgt, nur die Einräumung und Vergütung von Ansprüchen aus diesem Gesetz regeln. Die Vorschrift des § 53 UrhG normiert unter anderem die Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke für den Unterrichtsgebrauch.
Es geht um mehr als die bloße Vergütung
Die Spannungslage ist offensichtlich: Die Schulbuchverlage möchten ihre verlegerische Leistung nicht nur gewürdigt, sondern vor allem bezahlt wissen, die Lehrkräfte haben ein Interesse daran, mit den Unterrichtsmaterialien und Schulbüchern nicht nur so flexibel wie möglich umzugehen, sondern auch wie im modernen Arbeitsalltag üblich mit ihnen zu arbeiten.
Das allerdings ist durch den nun abgeschlossenen Vertrag nicht nur nicht leichter geworden. Vielmehr müssen Lehrer nun auch noch disziplinarische Konsequenzen befürchten, wenn sie Schulbücher, Auszüge aus ihnen oder andere Unterrichtsmaterialien einscannen und die digitale Kopie speichern.
Ausweislich des Wortlauts der Präambel des umstrittenen Vertrags verfolgen die Länder und ihre Vertragspartner, unter anderem ein Interessenverband von Schulbuchverlagen und die VG Wort, das Ziel, das Vervielfältigungsrecht an den Unterrichtsmaterialien sicherzustellen. Im Gegenzug verpflichten sich die Länder, für eine genau festgelegte Nutzung an die VG Wort eine Vergütung zu zahlen, die für das Jahr 2011 bei 7,3 Millionen Euro liegt und jedes Jahr erhöht wird.
Bei näherer Lektüre des Vertrages fällt jedoch ins Auge, dass es keineswegs nur um eine Vergütung der Verlage geht. Vielmehr kann man leicht feststellen, dass die den Schulen und damit den Lehrern eingeräumten Rechte es nicht erlauben, geschütztes Unterrichtsmaterial digital zu speichern und digital zu verteilen.
Technische Probleme sind vorprogrammiert
Um diesem Vertragsinhalt gleich noch etwas mehr Nachdruck zu verleihen, wurde ein Passus (§ 6 Nr. 4) in den Vertrag eingefügt, der an mindestens ein Prozent der öffentlichen Schulen die Installation einer "Plagiatssoftware" ab dem Schuljahr 2011/2012 vorsieht. Zweck der Übung: Die Software soll unerlaubte digitale Kopien auf Rechnern der Schule aufspüren. Wird sie fündig, verpflichten sich die Länder durch den Vertrag auch dazu, disziplinarische Maßnahmen gegen den Schulleiter und Lehrkräfte einzuleiten.
Die Software, die zum Einsatz kommen soll, wird im Vertrag euphemistisch als Plagiatssoftware bezeichnet. Schnell tauchte in den Medien der Begriff "Schultrojaner" auf. Über die Funktionsweise dieser Software, die bislang noch gar nicht existiert, ist nicht viel bekannt.
Sie müsste, um ihre Funktion erfüllen zu können, auf verschiedenen Betriebssystemen einsatzfähig sein und zwischen Lehrer- und Schülerdaten klar differenzieren. Die Organisation und der Umgang mit diesen sensiblen Daten vor allem der Schüler dürfte von Schule zu Schule sehr unterschiedlich sein.
Mögen beispielsweise in der einen Schule Daten von Lehrern und Schülern auf verschiedenen virtuellen Laufwerken liegen, so sind diese auf der nächsten Schule vielleicht auf ein und demselben Laufwerk. Die Software bedürfte also immer einer individuellen Anpassung. Würde das Programm auch Schülerdaten durchsuchen, gäbe des dafür schon keine Grundlage im Vertrag.
Es besteht also die Gefahr, dass die Software auch Teile des Schulservers durchsucht und inhaltlich erfasst, deren Inhalt sie gar nicht aufnehmen soll.
Ob Schul- oder Privat-PC: IT-Grundrecht der Lehrer ist betroffen
Zudem ist, auch wenn nur Lehrerdaten durchsucht werden, das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme betroffen. Dieses so genannte IT-Grundrecht hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung zur Online-Durchsuchung entwickelt (Urt. v. 27.02.2008, Az. 1 BvR 370/07 u. 1 BvR 595/07). Streng genommen ist es kein neues Grundrecht, sondern nur eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz.
Berührt aber würde dieses Grundrecht auf jeden Fall, wenn die Software einen Lehrer-PC umfassend scannt. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen PC des Lehrer handelt, den die Schule individuell zur Verfügung stellt oder um einen allgemeinen Schul-PC. Selbst wenn sich der Rechner Eigentum der Schule wäre, würde in das Grundrecht des Lehrers eingegriffen, dessen Daten betroffen werden.
Die Hürden zur Rechtfertigung eines solchen Eingriffs sind hoch. Überwinden könnte sie wohl nur eine Einwilligung der Betroffenen. Diese werden die betroffenen Lehrkräfte aber kaum erteilen.
Länder wurden offenbar über den Tisch gezogen
Die vertragliche Umsetzung ist wohl alles andere als zeitgemäß. Vielmehr wäre es sinnvoll gewesen, bei Digitalkopien zu differenzieren. Eine Rechteeinräumung nur an Papierkopien ist in Bezug auf eine zunehmende Digitalisierung an Schulen, die ja auch mit der Lebenswirklichkeit Schritt halten müssen, wohl wenig sinnvoll.
So sind digitalisierte Print- Dokumente, die nicht einem Texterkennungsvorgang unterzogen wurden, sondern nur als Bilddatei vorliegen, nichts anderes als ein Abbild der Kopie in digitaler Form. Ihr Empfänger kann sie zwar ohne großen Aufwand ausdrucken, jedoch nicht ohne weiteres in ein eigenes Dokument überführen. Auch sonstige Vorzüge einer digitalen Nutzung wie beispielsweise die Durchsuchbarkeit bietet eine solche Digitalkopie also nicht.
Die Länder hätten damit durchaus bedenken müssen, dass Digitalkopien, die nur in Form eines Bildes vorliegen und sich damit nur bedingt in die Übernahme eigener Werke eines digitalen Bildes eignen, nicht viel anders zu beurteilen sind als eine analoge Kopie. Dateien ohne Texterkennung wird der Benutzer schlicht am PC betrachten oder ausdrucken, so dass kein großer Unterschied zur Kopie entsteht.
Insgesamt scheint man bei den Verhandlungen mit den Rechteverwaltern die digitale Entwicklung also nicht wirklich berücksichtigt zu haben. Der Lehrer der Zukunft wird kaum alle Unterrichtsmaterialien, die er gesammelt hat, in Aktenordnern aufbewahren. Auch er möchte und muss, wenn er Schüler auf ein Leben in einer Welt des Internets vorbereiten will, auf digitale Speichermedien zurückgreifen. Diese digitale Speicherung von Materialien aber, für die meisten Berufstätigen längst selbstverständliche Realität, wird Lehrern durch den Vertrag nicht nur nicht gestattet, sondern sogar technisch auffindbar gemacht. Und ihre Konsequenzen können, auch das regelt der Vertrag immerhin, erheblich sein.
Der geplante Softwareeinsatz stößt deshalb zu Recht bei Lehrerverbänden und auch der Bundesjustizministerin auf Kritik. Der damit verbundene Grundrechtseingriff ist, im Vergleich zu einzelnen möglicherweise vorliegenden Urheberrechtsverstößen, wohl mehr als unverhältnismäßig. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesländer nochmals nachverhandeln, nach Ankündigungen der Kultusministerkonferenz soll die Vereinbarung beim nächsten Treffen noch einmal auf den Tisch kommen. Auch eine höhere Zahlung an die Rechteverwerter wäre gerechtfertigt, wenn es den Lehrern dafür erlaubt würde, jedenfalls mit Digitalkopien ohne Texterkennung zu arbeiten. Schaden würde das auch den Rechteverwerten nicht.
Der Autor Ermano Geuer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht der Universität Passau und dort zuständig für das EU-Projekt "WebSand".
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Ermano Geuer, Streit über Schultrojaner: . In: Legal Tribune Online, 08.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4748 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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