2/2: "Sehr enge Freunde, nicht aber bloß Freunde"
LTO: Nicht nur Ärzte sollen von der Strafbarkeit ausgenommen werden, sondern auch "Angehörige" und "dem Betroffenen nahestehende Personen". Dies sind recht unbestimmte Begriffe.
Taupitz: Der Begriff des Angehörigen findet sich in der Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 1 a) und b) StGB. Wer eine "dem Betroffenen nahestehende Person" ist, ist hingegen nicht im StGB legaldefiniert. Wir schlagen aber vor, auf die Auslegung desselben Begriffs in § 35 StGB, dem entschuldigenden Notstand, zurückzugreifen.
Es sind nur solche Personen gemeint, die in ähnlicher Weise wie Angehörige mit dem Täter verbunden sind. Es muss ein auf gewisse Dauer angelegtes zwischenmenschliches Verhältnis bestehen, das vergleichbare Solidaritätsgefühle hervorruft, wie es regelmäßig unter Angehörigen vorhanden ist. Dazu werden in der Literatur sehr enge Freunde oder langjährige Hausangestellte genannt, nicht dagegen gute Nachbarn oder Freunde allgemein.
LTO: Wie wollen Sie verhindern, dass ein vielleicht nur guter, aber nicht sehr guter Freund, der beim Sterben geholfen hat, nachher womöglich als Beschuldigter da steht? Kann man diese Gefahr mit einer Art Patientenverfügung umgehen?
Taupitz: Die Definition des Begriffes der Nähebeziehung steht nicht zur Disposition der Betroffenen, sondern muss objektiv geklärt werden. Im schlimmsten Falle kann dies zur Erforschung des Sachverhalts durch die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft führen.
Allerdings können Beschreibungen des menschlichen Verhältnisses zueinander – zum Beispiel in einer Patientenverfügung - als Indiz gewertet werden. Und ganz praktisch gesagt: Plausible Aussagen eines Sterbenden werden die Behörden sicherlich nur in besonderen Ausnahmefällen anders bewerten.
"Klare Abgrenzung zur Täterschaft"
LTO: Regeln wollen Sie die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid. Wie wollen Sie Sicherheit schaffen, was die schwierigen Abgrenzungsfragen zur Täterschaft angeht? Nehmen wir den Fall, dass ein von dem Patienten selbst eingenommenes Gift ihn nur bewusstlos macht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) hat er ab diesem Moment keine Tatherrschaft mehr. Diese geht auf den daneben sitzenden Arzt über, der plötzlich zum Täter durch Unterlassen oder zum Täter einer unterlassenen Hilfeleistung wird, wenn er sich nicht umgehend bemüht, den Ohnmächtigen zu retten.
Taupitz: Damit sprechen Sie die Wittich/Peterle"-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1984 an. Diese ist in der Tat völlig widersprüchlich und hebt die freie Selbstbestimmung des Suizidenten vollkommen aus den Angeln! Sie ist nicht nur rechtspolitisch unvertretbar, sondern widerspricht auch dem klaren Willen des Gesetzgebers, Beihilfe zur Selbsttötung straflos zu lassen, wenn der Betroffene wirklich eigenverantwortlich handelt. Daher wird sie nicht nur in der Literatur einhellig abgelehnt, auch das OLG München hat sich äußerst kritisch dazu geäußert.
Man muss aber feststellen, dass diese Rechtsprechung noch im Raum steht, weil der BGH keine Gelegenheit hatte, sie formell zu revidieren. Allerdings äußerte der damals an der Entscheidung beteiligte Richter am BGH Klaus Kutscher inzwischen zu Recht in der Presse, man würde heute so nicht mehr entscheiden.
Unser Gesetz trifft eine klare Entscheidung auch zu diesem Fall. Die Beihilfe zur Selbsttötung wäre derart geregelt, dass für diese Fiktion kein Raum mehr wäre. Der Vorschlag legt vorab ganz genau fest, unter welchen – strengen – Bedingungen der Arzt unterstützen darf. Nur dann, aber auch immer dann, wenn ein todkranker Patient beraten und informiert wird von mindestens zwei Ärzten und nach Ablauf einer Bedenkzeit von mindestens zehn Tagen weiterhin ernsthaft und freiwillig Hilfe beim Suizid verlangt, darf der Arzt ihm assistieren.
Die Frage nach der Tatherrschaft stellt sich dabei nur insofern, als der Patient das todbringende Mittel selbst einnehmen muss. Der Arzt darf es ihm nicht einflößen oder injizieren. Sonst hat er bei dieser Handlung die Tatherrschaft und macht sich wegen der - aktiven - Tötung eines anderen Menschen strafbar.
LTO: Welche Umsetzungschancen räumen Sie Ihrem Vorschlag ein?
Taupitz: Wir müssen abwarten, was das Parlament letztendlich beschließen wird. Wir haben aus Kreisen der Politik viel Zustimmung erhalten. Aber es gibt auch andere Stimmen, was zeigt, wie unterschiedlich die Positionen bezüglich der geplanten Befassung des Bundestages mit einem möglichen Gesetz sind.
LTO: Herr Professor Taupitz, vielen Dank für das Interview!
Prof. Dr. Jochen Taupitz ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinrecht der Universitäten Heidelberg und Mannheim. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates und Mitautor des Gesetzesvorschlags.
Das Interview führte Anne-Christine Herr.
Anne-Christine Herr, Gesetzvorschlag zum assistierten Suizid: . In: Legal Tribune Online, 28.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13019 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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