2/3: BVerfG warnt Gesetzgeber
Grund genug für Roser, wieder vor Gericht zu ziehen. Dieses Mal beschreitet er den Verwaltungsrechtsweg. Größtenteils im Alleingang, ohne Anwalt.
Vor den Instanzgerichten scheiterte er zunächst. Zwar braucht die Polizei auch für die Dauerobservation wie für jede andere Maßnahme eine Ermächtigung. Die sahen das Verwaltungsgericht (VG) Freiburg und der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg wie zuvor schon andere Gerichte aber in der polizeilichen Spezialermächtigung zur längerfristigen Observation, im Zweifel hilfs- und übergangsweise in der Generalklausel.
So landete Roser erneut vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das deutliche Zweifel formulierte. Die polizeiliche Spezialermächtigung zur längerfristigen Observation erlaube möglicherweise nur eine Datenerhebung, um die es der Polizei im Fall der Beobachtung Rosers aber jedenfalls nicht vorrangig gehe. Gedacht war die Ermächtigung für längerfristige Observationen ursprünglich in der Tat eher zur Beschaffung von Informationen als dazu, jemanden von der Begehung von Straftaten abzuhalten.
Erst recht hielt es der 1. Senat für fraglich, ob die Behörden die nunmehr seit mehreren Jahren andauernde Beobachtung ersatzweise auf die doch eher unbestimmte Generalklausel ohne besondere Tatbestandsvoraussetzungen stützen können. Übergangsweise billigten die Verfassungsrichter aber genau das, um den Behörden zu ermöglichen, auf die "unvorhergesehene Gefahrensituation" vorläufig zu reagieren, bis der Gesetzgeber eventuelle Regelungslücken geschlossen habe.
Das BVerfG schloss jedoch eine deutliche Warnung an: Reagiere der Gesetzgeber nicht auf die neue Gefahrensituation, müsse er in Kauf nehmen, dass die Gerichte die Dauerobservation irgendwann für rechtswidrig erklärten (Beschl. v. 08.11.2012, Az. 1 BvR 22/12).
Nebeneinander von Führungsaufsicht und polizeilichen Maßnahmen
Der Polizeirechtler Bodo Pieroth sieht sich durch den Karlsruher Beschluss bestätigt. Die Überwachung entlassener Straftäter auf die Ermächtigung zur längerfristigen Observation zu stützen, hielt er schon zuvor für problematisch, da die Überwachung weniger der Datenerhebung als der Abschreckung diene. "Und ein Rückgriff auf die Generalklausel wäre nur für eine Übergangszeit zulässig."
Ludwig Roser argumentiert in seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Dauerobservation außerdem, dass Kontrolle und Überwachung von aus der Haft Entlassenen ausschließlich Aufgabe der Strafjustiz mithilfe von Führungsaufsicht und Bewährungshilfe sei. Eine Verzahnung von Führungsaufsicht und polizeilichen Maßnahmen hält er nicht für notwendig.
Führungsaufsicht: Kein Alkohol, keine Volksfeste, kein Messer
Denn auch ohne Dauerobservation könnte Roser kein gänzlich freies Leben führen. Er steht unter Führungsaufsicht. Das passiert automatisch, wenn jemand aus der Sicherungsverwahrung entlassen wird (§ 67d Abs. 6 StGB), und heißt, dass er einer Führungsaufsichtsstelle untersteht, sich regelmäßig bei einem Bewährungshelfer und einer forensischen Ambulanz melden muss. Außerdem kann das Gericht eine ganze Reihe von Weisungen erlassen: keinen Alkohol trinken, nicht auf Volksfeste und in Schwimmbäder gehen, die Stadt nicht verlassen.
Ludwig Roser darf sich nicht allein mit Frauen im Kraftfahrzeug aufhalten und kein Messer mit sich führen. "Ich habe ja damals Anhalterinnen mitgenommen." Bei den Taten hat er ein Messer verwendet.
Der Strafrechtler Thomas Ullenbruch, Experte auf dem Gebiet von Strafvollzug und Sicherungsverwahrung, hält ein Nebeneinander von Dauerobservation und Führungsaufsicht zumindest grundsätzlich für durchaus denkbar. Abschließend seien die Regelungen zur Führungsaufsicht in den §§ 68 ff. StGB jedenfalls nicht.
Laut dem Freiburger Polizeichef Alfred Oschwald verfügen die Führungsaufsichtsstellen auch gar nicht über die personellen Möglichkeiten, entsprechende Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen.
Landesinnenministerium prüft Regelungsbedarf
Im Bundesministerium der Justiz ist das Thema offiziell noch nicht diskutiert worden. Dort ist man aber der Ansicht, dass der Bund eher nicht zuständig ist, da die Dauerobservation im Strafrecht eher schlecht zu regeln sei. "Wie sollte man das formulieren? Die Führungsaufsicht arbeitet ja mit Weisungen. Die Weisung auszusprechen, 'lasse dich überwachen' wäre aber wohl etwas schief", sagt Pressesprecherin Mareke Aden. Das Polizeirecht aber ist Ländersache.
Das Innenministerium Baden-Württemberg prüft derzeit den Bedarf für eine Regelung und ob diese im Landes- oder Bundesrecht erfolgen müsse, ob die Dauerobservation also dem Polizei- oder eher dem Strafrecht zuzuordnen sei. Da die Problematik alle Länder betreffe, werde eine einheitliche Regelung diskutiert, sagt der Pressesprecher Günter Loos. Dass mit Blick auf die Entscheidung des BVerfG gehandelt werden müsse, stehe dabei außer Frage.
Wesentlich länger als ein Jahr darf sich der Gesetzgeber dabei nicht mehr Zeit lassen, meint Bodo Pieroth. Für zuständig hält er eindeutig die Länder, weil es sich um eine Materie des Polizeirechts und nicht etwa des Strafrechts handele.
Für Klaus Michael Böhm, den Vorsitzenden der Behandlungs-Initiative Opferschutz, die Träger der forensischen Ambulanz Baden ist, liegt es auch im Interesse des Opferschutzes, dass die Bevölkerung an klaren Regelungen festmachen kann, wann die Polizei handeln muss.
Claudia Kornmeier, Dauerobservation: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8073 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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