Ludwig Roser wird nun seit fast zweieinhalb Jahren von der Polizei überwacht. 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Die Bevölkerung hat Angst vor dem ehemals Sicherungsverwahrten, der nach einem Urteil des EGMR entlassen werden musste. Rechtsexperten zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Überwachung, während die Gerichte und der Gesetzgeber noch zögern.
In der Schlange bei der Freiburger Tafel sind sie ins Gespräch gekommen. Kurz nach Weihnachten hat er ihr eine Karte mitgebracht.
Das muss den Ausschlag gegeben haben. Die Beamten wurden nervös; entschieden sich, einzugreifen. Einer von ihnen sprach die Frau an. Der Mann, der ihr da gerade die Karte geschenkt habe, der werde überwacht. Der sei gefährlich. Das war’s. Sie bekam Angst. Gesehen haben sie sich seitdem nicht mehr.
Elf Jahre und neun Monate zu Unrecht in Haft
Ludwig Roser* wurde 1985 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und versuchter Vergewaltigung in einem weiteren Fall zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das Gericht ordnete außerdem die anschließende Sicherungsverwahrung an, für die damals eine Höchstfrist von zehn Jahren galt.
Im Juni 1999 hätte Ludwig Roser entlassen werden sollen. 1998 änderte der Bundestag § 67d des Strafgesetzbuchs (StGB). Die Höchstfrist entfiel. Nicht nur für zukünftige Fälle, sondern auch für bereits Verwahrte wie Roser. Die Strafvollstreckungskammern konnten seine Sicherungsverwahrung nun unbegrenzt verlängern. Es sollte Herbst 2010 werden, bis er frei kam. Dazwischen lagen unzählige Klagen gegen die fortwährende Inhaftierung: Anträge auf Bewährung, Verfassungsbeschwerden und schließlich zwei Beschwerden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).
Im Dezember 2009 erklärte Straßburg in einem Pilotverfahren die Änderung von 1998 für unvereinbar mit Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtscharta (EMRK). Die nationalen Gerichte taten sich schwer mit der Straßburger Entscheidung. Die Freilassung der zu Unrecht Verwahrten verlief schleppend. Einige Oberlandesgerichte verwiesen auf den Gesetzgeber. Es sei dessen Aufgabe, das Urteil umzusetzen. Nicht so das Oberlandesgericht Karlsruhe, das für Rosers Freiheit zuständig war und ihm diese schließlich gewährte.
Trotz zwischenzeitlicher Freilassung zog Ludwig Roser seine Beschwerden vor dem EGMR nicht zurück. Am Ende hält er sein eigenes Urteil aus Straßburg in Händen. Die Richter bestätigten ihm, dass er elf Jahre und neun Monate zu Unrecht in Haft saß.
Polizisten berichten von unaufgeregtem Dienst
Doch der Staat lässt Roser nicht in Ruhe. Seit seiner Entlassung wird er 24 Stunden am Tag von der Polizei überwacht. Am Anfang waren es fünf Beamte, heute sind es noch drei.
Sie halten sich in einem Zimmer schräg gegenüber von dem seinen in einer Freiburger Notunterkunft auf. Seine Tür haben sie immer fest im Blick. Wenn er Fahrradfahren geht, fahren sie hinterher. Wenn er beim Arzt ist, sitzen sie im Wartezimmer. Wenn er ein Geschäft betritt, kommen sie nach. "Mobile Sicherungsverwahrung", nennt er das.
"Menschenunwürdig", sagt sein Bewährungshelfer Peter Asprion, der ein Buch über die Sicherungsverwahrung in Deutschland geschrieben hat. Ihn wundert es, mit welcher Stabilität Ludwig Roser die Überwachung aushält. "Ich bin schon dreißig Jahre in diesem Beruf und hätte mir nicht vorstellen können, dass das in Deutschland zulässig ist." Bis heute habe ihm niemand erklären können, weshalb für diese Männer, älter und zum Teil gesundheitlich eingeschränkt, jeweils fünf Beamte bereitstehen müssen. "Die Polizisten berichten auch eher von einem unaufgeregten denn belastenden Dienst, den sie lieber versehen als die Baustelle am Stuttgarter Hauptbahnhof zu bewachen."
KURS: Polizei darf observieren, Gefährdete ansprechen und aufklären
Grundlage für die Überwachung ist eine Verwaltungsvorschrift von Justiz- und Sozialministerium zu einer ressortübergreifenden Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern (KURS), mit der eine Gemeinsame Zentralstelle von Polizei und Justiz beim Landeskriminalamt eingerichtet wurde. Die Behörden sollen verstärkt zusammenarbeiten, Führungsaufsicht und polizeiliche Gefahrenabwehr sollen besser koordiniert werden.
Ludwig Roser gilt als einer von drei Risikoprobanden der Gefährlichkeitsstufe I, also als einer mit herausragendem Gefährlichkeitspotenzial, in Baden-Württemberg. Nach der Verwaltungsvorschrift darf die Polizei ihn deshalb nicht nur dauerhaft observieren, sondern auch durch ihn gefährdete Personen ansprechen und aufklären.
Claudia Kornmeier, Dauerobservation: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8073 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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