Reform des Sexualstrafrechts: Der freie Wille der Frauen

von Pia Lorenz

06.06.2016

3/3: Erhobenen Hauptes oder wie ein unmündiges Kind?

Laut Renate Künast geht es den Opfern von Sexualstraftaten, die sie recht pauschal stets als "Frauen" bezeichnete, obgleich viele Opfer sexuellen Missbrauchs - auch männliche - Kinder sowie nicht selten homosexuelle Männer sind, darum aber auch nicht. Situationen, in denen Aussage gegen Aussage stehe und Freisprüche in dubio pro reo, gebe es schließlich auch in anderen Bereichen.

Wichtig aber sei für die Frauen, die Opfer sexueller Gewalt werden, dass sie sich nicht ständig dafür erklären und rechtfertigen müssten, was sie selbst getan oder nicht getan hätten. "Das ist die zweite Erniedrigung. Wenn das Gericht aber nur sagt, dass es sich nicht entscheiden konnte, wem es mehr glauben soll, dann können Frauen erhobenen Hauptes den Saal verlassen und anders damit leben." Für die Grünen-Politikerin und zahlreiche Frauen-Verbände eine wichtige Grundbotschaft.

Für Thomas Fischer, der sich auf Künasts Diktion, stets die Frauen als Opfer anzusprechen, nur unter Protest einließ, würden dadurch "erwachsene, wehrhafte Frauen" vom Gesetzgeber mit paternalistischer Moral wie unmündige, gar behinderte Kinder behandelt. Die Sekretärin, die fürchtet, sonst ihre Probezeit nicht zu bestehen, und sich den sexuellen Wünschen ihres Chefs fügt, könne anders handeln, so der BGH-Richter. Es sei nicht strafwürdig, dass ein anderer mitmache, weil er ein Übel befürchtet, das nicht in Gewalt bestehe und nicht einmal angedroht wird. Der freie, mündige Mensch habe nicht nur ein Recht gegenüber dem Staat, frei und selbstbestimmt zu sein. Er habe auch die Pflicht, sich frei und selbstbestimmt zu verhalten. Es gebe keinen vernünftigen Grund dafür, das ausgerechnet und ausschließlich im Sexualbereich anders zu sehen.

Das einzige strukturelle Defizit der Frauen?

Es könnte aber, so sehr man - und vor allem frau - Thomas Fischer zustimmen möchte, möglicherweise genau dort einen Grund geben. Es gibt den sexuellen Missbrauch von - unstreitig höchstgradig schutzwürdigen - Kindern oder behinderten Personen jedweden Geschlechts, in der homosexuellen Szene sind Sexualstraftaten keine Seltenheit. Und dennoch ist die sexuelle Gewalt ein Teilbereich des menschlichen Lebens, der überwiegend Frauen betrifft. Und in dem Frauen evident strukturell unterlegen sind.

Dieses strukturelle Defizit liegt nicht nur an ihrer körperlichen Unterlegenheit, die eine Gegenwehr in aller Regel wenig erfolgversprechend erscheinen lässt. Es liegt zudem an der besonderen Erniedrigung, die mit der sexuellen Komponente der Gewalt einhergeht. Und es liegt nicht zuletzt an ihrer Sozialisation und Erziehung. Frauen lernen nicht, sich gegen Angriffe zur Wehr zu setzen, schon gar nicht mit körperlicher Gewalt. Frauen und Männer verhalten sich unterschiedlich, das steht heutzutage fest. Und dennoch: Soll das der Grund sein, den Abteilungsleiter für Jahre in Haft zu schicken, der von einvernehmlichem Gelegenheitssex mit der neuen Assistentin ausgeht? Wie konkret – und wie schlimm - müsste ein Übel sein, das er nicht einmal in Aussicht gestellt hat, sie aber dennoch befürchtet?

Es war Regierungsdirektorin Bumke, die zum Abschluss der Veranstaltung beim Deutschen Anwaltstag relativierte. Zwischen dem männlichen Verfechter des freien Willens der Frauen einerseits und der weiblichen Kämpferin für mehr Schutz von Frauen andererseits gab die Fachjuristin aus dem Ministerium zu bedenken, dass sie das von Fischer gezeichnete aufgeklärte Menschenbild zwar teile - aber es sei ein ideales.

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Reform des Sexualstrafrechts: . In: Legal Tribune Online, 06.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19563 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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