Urteile zu Reichsbürgern: Beamte im fal­schen Staat?

Gastbeitrag von Prof. Dr. Andreas Nitschke

20.09.2022

Die Reichsbürgerbewegung beschäftigt seit Jahren Behörden wie Gerichte. Eine Reihe aktueller Gerichtsentscheidungen lässt im Umgang mit verbeamteten Reichsbürgern künftig Herausforderungen erwarten, wie Andreas Nitschke beobachtet.

Zuletzt war die Reichsbürgerbewegung wieder verstärkt Gegenstand der medialen Berichterstattung. Stellenweise fast schon skurril erscheinende Meldungen über einen reichsbürgertypische Ansichten vertretenden Notar, der sich selbst als "Staatsangehöriger des Königreichs Preußen" bezeichnet, über einen Gerichtsgutachter, der für die Gerichte der verhassten BRD in Betreuungsfällen arbeitete, oder eine Gaststättenbetreiberin, die in Köln eine Art Vereinslokal für das "Königreich Deutschland" eröffnete stellen nur einige Beispiele dar.

Nicht nur im privaten Sektor, auch im Staatsdienst beschäftigten Reichsbürger den Staatsschutz. So warnte das Bundesamt für Verfassungsschutz im Mai 2022 ausdrücklich vor Gefahren durch Reichsbürger vor allem in Sicherheitsbehörden.

Was kennzeichnet die Reichsbürgerbewegung?

So unterschiedlich die Motive und Begründungen in den Details auch aussehen, ein verbindendes Moment kennzeichnet alle Angehörigen der Reichsbürgerbewegung: Unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich lehnen sie die Existenz der Bundesrepublik Deutschland (BRD) vor dem Hintergrund verschwörungstheoretischer Argumentationsmuster oder eines selbst definierten Naturrechts ab.

Die grundlegenden staatsbürgerlichen Pflichten (Zahlung von Steuern etc.) werden ebenso wenig anerkannt, wie die amtlichen Dokumente der BRD (z.B. Personalausweis). Nicht selten beantragen Reichsbürger daher beispielsweise die Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises auf Grundlage des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAG) des Deutschen Reiches, Stand 1913. Dabei werden als Geburtsstaat häufig "Königtum Preußen" oder ähnliche Bezeichnungen verwendet.

Solche Anträge verdeutlichen die Ablehnung der BRD, stützen sich die Reichsbürger dabei doch auf ein Gesetz aus der Zeit des Deutschen Reiches, welches in dieser Form heute keine Wirkung mehr entfaltet, sowie auf Staatsbezeichnungen, die es in der BRD nicht gibt.

Reichsbürger im Staatsdienst

Zuletzt wurden entsprechende Anträge immer häufiger auch von Beamten gestellt. Gerade für sie ist dies vor dem Hintergrund der sogenannten Verfassungstreuepflicht rechtlich problematisch. Sie verpflichtet Beamte dazu, sich mit ihrem gesamten Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für diese einzutreten.

Wer aber als Beamter die Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises im oben dargestellten Sinne beantragt, leugnet grundsätzlich die Existenz der BRD. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) folgert richtigerweise einen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht, da es "schlechterdings unmöglich" sei, die rechtliche Existenz der BRD zu leugnen und sich zugleich zu ihrer Grundordnung zu bekennen. Auch andere reichsbürgertypische Verhaltensweisen, wie beispielsweise das Bezweifeln der Legitimität von Richtern und Gerichtsvollziehern, sind oft nicht mit den Dienstpflichten in Einklang zu bringen.

Schärfste Disziplinarmaßnahme: Entfernung aus dem Dienst

Die Frage nach der disziplinarrechtlichen Reaktion auf entsprechende Verstöße gegen die Verfassungstreuepflicht wurde auf Ebene der Oberverwaltungsgerichte zunächst ebenso eindeutig wie nachvollziehbar beantwortet: Sowohl das OVG Lüneburg (Urteil vom 20.4.2021 - 3 LD 1/20) als auch der Verwaltungsgerichtshof (VGH) München (Urteil vom 28.7.2021 - 16a D 19.989) erkannten auf die Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst.

Begründet wurde dies insbesondere mit der besonderen Stellung der Beamten sowie dem im Grundgesetz normierten Dienst- und Treueverhältnis zwischen Beamten und Staat. Gerade aufgrund des Vertrauens der Allgemeinheit in staatliche Institutionen sei grundsätzlich kein anderes Ergebnis möglich.

In seinem Urteil vom 2.12.2021 (2 A 7.21) führte auch das BVerwG mit deutlichen Worten aus, dass es die Grundlagen des Beamtenverhältnisses nicht zulassen würden, Personen mit der Ausübung staatlicher Gewalt zu betrauen, die die freiheitliche demokratische Verfassungsordnung ablehnen. Die Botschaft erscheint also klar: Wer reichsbürgertypische Ansichten vertritt, kann kein Beamter in Deutschland sein.

Der "Scheinreichsbürger"

Zuletzt ergingen allerdings zwei Entscheidungen, die verdeutlichen, dass im Einzelfall doch genauer hingeschaut werden muss. Dass nämlich ein Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht durch reichsbürgertypisches Verhalten nicht zwingend zur Dienstentfernung führt, verdeutlicht zum einen das kürzlich veröffentlichte Urteil des BVerwG vom 12.5.2022 (2 WD 10.21).

In diesem Fall hatte ein Bundeswehrsoldat einen Staatsangehörigkeitsausweis nach dem oben dargestellten Prozedere beantragt. Er führte aber aus, nur aus Provokationslust gehandelt zu haben und kein Verfassungsfeind zu sein. Er habe aus "Langeweile" und "Zeitüberschuss" den Antrag bei der Behörde gestellt, um zu schauen, was passieren würde. Das Gericht sah hierin einen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht.

Es sprach aber lediglich eine Dienstgradherabsetzung als zweitschärfste Disziplinarmaßnahme aus. Der Grund dafür lag in der Tatsache, dass die Verfassungstreuepflicht durch zwei Handlungen verletzt werden kann: zum einen ist es möglich, die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht anzuerkennen, zum anderen ist denkbar, nicht für sie einzutreten. Im relevanten Fall erkannte der Soldat diese Grundordnung nach dem BVerwG zwar (innerlich) an, trat aber (äußerlich) nicht für sie ein, da er vorsätzlich den irrigen Eindruck erweckte, sich mit der Reichsbürgerbewegung zu identifizieren.

Diese Differenzierung zwischen innerem Bekenntnis und äußerem Eintreten macht den "Scheinreichsbürger" möglich, der sich zwar innerlich zum Staate des Grundgesetzes bekennt, aber (aus welche Motiven auch immer) äußerlich den irrigen Eindruck erweckt, ein Reichsbürger zu sein.

Bei reichsbürgertypischem Verhalten können damit umfangreiche Ermittlungen zur inneren Einstellung des Beamten im Einzelfall erforderlich werden. Dies dürfte künftig vermehrt zu erwarten sein, da ein verbeamteter Reichsbürger aufgrund der drohenden dienstrechtlichen Konsequenzen in den seltensten Fällen zugeben wird, ein solcher zu sein. Die Frage, ob wirklich nur ein nicht ernst gemeinter "Witz", "Provokationslust" etc. oder eine echte Reichsbürgereinstellung hinter einem Verhalten stehen, kann einzelfallabhängig schwer zu beantworten sein.

Differenzierung nach "Sicherheitsrisiken"?

Problematisch erscheint die zweite kürzlich ergangene Reichsbürger-Entscheidung (Urteil des VGH München vom 20.7.2022 - 16a D 20.1464). Auch hier wurde ein Staatsangehörigkeitsausweis entsprechend dem oben dargestellten Prozedere beantragt, dieses Mal durch eine Lehrerin. Das Gericht sah hierin einen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht aufgrund einer reichsbürgerlichen inneren Einstellung. Den Beteuerungen der Lehrerin, keine Reichsbürgerin zu sein, glaubte das Gericht also nicht.

Gleichwohl sprach es nicht die Höchstmaßnahme aus. Begründet wurde dieses überraschend erscheinende Ergebnis mit Erwägungen aus der "Vogt"-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahr 1995 (Urteil vom 26.9.1995 - 7/1994/454/535). Damals ging es nicht um eine reichsbürgertypische Ansichten vertretende Lehrerin, sondern um eine Lehrerin mit DKP-Mitgliedschaft. Im Ergebnis sah der EGMR die Entlassung seinerzeit als nicht gerechtfertigt an. Begründet wurde dieses (knappe) Ergebnis unter anderem damit, dass die Stellung einer Lehrerin keine "Sicherheitsrisiken" mit sich bringen würde.

Der Frage, ob ein konkreter Dienstposten "Sicherheitsrisiken" birgt oder nicht, kommt auch nach dem VGH München entscheidende Bedeutung zu. Ist dies (wie bei der Polizei) der Fall, so müsse eine Dienstentfernung erfolgen, andernfalls jedenfalls nicht zwingend. Ein solches Verständnis ist aber aus mehreren Gründen nicht frei von Bedenken.

Zum einen lässt es außer Acht, dass der EGMR neben den "Sicherheitsrisiken" auch noch andere Kriterien kennt (auch und gerade im Falle von Lehrern), die bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind, vom VGH München allerdings kaum beachtet wurden. Zu nennen sind hier vor allem die vom EGMR betonten "besonderen Pflichten und Verantwortlichkeiten" gerade von Lehrern als "Autoritätspersonen". Sie stehen aufgrund ihrer die Schüler in ihrer Entwicklung prägenden und daher sensiblen Stellung gerade vor dem Hintergrund der Verfassungstreuepflicht auch im außerschulischen Bereich besonders in der Pflicht.

Zum anderen wird die Bedeutung der Verfassungstreuepflicht als beamtenrechtliche Kernpflicht vor dem Hintergrund der Integrität des Beamtentums nicht hinreichend gewürdigt, dürften doch nach dem VGH München unter gewissen Umständen in Zukunft "echte" Reichsbürger im Staatsdienst verbleiben. Ein solches Ergebnis erscheint gerade vor dem Hintergrund der Bestrebungen der Bundesregierung, Extremismus jeglicher Art in deutschen Behörden zu bekämpfen, irritierend.

 

Anm. d. Red.: Beitrag in der Version vom 21.09.2022, 9.59 Uhr, korrigiert wurde, dass nicht stets Reichsbürger sich auf das historische Deutsche Reich beziehen.

Zitiervorschlag

Urteile zu Reichsbürgern: . In: Legal Tribune Online, 20.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49676 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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