Das kommende Bundesteilhabegesetz: Zie­l­ein­lauf mit Hin­der­nissen

von Heike-Brüning-Tyrell und Franz Dillmann

28.06.2016

2/2: Freibeträge werden gravierend erhöht – doch das nutzt nur Wenigen

Aufgrund starker Proteste der Behindertenverbände nach dem Bekanntwerden der ersten Entwürfe, hat die Bundesregierung die Anrechnung des Einkommens und Vermögens auf die Leistung nochmals zugunsten der Leistungsempfänger umgestaltet. Die bisherige Vermögensfreigrenze im SGB XII wird für die Eingliederungshilfe von bisher 2.600 Euro in einem ersten Schritt auf 25.000 Euro, bis 2020 dann auf rund 50.000 Euro angehoben. Die Einkommensgrenze bleibt deutlich erhöht, außerdem sollen das Einkommen und Vermögen des Partners künftig nicht mehr hinzugerechnet werden.

Das hört sich erst einmal wie ein gewaltiger Sprung an. Allerdings wird ein höherer Freibetrag den meisten behinderten Menschen nichts nützen, da sie zusätzlich auf subsidiäre Sozialleistungen zum Lebensunterhalt und Wohnen und neben der Pflegeversicherung auf ambulante Sozialhilfe in Form der Hilfe zur Pflege angewiesen sind. Bei existenzsichernden Leistungen bleibt es bei der niedrigen Grenze von 2.600 Euro, bei der Hilfe zur Pflege sollen nur Erwerbstätige bis 25.000 Euro bzw. – nach der aktuellen Fassung – rund 50.000 Euro an Vermögen zur Lebensführung oder Alterssicherung behalten dürfen, wenn sie gleichzeitig auch Eingliederungshilfe beziehen.

Verbände üben daran weiter verständliche Kritik. Der Gesetzgeber könnte sich aus der legislativen Sackgasse aber nur befreien, wenn er sämtliche Sozialhilfeleistungen unabhängig von der individuellen Bedürftigkeit machte. Das liefe aber der Vorgabe entgegen, keine neue Ausgabendynamik auszulösen.

Bestimmung des Empfängerkreises nach unzureichendem Schema

Lebhafte Debatten löst auch die neue Definition des Personenkreises aus, der Leistungen aus dem Sozialsystem erhalten kann. Anspruch auf Eingliederungshilfe haben künftig nur "Menschen mit einer erheblichen Teilhabeeinschränkung". Diese normative Hürde ist nötig, um unter den ca. 29 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen in der Verwaltungspraxis eine Auswahl treffen zu können.

Der Gesetzgeber hat sich am inklusiven modernen Behinderungsbegriff der seit 2009 geltenden UN-Behindertenrechtskonvention orientiert. Nicht die Beeinträchtigung als solche, sondern die Einschränkungen der Teilhabe durch die Wechselwirkungen mit der sozialen Umwelt sind danach entscheidend.

Zu holzschnittartig werden aber die Beeinträchtigung rein quantitativ an den Lebensbereichen der "ICF" (International Classification of Functioning, Disability and Health) wie Freizeit, Kommunikation und Arbeit gemessen. Für eine qualitative, an der Schwere der Behinderung ausgerichtete Betrachtung bleibt daneben kein Raum mehr. Die nun im Kabinettsentwurf enthaltene Ermessensregelung ändert am grundsätzlichen Problem nichts und bringt den Rechtsanwendern nur Mehrarbeit.

Vorhaben zu bedeutsam, um es auf der Zielgeraden scheitern zu lassen

Die Erwartungen der Betroffenen sind groß, die Vorbehalte gegen Leistungsausweitungen insbesondere auf Seiten der Kommunen zahlreich, und rechtlicher Diskussionsbedarf besteht allenthalben. Das BTHG droht unter einem Berg von Stellungnahmen fast erdrückt zu werden. Alle Akteure haben indes ein Ziel vor Augen: Die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen.

Das Gesetzesvorhaben ist zu bedeutsam, um es nach jahrzehntelangen Diskussionen im Schlussspurt scheitern zu lassen. Alle sind gefordert, das Rennen konstruktiv mit Blick auf die jeweils anderen zu beenden. Über Kosten muss offen geredet werden, übermäßig bürokratische Regelungen (z.B. §§ 14 ff. SGB IX) müssen der Realität angepasst und gewollte Leistungsinhalte klarer formuliert werden.

Selbst wenn das Ziel BTHG erreicht ist, gilt das noch lange nicht für das übergeordnete Ziel der Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft. Die Umsetzung des BTHG verlangt Kooperation der Rehabilitationsträger untereinander und mit den Betroffenen. Und schließlich bleibt die Inklusion ständiges Ziel und gemeinsame Aufgabe aller.

Der Autor Franz Dillmann ist Verwaltungsdirektor und Leiter der Rechtsabteilung im Sozialdezernat des Landschaftsverbandes Rheinland, die Autorin Heike Brüning-Tyrell ist Fachanwältin für Sozialrecht aus Köln.

Zitiervorschlag

Franz Dillmann, Das kommende Bundesteilhabegesetz: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19824 (abgerufen am: 23.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen